Essen. Krebs haben so viele Männer wie Frauen – doch nur ein Bruchteil von ihnen kommt zur Beratung. Wie eine Essener Beratungsstelle um Männer wirbt.
- Bei der Krebsberatung Essen sind nur 24 Prozent der Klienten männlich. Obwohl Männer genauso oft an Krebs erkranken wie Frauen
- Eine Studie soll nun herausfinden, wie man betroffene Männer erfolgreicher anspricht
- Zückt ein Arzt einen Rezeptblock und notiert dort die Beratung, überzeugt das viele Patienten
- Gut angenommen werden auch Segelausflüge, bei denen die Klienten beiläufig ins Gespräch kommen
- Auch Geheilte brauchen oft lange Begleitung: Die Kontrolltermine empfinden sie oft als emotionalen Super-Gau
Die Diagnose ist ein Schock und erschüttert das alte Leben: Wer an Krebs erkrankt, entwickelt häufig große Ängste, wird von existenziellen Sorgen geplagt. Viele Frauen wenden sich dann an die Krebsberatung in Essen, Männer finden viel seltener den Weg dorthin, dabei sind sie genauso häufig von einer Krebserkrankung betroffen. Die Essener Beratungsstelle nimmt daher am bundesweiten Projekt „Wag es! Wege ebnen für Männer“ der Uni Mainz teil.
Von allen Ratsuchenden, die sich im vergangenen Jahr an die Essener Krebsberatung beim Paritätischen wandten waren nur 24 Prozent Männer. Dabei haben die Mainzer Wissenschaftler festgestellt, dass diese Unterstützung genauso häufig wahrnehmen, wenn man sie ihnen im Krankenhaus anbietet. Nur: „In der medizinischen Welt, in den Kliniken hat eigentlich nie jemand Zeit“, sagt Psychologin Kathrin Bochmann von der Krebsberatung Essen. „Wir haben die Zeit.“
Trotzdem zögern Männer offenbar, gezielt ein ambulantes Beratungsangebot aufzusuchen. „Sie wissen nicht, was sie erwartet und haben Bedenken, dass es sich um eine Art Selbsthilfegruppe handelt, sie auf eine ,Psycho-Schiene’ kommen.“ Dabei kümmern sich die Beraterinnen auch um konkrete Sachfragen zu Hilfeleistungen, Zuschüssen, Schwerbehindertenausweis. Sie erklären Ansprüche, helfen Anträge auszufüllen, wenden sich an Träger. „Wir machen keine Therapie, sondern Beratung“, betont Kathrin Bochmann. Manchem reiche ein Termin für eine Antragstellung, andere kommen vom Ärger mit einem Formular auf die Sorgen zu sprechen, die sie belasten: Sie merken, dass ihnen zugehört wird, dass sie jedes Thema ansprechen können.
Der Rezeptblock überzeugt viele Männer, zur Beratung zu gehen
Dass Sachthemen ein Türöffner sein können, haben Kathrin Bochmann und ihre Kolleginnen schon länger beobachtet. Im Rahmen der „Wag es“-Studie, an der die Krebsberatung seit Mai 2021 (und noch bis Mai 2022) teilnimmt, wollen sie herausfinden, wie man Männer ermutigen kann, überhaupt zur Beratung zu kommen. Auf ihren Info-Film, der zwischen der Kinowerbung läuft, hat sich bisher noch keiner der Ratsuchenden bezogen. Spürbaren Erfolg hat dagegen ein Rezeptblock, den sie entwickelt haben: Der Arzt oder die Ärztin stellen das „Rezept“ aus, mit dem sie den Männer eine Beratung empfehlen. „Das funktioniert gut: Sie kommen – und sie bleiben auch.“ Vielleicht helfe dabei, dass die ärztlichen Zuweiser wie Urologen und Onkologen oft Männer seien.
Gut angenommen werde auch, wenn sie den Männer Aktionen anbieten: Beim „Segeln gegen Kopfkino“ konnten – ehrenamtlich unterstützt vom ETUF – auch Krebserkrankte an Bord gehen, die nicht topfit waren. Bei den drei Segelausflügen auf dem Baldeneysee sei die Gruppe zusammengewachsen: „Die kamen lachend vom Steg.“ Und: Sie kamen auch ins Gespräch, auf den Jollen wie beim gemeinsamen Essen.
Beratung für Krebserkrankte, Familienangehörige und Freunde
Die Krebsberatung Essen sitzt beim Paritätischen am Camillo-Sitte Platz 3. Geöffnet: Montag, Donnerstag und Freitag: 10 bis 14 Uhr, Dienstag und Mittwoch: 10 bis 15 Uhr. Die Beratung ist kostenlos und wendet sich an Betroffene sowie an Freunde und Familienangehörige von Krebserkrankten.
Die Essener Krebsberatung nimmt am Projekt„Wag es! Wege ebnen für Männer“ teil, sie ist einer von 15 Standorten bundesweit.
Kontakt per Mail an krebsberatung.essen@paritaet-nrw.org oder telefonisch unter: 0201-895 33 20. (AB, Rückruf in der Regel am selben Tag). Infos auf: www.krebsberatung-essen.de
Vertrauensbildend sei wohl auch gewesen, dass männliche ETUF-Mitglieder die Segler anleiteten, glaubt Kathrin Bochmann. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn es auch mehr männliche Berater gäbe, vermutet die Psychologin. „Aber in meinem Berufsfeld sind einfach mehr Frauen.“ Im Team der Krebsberatung haben die alle eine psycho-onkologische Zusatzausbildung und können Krebserkrankte in der schwierigen Zeit nach der Diagnose begleiten. Dass es oft mit einer Anpassungsstörung einhergehe, sich auf die neue Situation einzustellen, weiß auch der Gesetzgeber: Theoretisch habe jeder Betroffene auf eine von der Krankenkasse bezahlte Therapie; es fehle jedoch an Plätzen.
Die Sorge vor dem Rückfall, die Kontrolltermine sind für viele der emotionale Super-Gau
Die Krebsberatung ist kostenlos und bietet jedem Hilfesuchenden binnen maximal 14 Tagen einen ersten Termin. Wie viele Termine folgen, sei ganz unterschiedlich. Es gebe Klienten, die sie über Jahre begleite, auch nach der Heilung, sagt Kathrin Bochmann. Das Wissen, dass der Krebs wieder zurückkehren könne, die regelmäßigen Kontrolltermine: „Das ist für viele der emotionale Super-Gau.“