Essen. Trauer ist individuell. Dass es aber Unterschiede bei den Geschlechtern gibt, zeigt Thomas Achenbach in dem Buch „Männer trauern anders“ auf.

„Es gibt nicht die eine Trauer und auch kein Rezept, so muss Trauerarbeit ablaufen. Trauer ist etwas ganz Individuelles“, schickt Thomas Achenbach voraus. „Dennoch unterscheidet sich die Herangehensweise von Männern, mit ihrer Trauer umzugehen und den Schmerz zu bewältigen, deutlich von der weiblichen“, sagt der 46-Jährige, der als Trauerbegleiter, Redakteur und Trainer tätig ist. Ganz so weit entfernt von dem gängigen Klischee, dass Frauen weinen und Männer Kummer und Schmerz in sich hineinfressen, sei es nicht: „Es steckt ein wahrer Kern darin.“

Männer brauchen zuerst das Alltagsgeplänkel

Als Trauerbegleiter mache er häufig die Erfahrung, „dass Frauen in einem Gespräch schnell ihre Trauer zur Sprache bringen und Gefühle zeigen“. Da flössen dann auch Tränen. Männer bräuchten dagegen deutlich eine Art Aufwärmphase, „damit sie sich sicher fühlen können in der Beratungssituation“. Die Autofahrt sei zunächst Thema oder, ob der Rücken Probleme bereitet – Alltagsgeplänkel halt.

Die Wortwahl über die aktuelle Befindlichkeit sei ebenfalls verschieden. „Es geht mir schlecht“, sage ein Mann nicht, so Achenbach, der seine Erfahrungen in dem Buch „Männer trauern anders“ weitergibt. Mit einem Satz wie „Ich stehe unter Druck“ mache ein Mann dagegen deutlich, dass ihn etwas sehr belastet. In sein Inneres zu schauen und dem Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen auch mit Worten Ausdruck zu verleihen, falle Männern doch schwerer. „Manchmal dreht es sich in Sitzungen nur in ein oder zwei Sätzen um den Schmerz an sich, aber dies Wenige hat dann schon geholfen.“

Trauer ist ein fortlaufender Prozess und kann mehrere Jahre andauern.
Trauer ist ein fortlaufender Prozess und kann mehrere Jahre andauern. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Aus Trotz wird das Leben übersteigert“

„Trauer in vier oder fünf Phasen bewältigen“, das sei eine nicht mehr zeitgemäße Sichtweise, die auf den Thesen von Sigmund Freud beruhe. „Heute sehen wir Trauer als fortlaufenden Prozess, den man nicht mit Gewalt forcieren oder abarbeiten kann.“ Allerdings: Die Gesellschaft gestehe Trauernden nach wie vor nur ein Jahr zu, „dann soll man wieder funktionieren“. In der Realität befasse sich ein Mensch jedoch fünf, sechs bis zu acht Jahre noch mit dem Verlust.

Es komme dabei vor, dass Männer mehr zu exzessivem Verhalten tendieren (Alkohol, Pornos, Sport, Arbeit, Glücksspiel). Achenbach: „Aus Trotz wird das Leben übersteigert. Der Betroffene erlebt sich dabei als nicht leidend, sondern als handelnd und aktiv.“ Das sei, solange es sich nicht um tatsächliches Suchtverhalten handelt, durchaus als ein wichtiger Trittstein im Trauerprozess zu werten.

Ohnmachts- und Schuldgefühle belasten Männer

Eine große Rolle spielten Ohnmachts- und Schuldgefühle bei Gesprächen mit trauernden Männern. „Die Frage ,Was wäre gewesen, wenn’ bewegt insbesondere bei plötzlichem Tod durch Unfall.“ Bei Krankheiten wie Krebs, die absehbar zum Tode des geliebten Menschen führen, erlebe ein Mann viel mehr als eine Frau das Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust.

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Allerdings seien Männer auch diejenigen, die sich schneller wieder neu binden. „Es kommen Männer in meine Gesprächsgruppen, die ganz offen zugeben, dass sie hoffen, dort eine neue Partnerin zu finden.“

Frauen sind in der Partnerschaft für das soziale Netzwerk zuständig

Männer zeichne eine hohe Bedürftigkeit nach Versorgung aus. „Und das meint nicht nur den Haushalt. Es meint Trost und Mütterlichkeit. Frauen sind in der Regel diejenigen in einer Partnerschaft, die für das soziale Netzwerk sorgen.“ Ohne dieses drohe Vereinsamung. Aber: „Mit sich selbst alleine sein können, das kann man lernen“, sagt Achenbach.

Eine neue Partnerschaft sei im Übrigen immer „eine Beziehung zu dritt“. Denn ob nun ein, zwei oder drei Jahre vergangen seien, die verstorbene Frau brauche noch immer ihren Raum im Leben des Mannes.