Essen. Die Dirnenhäuser am Rande der Innenstadt waren am Freitagabend Ziel mehrerer Behörden. Es ging auch um illegale Prostitution und Menschenhandel.

Einen solchen Andrang hat das Essener Rotlichtviertel in seiner 120-jährigen Geschichte noch nicht erlebt: Am späten Freitagabend riegelt eine Hundertschaft der Polizei die Stahlstraße in Sichtweite des Einkaufszentrums Limbecker Platz ab. In den Eingängen der 17 Laufhäuser postieren sich Beamte. Kräfte des städtischen Ausländer- und des Ordnungsamtes, des Zolls und der Finanzbehörden durchsuchen die Sackgasse mit Sichtschutz, die Räume in den Gebäuden, kontrollieren Papiere, wollen illegale Geschäfte und Aufenthalte aufdecken, lassen sich die „Hurenausweise“ zeigen, die sich die Frauen seit etwa zwei Jahren verpflichtend vom Ordnungsamt ausstellen lassen müssen.

Wegen „unhaltbarer hygienischer Zustände“ und Gesundheitsrisiken machte die Stadt ein Bordellhaus noch in der Nacht dicht. Die dort beschäftigten Frauen mussten das Etablissement verlassen, weil sich im Hinterhof Unmengen von Müll fanden, dazwischen Hundekot und Ratten. Die Polizei stellte zudem „weißes Pulver“ sicher. Vermutlich handelte es sich um Rauschgift.

In vier Fällen steht der Verdacht des Sozialleistungsbetrugs im Raum

Insgesamt 15 Personen wurden wegen Verdachts auf illegalen Aufenthalt kontrolliert, davon wurden sieben zur Überprüfung in Polizeigewahrsam genommen. Von acht Anwesenden wurden die Ausweispapiere eingezogen. Die Polizei konnte einen ausstehenden Haftbefehl durchsetzen, zwei Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden aufgenommen. Bei insgesamt sechs Arbeitgebern müssen im Nachgang weitere Prüfungen durchgeführt und steuerrechtliche Unterlagen eingesehen werden. Zudem geht der Zoll nun in vier Fällen dem Verdacht eines Sozialleistungsbetrugs nach.

Es war eine Großrazzia bis in die frühen Morgenstunden, die die Freier vertrieb, die für eine ordentliche Umsatzdelle sorgte, und die Frauen verunsicherte. Die Stadt ging nach Darstellung ihrer Sprecherin Silke Lenz möglichen Verstößen gegen das Prostituiertenschutzgesetz nach und die übrigen Behörden übten einmal mehr jenen Schulterschluss, zu dem sie sich seit 14 Monaten bei ihrem Kampf gegen die Clan-Kriminalität regelmäßig verabreden.

Mehrere Behörden beteiligten sich an der Razzia im Essener Rotlichtviertel.
Mehrere Behörden beteiligten sich an der Razzia im Essener Rotlichtviertel. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Verdacht des Menschenhandels und des illegalen Aufenthalts

Aber es ging an diesem Abend auch darum, den Verdacht des Menschenhandels und der illegalen Prostitution zu erhärten. Frauen, vorwiegend aus Osteuropa sollen dort regelmäßig abgesetzt werden, um ihren Zuhältern Geld heranzuschaffen, ist zu hören. In dem Milieu sind mehrere Akteure aktiv, für die sich die Behörden interessieren – unter anderem auch kriminelle Rocker, sagt Thomas Weise von der Essener Polizei, die für die Stadt an diesem Abend Amtshilfe leistete. Mit Ergebnissen der konzertierten Aktion ist erst später zu rechnen, hieß es seitens der Stadt.

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Vor dem freitäglichen Besuch bei Chantal, Lady Lilly, Tina, Nicole und Co. hatten sich die Behörden erst im Dezember noch Essens Straßenstrich nur wenige hundert Meter Luftlinie von der Stahlstraße entfernt vor die Brust genommen. Auch auf dem ehemaligen Kirmesplatz an der Gladbecker Straße war man ebenfalls vermuteten Verstößen gegen das Prostituiertenschutzgesetz nachgegangen, mit dem der Gesetzgeber die Sexarbeiterinnen unter anderem verpflichtet, sich zum einen anzumelden, zum anderen beim Gesundheitsamt beraten zu lassen.

Der größte Teil der rund 1000 Frauen, die in Essen anschaffen gehen, dürfte dem bislang kaum nachgekommen sein, weil sie aus den unterschiedlichsten Gründen lieber in der Anonymität ihrem Geschäft nachgehen. An der Stahlstraße allerdings konnten sich die meisten der Prostituierten ordnungsgemäß ausweisen. 82 wurden kontrolliert, bei 24 fehlten die pflichtigen Anmeldebescheinigungen. Insgesamt wurden 17 Verwarngelder in Höhe von 55 Euro erhoben. Acht mal wurden Verstöße gegen das Nichtraucherschutzgesetz geahndet, teilte die Stadt am Samstagmorgen mit.

Ordnungsamt und Polizei sehen an beiden Standorten keine größeren Probleme

Überhaupt gebe es hüben wie drüben, an der Stahlstraße wie auf dem Straßenstrich an der B224 aus ordnungsrechtlicher als auch aus polizeilicher Sicht keine größeren Probleme, sagten Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg und Thomas Weise unisono. Im Gegenteil: Die Kombination aus beschütztem Raum auf dem dicht umwachsenen Kirmesplatz an der Gladbecker Straße, ein erweiterter Sperrbezirk im Umfeld und das zwischen Verrichtungsboxen und Wohnwagen verortete Hilfeangebot „Strichpunkt“ sorgt seit nunmehr fast elf Jahren dafür, dass sich keine Nebenszene gebildet hat und die Prostitution weitestgehend aus dem Essener Straßenbild verschwunden ist.

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Der Kontakt zu den Frauen scheint zudem ein guter zu sein: Die Hilfeanbieter vor Ort erreichten in einem Jahr einen Großteil der rund 150 Prostituierten, die dort ihre Dienste anbieten. Die Beratung zum Ausstieg, aber auch die Gesundheitsvorsorge ist dabei ein wichtiges Thema: Binnen zwölf Monaten werden fast 5000 Kondome ausgegeben und über 30.000 gebrauchte Drogenspritzen gegen neue eingetauscht. Im Schnitt gehen 20 Frauen auf dem Kirmesplatz zeitgleich anschaffen.

Viele geschmiedete und wieder verworfene Standortpläne

Nach vielen geschmiedeten und wieder verworfenen Standortplänen für einen neuen, einen sauberen, einen beschützten Straßenstrich erwies sich der Kirmesplatz nicht nur in der erweiterten Rückschau als Glücksgriff. Bereits nach den ersten sechs Monaten Drive-In-Sex war das Urteil in der Stadt einhellig: „Es läuft besser als erhofft“, hieß es im Spätsommer 2009, nachdem der Umzug unter sanftem Druck aller Beteiligten von Sozialamt, Hilfeträgern und Polizei vom alten Straßenstrich-Standort an der Pferdebahnstraße an die B224 geglückt war. Nachzubessern war aus Sicht der Verantwortlichen allenfalls ein rein verkehrlicher Aspekt: Mancher Freier war mit dem Auto zu schnell unterwegs auf dem Platz. Dagegen halfen am Ende Schweller.

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Ansonsten gilt nach wie vor für das Straßenstrich-Konzept am nicht ohne Weiteres einsehbaren Kirmesplatz, aber auch an der Stahlstraße: Wer nicht weiß, was sich hinter den Büschen und Mauern verbirgt, fährt dran vorbei. Wer es nicht wissen will - auch.