Essen. Nach dem Unfalltod eines Radfahrers (85) in Essen beklagen Alltagsradler den Zustand des Radweges nahe der Unfallstelle. Ein Ortsbesuch.

24 Stunden nach dem tödlichen Rad-Unfall in Essen macht die Hans-Böckler-Straße nur scheinbar einen friedlichen Eindruck. Auf mehr als 300 Meter Länge haben die Spezialisten des Verkehrsunfallteams der Polizei lauter Striche, Markierungen und Kreise auf dem Asphalt gesprüht: in Grün, Gelb, Weiß und Orange. Ein junger Radfahrer, Student an der Uni Essen, hat am Donnerstag (23. September) gerade die Unfallstelle passiert.

Schon seit fünf Jahren befährt er dieses Stück B 224 mehrmals die Woche. Sein Urteil stimmt nachdenklich. „Für Radfahrer“, sagt der 26-Jährige, „ist dieser Abschnitt selbst auf dem Gehweg gefährlich.“

Radfahrer: „Morgens um fünf brettern hier die meisten mit 70 Sachen über die B 224“

Radfahrer kritisieren den Zustand des Radweges entlang der Hans-Böckler-Straße in Essen. An dieser Stelle erschweren eng nebeneinander stehende Laternen- und Ampelmasten die Weiterfahrt.
Radfahrer kritisieren den Zustand des Radweges entlang der Hans-Böckler-Straße in Essen. An dieser Stelle erschweren eng nebeneinander stehende Laternen- und Ampelmasten die Weiterfahrt. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die insgesamt vierspurige Bundesstraße zählt hier zu den meistbefahrenen Verkehrsachsen der Stadt. Wer von Nord nach Süd will, muss hier entlang – das gilt erst recht für den gewerblichen Verkehr: Die Dichte von Betonmischern. Sattelschleppern, Auto-Transportern. Möbelwagen und 40-Tonnern fällt besonders auf. Die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 Stundenkilometer, aber etliche sind deutlich schneller unterwegs. Das verbreitet Unbehagen. „Morgens um fünf brettern hier die meisten mit 70 Sachen über die B 224“, berichtet der Student, „und nachmittags ist Stau.“

Der tödlich verunglückte Radfahrer, ein 85 Jahre alter Mann aus Frohnhausen, ist am Mittwoch gegen viertel vor zwölf von einem Container-Lkw erfasst worden. Was im Detail geschehen ist, darüber herrscht auch am Tag danach immer noch Rätselraten. „Wir tappen im Dunkeln“, räumt eine Polizeisprecherin ein. Kein einziger Zeuge habe sich gemeldet, auch die Vernehmung des Lkw-Fahrers habe die Sache noch nicht vorangebracht. So bleibt zum Unfallhergang vorerst vieles im Spekulativen.

Tödlicher Unfall hat die Mitarbeiter des Autohauses spürbar mitgenommen

Das Mitsubishi-Autohaus liegt nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der der Container-Lkw zum Stehen kam. Der tödliche Unfall hat die Autoverkäufer und Werkstattleute spürbar mitgenommen. Einem von ihnen werden die Augen auch am Tag danach wieder feucht, wenn er zu erzählen beginnt. „Es gab keine Schreie“, berichtet er. Und dass er gegenüber seinen Kindern abends daheim kein Sterbenswörtchen von dem Unfall verloren habe.

Ein Werkstatt-Kunde will Mittwochmittag ein lautes, metallisches „Klack“-Geräusch vernommen haben, das das mitgeschleifte E-Bike verursacht haben könnte. Ein anderer Autohaus-Mitarbeiter gibt zu Protokoll, dass er lautes Hupen gehört habe. Entsetzte Autofahrer, die dem Unfall-Lkw entgegenfuhren, sollen gesehen haben, wie der anscheinend ahnungslose Lkw-Fahrer den Rentner samt E-Bike unter dem Sattelschlepper Hunderte Meter mitgeschleift hat.

Mahnwache und Ghostbike

Nach dem tödlichen Rad-Unfall veranstaltet der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) Essen am Samstag, 23. September, eine Mahnwache. Die Teilnehmer treffen sich zwischen 16.30 und 17.30 Uhr an der Hans-Böckler-Straße zwischen Schwanenkampstraße und Hachestraße in südlicher Richtung.

Wie ADFC-Vorsitzender Mirko Sehnke weiter mitteilt, soll an der Unfallstelle außerdem ein so genanntes Ghostbike aufgestellt werden. Weißgestrichene Fahrräder sollen im Straßenverkehr an tödlich verunglückte Radfahrer erinnern. Das erste Mahnfahrrad in Essen ist 2016 am Bismarckplatz aufgestellt worden.

Die Essener Polizei sucht weiterhin Zeugen des Verkehrsunfalls. Hinweise werden erbeten unter der Rufnummer 0201/8290.

Als der so gewarnte Lkw-Fahrer (42) schließlich in Höhe der Bert-Brecht-Straße anhielt, muss er einen Nervenzusammenbruch erlitten haben. „Nie im Leben habe ich einen Mann derart Weinen gehört“, sagt ein Zeuge.

Anhand der Blutspuren im Asphalt weiß die Polizei immerhin sehr genau, wo der südwärts fahrende Lkw den Radfahrer erfasst hat: wohl in Höhe der Einmündung Schwanenkampstraße, wo die bunten Spray-Striche der Polizei beginnen.

Postbotin: „Ich wünsche mir hier einen ordentlichen Radweg“

In Höhe der Bert-Brecht-Straße nahe einem Autohaus kam der Unfall-Lkw am Mittwoch (22. September) zum Stehen. Den Radfahrer samt Fahrrad hatte er mehrere Hundert Meter mitgeschleift. Unser Bild ist am Donnerstag entstanden.
In Höhe der Bert-Brecht-Straße nahe einem Autohaus kam der Unfall-Lkw am Mittwoch (22. September) zum Stehen. Den Radfahrer samt Fahrrad hatte er mehrere Hundert Meter mitgeschleift. Unser Bild ist am Donnerstag entstanden. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Gut möglich, dass dieser den langsam ansteigenden Radweg ab Frohnhauser Straße in südliche Richtung befahren hat. Der rötlich gepflasterte Radfahrstreifen ist optisch gut hervorgehoben, daneben liegt ein breiter asphaltierter Weg für Fußgänger. Radfahrer vor Ort beklagen, dass ihr Fahrstreifen bedrohlich nah an der Straße liege. „Wer stürzt, fliegt auf die Fahrbahn“, sagt einer. Ist genau das dem 85-Jährigen passiert?

Beim folgenden Abschnitt weiter südlich zwischen Einmündung Höhe Schwanenkampstraße und Schederhofstraße handelt es sich um einen durchgängig asphaltierten Gehweg, den auch Radfahrer mitnutzen dürfen. Es ist ein problematisches Terrain: höchstens zwei Meter breit, teilweise zugewachsen mit Brombeersträuchern und immer wieder Huckelpiste. Eine Postbotin, die diesen Abschnitt seit fünf Jahren befährt, klagt: „Ich wünsche mir hier einen ordentlichen Radweg.“

Rennradfahrer nutzen häufig die selbe Fahrbahn wie die Autofahrer

Trotz dieser Widrigkeiten befahren zahlreiche Radfahrer den Gehweg – auch in beide Richtungen, wodurch es noch enger wird. Ab Mittags geht dort nicht nur die Post ab, sondern auch die Pizza. „Dann herrscht Hochbetrieb auf dem Gehweg, weil Lieferdienste per Rad Essen ausliefern“, berichten sie im Autohaus. Rennradfahrer lassen es übrigens auf diesen Nervenkitzel ankommen: Sie meiden den Gehweg und nutzen mutig dieselbe Spur wie Autofahrer.

Der tödliche Rad-Unfall rückt die Sicherheit von Radfahrern und anderen schwachen Verkehrsteilnehmern auf Essener Straßen erneut in den Fokus. Aber die Leute aus dem Autohaus wissen auch von Rüpel-Radfahrern zu berichten, die Autofahrern auf der abschüssigen Strecke das Leben schwer machten. „Die kommen von der Brücke regelrecht runtergeflogen, es ist eine Katastrophe.“