Essen. Essener mit ausländischen Wurzeln kennen Gesundheitsangebote oft nicht. Die Krebsberatung findet einen Weg, um Nicht-Muttersprachler zu erreichen.

Mit einer verstärkten Info-Kampagne will die Stadt Essen in der Pandemie Zuwanderer erreichen und informieren. Das Thema ist topaktuell – das Problem beschränkt sich nicht nur auf Corona: Schon seit Juli 2020 geht die Krebsberatung des Paritätischen auf Essener zu, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

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Eine Krebserkrankung bedeutet nicht nur für den Betroffenen eine enorme Belastung, sondern kann ganze Familien aus dem Gleichgewicht bringen. Um hier zu helfen, bietet der Paritätische seine kostenlose Beratung für Krebskranke und für ihre Angehörigen an. Der Bedarf ist da: So wurden im vergangenen Jahr 833 Termine wahrgenommen. „Als wir die Daten auswerteten, stellten wir fest, dass wir eher wenige Menschen mit Migrationshintergrund erreichen“, sagt Sozialpädagogin Annette Friedrich. Nur 174 Beratungstermine entfielen auf zugewanderte Essener. Das entspricht einem Anteil von knapp 17 Prozent, dabei haben nach Angaben der Stadt rund 35 Prozent der Essener eine Zuwanderungsgeschichte.

Anonyme Beratung für Krebskranke und Angehörige

Der Paritätische bietet eine kostenlose und anonyme Krebsberatung für Betroffene und Angehörige (Camillo-Sitte Platz 3). Das Angebot umfasst: Gespräche und Hilfestellungen in Krisensituationen, psycho-onkologische Unterstützung; Lotsenfunktion zu wichtigen Angeboten, Zugang zu medizinischen Angeboten, Vermittlung in Selbsthilfegruppen und sozialrechtliche Basisinformationen. Die Beratung wird auch mit Übersetzung angeboten in: Englisch, Französisch, Türkisch, Bulgarisch, Russisch oder Arabisch.

Weitere Infos auf: www.krebsberatung-essen.de/ Kontakt telefonisch unter 0201-895 33 20 / 21 / 27 oder per Mail an:

Und die Zuwanderer, die den Weg in die Krebsberatung fanden, hatten meist sozialrechtliche Fragen, brauchten Hilfe bei Antragstellungen und anderen Formalitäten. In den Gesprächen sei zwar angeklungen, dass die Menschen auch seelische Nöte plagten, doch die psychologische Beratung nahmen sie meist nicht wahr: „Ein Grund dafür ist die Sprachbarriere: Über Emotionen äußert man sich einfach besser in der Muttersprache“, sagt Annette Friedrich. Darum habe man sich Mitte vergangenen Jahres auf den Weg gemacht, biete nun die Beratung auch in anderen Sprachen an – und gehe aktiv auf die Communitys zu.

Scouts gehen auf verschiedene Communitys zu

„Über Emotionen äußert man sich einfach besser in der Muttersprache“, sagt Sozialpädagogin Annette Friedrich von der Krebsberatung für Betroffene und Angehörige.
„Über Emotionen äußert man sich einfach besser in der Muttersprache“, sagt Sozialpädagogin Annette Friedrich von der Krebsberatung für Betroffene und Angehörige. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Eine Aufgabe für Hatice Cil, die den Titel „Fachkraft für interkulturelle Öffnung“ trägt, türkische Wurzeln hat und bereits im Verein „Butterfly“ Mädchen- und Frauenarbeit macht. Unterstützt wird sie durch eigens geschulte und ähnlich gut vernetzte, ehrenamtliche Scouts, die zum Beispiel Russisch oder Bulgarisch sprechen sowie durch einen Ghanaer, der neben Englisch auch einen Dialekt aus dem westafrikanischen Land beherrsche. Ein neuer Flyer stellt das Projekt außerdem auch auf Französisch und Arabisch vor.

Die Scouts haben vor allem eine Scharnierfunktion zwischen der Zielgruppe und der Krebsberatung; teilweise begleiten sie die Betroffenen auch in die Beratung. „Wenn sie eine Sprache nicht abdecken, organisieren wir einen Dolmetscher für die Beratung“, erklärt Annette Friedrich. Obwohl es in Pandemiezeiten naturgemäß viel schwerer sei, die betroffenen Menschen zu treffen und anzusprechen, sei der Rücklauf gut.

Neu im fremden Land und die Tochter erkrankt

Typisch seien die bulgarischen Neu-Essener, deren zwölfjährige Tochter an Krebs erkrankt ist. Die Familie, die erst seit kurzem in Deutschland lebt, habe sich erst wegen wirtschaftlicher Nöte an die Beratung gewendet. Dann sei klar geworden, wie sehr die Krebserkrankung die gesamte Familie belastet und zu Spannungen führt. „Wir zeigen ihnen auf, wo sie Hilfe und Entlastung bekommen.“ Zu erfahren welche anderen Ansprechpartner und Adressen es gibt, sei für Menschen, die neu sind in Essen, natürlich noch wichtiger als für andere Ratsuchende.

Im Gespräch mit anderen Krebsberatungen im Land hat Annette Friedrich gehört, dass sie mit dem Projekt, das zunächst bis Jahresende läuft, Pionierarbeit leiste. Unter erschwerten Bedingungen: Coronabedingt findet die Beratung meist telefonisch oder im Videochat statt. Nur das erste Gespräch wird – unter strengen Hygieneauflagen – live geführt: „Wenn wir die Ratsuchenden erst kennenlernen, ist es wichtig, auch Mimik, Gestik und Körperhaltung zu erleben.“ Umso mehr, wenn man keine gemeinsame Sprache hat.