Essen. Verfassungsrichter verhandeln Anfang November eine Beschwerde. Auch Essen fühlt sich beim Prostituiertenschutzgesetz im Regen stehen gelassen.
Drei Jahre ist es her, dass die Stadt Essen eine Klage gegen das Prostituiertenschutzgesetz des Landes ankündigte, nun kommt es bald zum Schwur: Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen will am 9. November eine Verfassungsbeschwerde der Kommune und anderer Städte verhandeln, die im Schulterschluss beklagten, dass ihnen die Folgekosten für die im Jahr 2017 übertragenen zusätzlichen Aufgaben in den Ordnungs- und Gesundheitsämtern nicht erstattet werden. Das Land verstoße gegen das Konnexitätsprinzip nach dem Motto „Wer bestellt, der zahlt“.
Um die Vorgaben erfüllen zu können, musste zusätzliches Personal eingestellt und natürlich finanziert werden. Wie Stadtsprecherin Silke Lenz berichtete, sind im Ordnungsamt zwei planmäßige Vollzeitkräfte und ein zusätzlicher Mitarbeiter für die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes gebunden. Allein dafür fallen 185.000 Euro pro Jahr an. Dazu kommen Sachkosten für den Arbeitsplatz und einen Dienstwagen für Kontrollfahrten. Weitere Kosten entstehen beim Gesundheitsamt, die seien aber „nicht so leicht zu beziffern“.
Behörden gingen von 1200 Prostituierten in Essen aus
Seit Juli 2017 müssen sich Prostituierte bei den städtischen Behörden gesundheitlich beraten lassen, sich anmelden und eine Bescheinigung darüber mit sich führen. Zugleich ist das Ordnungsamt unter anderem verpflichtet, Betriebskonzepte von Bordellen zu prüfen und zu kontrollieren. Mit diesem Regelwerk, so hatte die damalige NRW-Emanzipationsministerin Barbara Steffens (Grüne) versprochen, sollte gewerbliche Prostitution möglichst umfangreich erfasst werden.
Die Rechnung scheint zumindest in diesem Punkt aufgegangen zu sein: Hatten sich in Essen bis Ende 2017 gerade mal 60 Sexarbeiter und -innen bei der Stadt angemeldet, sind es inzwischen knapp 500. Wie hoch allerdings die Dunkelziffer derer ist, die sich einer Registrierung verweigern, lasse sich nur schwer schätzen, so Lenz. Vor Inkrafttreten des Gesetzes waren die örtliche Polizei und das Finanzamt von immerhin rund 1200 Frauen und Männern ausgegangen, die in der Stadt regelmäßig anschaffen gingen.
Mit Blick auf das mutmaßliche Treiben im Verborgenen bleibt es nach Überzeugung der Stadt notwendig, jedweden Hinweisen nachzugehen, um die Ziele zu erreichen, möglichst legale Strukturen und damit Rechtssicherheit, verträglichere wie legale Arbeitsbedingungen zu schaffen und mehr Selbstbestimmung als auch Schutz gegen Ausbeutung in illegalen Bordellen, gegen Gewalt und Zuhälterei in dem Gewerbe zu ermöglichen.
200 Verfahren wegen illegaler Prostitution eingeleitet
Gerade durch die persönlichen Kontakte zu den Prostituierten für die geforderte Anmeldung können sich Hinweise auf kriminelle Aspekte ergeben. In den Gesprächen werden sie nicht nur über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt und bei Bedarf an Beratungsstellen weitervermittelt. Bei Verdacht auf eine Gefährdung werden zudem auch Schutzmaßnahmen ergriffen. Die Beratungen, so Lenz, werden nach Einschätzung der zuständigen Stellen von den Frauen als hilfreich angesehen.
Weniger erfreut dürften allerdings sie über behördliche Sanktionen sein: In den vergangenen Monaten wurden in Essen etwa 200 Verfahren wegen illegaler Prostitution eingeleitet, wobei überwiegend Verstöße gegen das Verbot sexueller Dienstleistungen im Corona-Kontext der Grund waren.
Das zeigt: Die Pandemie hat das Sexgewerbe hart getroffen und die Frauen verstärkt in die Illegalität gedrängt. Dass Prostituierte seit den monatelangen Kontaktverboten wieder zunehmend heimlich arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hat auch der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) beobachtet - Schutzgesetz hin oder her.