Essen. Erneutes Prostitutionsverbot verdrängt die Sexarbeiterinnen ein zweites Mal. Die Beratungsstelle „Freiraum“ setzt mehr Streetworkerinnen ein.
Der soziale Anlaufpunkt in dem Container auf dem Essener Straßenstrich hat bereits am Samstag die Schotten heruntergelassen, am Montagmorgen sperrte das Ordnungsamt den Platz an der Gladbecker Straße dann komplett ab. Der neuerliche Lockdown mit seinen verschärften Coronaschutzauflagen trifft sowohl den Kreisverkehr auf dem ehemaligen Kirmesplatz als auch die Bordellbetriebe an der Stahlstraße kompromisslos. Zum zweiten Mal. Déjà-vus. War da nicht was?
Das Prostitutionsverbot hatte die Frauen hüben wie drüben im März und danach über Monate schon einmal verdrängt, sie in die Illegalität oder im besseren Fall in die Beratungsstelle „Freiraum“ im Caritas-Haus an der Niederstraße getrieben. Dort hat sich die Situation nach dem ersten Ansturm hilfesuchender Betroffener über den Sommer gerade wieder einigermaßen entspannt. Doch jetzt stellt man sich in der Nähe der Uni erneut auf Mehrarbeit ein, sagt Maike van Ackern, Leiterin der Einrichtung, die von der „cse gGmbH“, einem Zusammenschluss von Caritas und dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Essen, getragen wird.
Rund 100 Verstöße gegen das Prostitutionsverbot
Während die Stadt Essen nach dem grünen Licht fürs Rotlicht durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts im September binnen eines halben Jahres rund 100 Verstöße gegen das Prostitutionsverbot ahndete, die Dunkelziffer aber weitaus höher gelegen haben dürfte, zählte Maike van Ackern bis Anfang Oktober 70 bis dahin unbekannte Sexarbeiterinnen, die zum allerersten Mal Unterstützung in der Beratungsstelle suchten. Das hatte in den meisten Fällen vor allem finanzielle Gründe.
Entsprechend viele Anträge auf Arbeitslosengeld II waren auszufüllen, was sich je nach Nationalität der Frauen unterschiedlich schwierig gestaltete. So müssen die Prostituierten aus Rumänien und Bulgarien als EU-Bürgerinnen einen Arbeitsnachweis beibringen und belegen, dass sie Steuern bezahlt haben, während ihre drogenabhängigen Kolleginnen, die ebenfalls auf dem Straßenstrich anschaffen gehen, in der Regel bereits staatliche Leistungen beziehen.
Auch Freier sind offenbar verunsichert
Selbst vielen Frauen aus den Bordellen, „die von ihrer Arbeit gar nicht schlecht gelebt haben“, so van Ackern, ist während des Prostitutionsverbots das Geld ausgegangen. Auch wenn sie illegal angeschafft haben sollten - das Geschäft mit dem käuflichen Sex liefe unter Coronabedingungen nicht gerade gut, weiß die „Freiraum“-Chefin: „Die Männer sind offenbar verunsichert, haben Angst vor einer Ansteckung.“
Dass der „Strichpunkt“, die Anlaufstelle für Prostituierte an der Bundesstraße 224, erneut geschlossen ist, bedeutet nicht, dass die Vor-Ort-Beratung gänzlich eingestellt wird. An fünf Abenden in der Woche werden Streetworkerinnen ab sofort ihre Hilfe auf dem Straßenstrich anbieten. Denn selbst wenn dort nun ein mindestens einmonatiger Schlussstrich gezogen worden ist: „Wir müssen davon ausgehen, dass viele Frauen weiter arbeiten“, gibt Maike von Ackern zu bedenken.
Unterstützung und Begleitung der Frauen ermöglichen
Auch wenn der Beratungsstelle in der Phase des ersten Prostitutionsverbots keine Fälle bekannt geworden sind, in denen Frauen abseits jeglicher sozialer Kontrolle in gefährliche Situationen gerieten, heißt das nicht, dass dem nicht so war. Bereits im Sommer hatte die Sozialgesellschaft „cse“ es in der Rückschau mahnend so formuliert: „Das Verbot hatte für viele Betroffene schwerwiegende finanzielle und damit existenzgefährdende Folgen. Es ist weiterhin wichtig, Sexarbeit nicht in die Illegalität abrutschen zu lassen, um Frauen in prekären Lebensbedingungen nicht länger zu gefährden und ihnen den Zugang zu Unterstützung und Begleitung zu ermöglichen.“