Essen. Elke Heidenreich hat eine schwierige Kindheit in Essen erlebt. Warum die Bücher Trost waren, hat die Literaturkritikerin bei der Lit.Ruhr erzählt

Angefangen hat es vor Jahrzehnten mit „Krach um Kathi,“ „Elke der Schlingel“ und natürlich den Büchern von Enid Blyton. Ein Raunen der gemeinschaftlichen Erinnerung geht durch die Zollverein-Halle 5, als Elke Heidenreich den Namen der erfolgreichen britischen Kinderbuchautorin nennt. Wer im Saal ist nicht groß geworden mit „Hanni und Nanni“ und den „Fünf Freunden“. Für die prominente Literaturkritikerin war es damals mehr als jugendliches Schmökern. „Enid Blyton hat meine lebenslange Lesefreude angefacht.“

Elke Heidenreich in Essen: „Ich las mich raus aus dem einsamen Kinderleben“

Warum es gerade Bücher von Frauen waren, die sie begeistert, geprägt und den Bildungshunger geweckt haben; wie Literatur alte und neue Rollenbilder entworfen hat; und warum Frauen zwar Hemingway, Proust und Fontane lesen, Männer aber kaum Interesse an Frauenliteratur haben, all das erzählt Heidenreich in ihrem neuen Buch „Hier geht’s lang“. Bei der Vorstellung des weiblichen Literatur-Kanons im Rahmen der Lit.Ruhr kamen neben Autorinnen von Susan Sontag bis Astrid Lindgren auch viele private Erinnerungen an ihre Jugend in Essen-Rüttenscheid zur Sprache.

Es ist keine Bilderbuchkindheit, die Heidenreich schildert. Als Kind ist sie oft krank, die Eltern streiten viel, die Bücher sind ihr Trost und Freunde. „Ich war fast immer allein und las mich raus aus dem einsamen Kinderleben.“ Ihre frühen Begleiter heißen Nils Holgersson oder Heidi, obwohl das naturnahe Kinderleben auf der grünen Alb wenig mit der Ruhrgebiets-Existenz der „hustenden Elke“ gemein hat: „Unsere Aufsätze nach den Ferien hießen: Rückkehr ins Industriegebiet von außerhalb der Dunstglocke.“

Strafarbeiten in der Schule sind „ein Geschenk“ für Elke Heidenreich

Weil die Auswahl auf dem elterlichen Bücherregal mit „Ferdinand Sauerbruch. Das war mein Leben“ und Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ übersichtlich ist und auch sonst nicht alles stimmt, verlässt Heidenreich als Teenager das Essener Elternhaus und geht auf eigenen Wunsch zu Pflegeeltern. Ein Pfarrershaushalt mit großem Bücherregal, wo auch Colettes frivoler Skandal-Roman „Cherí“ die Backfisch-Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die ersten rororo-Bücher kauft sie sich vom Taschengeld.

Am Ende seien es vor allem die Lehrerinnen gewesen, „immer großartige Frauen“, die Heidenreichs bis heute ungestillten Lesehunger manchmal sogar unbewusst gefördert hätten: „Strafarbeiten waren Geschenke“, sagt die 78-Jährige. Und so dürften es nicht nur Deutschpädagogen gewesen sein, die Elke Heidenreich am Ende mit Standing Ovations verabschiedeten.