Essen. Den Mitte-Süd-Wahlkreis ein drittes Mal direkt zu holen, wird für Matthias Hauer nicht leicht. Serie Essener Kandidaten zur Bundestagswahl.
Wie viel an Gewicht die CDU diesmal verliert, das muss sich erst noch zeigen. Bei ihm selbst werden es am Ende wohl gut fünf Kilo sein, Matthias Hauer weiß das aus Erfahrung: Unterwegs sein von früh bis spät und politisch jederzeit präsent, wie wenn man eine Schreibtischlampe anknipst, dazu das unregelmäßige Essen, wenn’s überhaupt ins Zeitkorsett passt und nicht zwischen zwei Terminen irgendwas hintergeschlungen wird – Wahlkampf schlaucht, und dieser hier anno 2021 wohl ganz besonders.
Es hilft ja nichts, drumherum zu reden: „Ich würde mir schon Rückenwind aus Berlin wünschen“, sagt Hauer, überzeugt, auch in den vergangenen vier Jahren einen guten Job im Bundestag gemacht zu haben. Das gelte es jetzt, jedem nahezubringen, dafür „rödel ich den ganzen Tag“, sagt er. Und erfährt doch die Begrenztheit seiner Möglichkeiten, spürt, wie ihm der Wind, der ihn schon zweimal für vier Jahre nach Berlin getragen hat, diesmal ziemlich ins Gesicht bläst. Nicht zuletzt, weil er sich als Chef von 2200 Essener Christdemokraten intern stets für Armin Laschet stark gemacht hat, an dem sich jetzt alle abarbeiten – zu Unrecht, wie Hauer findet, trotz mancher Ungeschicklichkeiten.
Hauer ist der ungekrönte „Twitter-König“ des Parlaments und „König der Nacht“ dazu
Dass ihn die Umfrageschwäche des Kanzlerkandidaten und seiner Partei am Ende den Posten im Parlament kosten könnte, dieser Gedanke treibt ihn nicht sonderlich um, meint der 43-jährige Jurist, weil es „ja eh nichts bringt, wenn man sich jeden Tag verrückt machen würde“. Und doch: „Ich nehme das ernst“.
Sicher auch, weil Matthias Hauer nur zu gut weiß, welches Eigenleben ein verpatzter Auftritt, ein peinliches Foto, ein missglückter Satz in der digitalen Welt bekommen kann. Denn er gilt in Berlin nicht nur als Finanz- sondern auch als Digitalisierungs-Experte seiner Partei, nahezu omnipräsent beim Kurznachrichtendienst Twitter, weshalb ihn das Magazin „politik&kommunikation“ nach einer monatelangen Analyse im vergangenen Jahr unter 540 der 709 Abgeordneten zum ungekrönten „Twitter-König“ des Bundestags ausrief – noch vor dem Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion Marco Buschmann, Renate Künast von den Grünen und SPD-Chefin Saskia Esken.
Ein Schwächeanfall am Rednerpult machte den Essener CDU-Chef bundesweit bekannt
Und noch einen zweiten Titel räumte Hauer dabei ab: den 1. Platz in der Rubrik „Könige der Nacht“, weil er am meisten Tweets zwischen null und sieben Uhr absetzte. Politik sei eben sein Hobby, sagt er dann fast entschuldigend, und es wundert niemanden, dass dieser Einsatz auch seinen Tribut fordert: Zurück von einer Dienstreise nach Haiti und die Dominikanische Republik erlitt Hauer im November 2019 am Rednerpult des Bundestags einen Schwächeanfall, der ihn bundesweit bekannt machte und ihm hernach den ersten Krankenhausaufenthalt seines Lebens in der Charité bescherte.
Es wäre ihm fraglos lieber gewesen, seine Arbeit im Finanzausschuss oder als Obmann der CDU im Wirecard-Untersuchungsausschuss hätten ähnlichen Widerhall gefunden, zumal er sich da auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz vorknöpfen durfte. Aber Politik ist eben kein Wunschkonzert, sondern ein Mannschaftssport mit verteilten Rollen, so wie die Fußballtruppe des Deutschen Bundestags, in der Hauer die Abwehr stärkt und nicht den Sturm, folglich hat er „noch nie ein Tor geschossen“.
Ein Hilferuf machte ihn zum Außenpolitiker: „Sie sind der einzige, der uns retten kann“
Und ist doch, sagt er, da, wenn und wo man ihn braucht: Als stellvertretender Vorsitzende der NRW-Landesgruppe, im Einsatz fürs Ruhrgebiet und die Essener Interessen und zur Not auch als Aushilfs-Außenpolitiker, um eine Essener Familie sicher aus der afghanischen Hauptstadt Kabul herauszubekommen: „Herr Hauer, Sie sind der einzige, der uns retten kann“, hatte diese verzweifelt formuliert.
„Das stimmt vielleicht gar nicht“, sagt Hauer, „aber es macht was mit einem.“ Also hängte er sich rein, erfolgreich, und will das auch bei seinen Stamm-Themen weiter tun, als politisches Gewicht für Essen: „Es ist noch keiner zu mir gekommen, um zu sagen: Sie haben das schlecht gemacht.“ (woki)