Essen. Gerettet: Die Essenerin, die mit ihrer Tochter in Afghanistan festsaß, ist in wieder zu Hause. Kollegin: „Sie ist so glücklich und dankbar.“

Die junge Essenerin, die mit ihrer kleinen Tochter (6) in Afghanistan festsaß, ist am Dienstagabend (17. August) aus Kabul ausgeflogen worden und nach einer Zwischenlandung in Usbekistan am Mittwochnacht (18.8.) in Frankfurt gelandet. Inzwischen sind die beiden wieder zu Hause in Essen. „Sie ist so glücklich und dankbar“, erzählt eine Kollegin, die sie zusammen mit dem Praxisteam am Flughafen Frankfurt in Empfang genommen hatte.

Die Ausreise hatte sich zuvor zu einem nervenaufreibenden Ringen entwickelt. „Wo es um Leben und Tod geht, muss alles andere zurückstehen“, hatte der Essener Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer erklärt, der mit allen an der Evakuierung beteiligten Stellen in Kontakt stand.

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Sonia T. (29) war vor drei Monaten mit ihrer sechsjährigen Tochter nach Afghanistan gereist, um ihre kranke Mutter zu besuchen. Eigentlich wollte sie nach fünf Wochen nach Essen zurückkehren, doch in der Zwischenzeit hatte man ihre Papiere gestohlen und es erwies sich als fast unmöglich, in dem in Krieg und Chaos versinkenden Land neue Visa und Ausweise zu erhalten. Als die 29-Jährige am Montag (16. August) endlich alle Unterlagen und ein Flugticket hatte, scheiterte die Ausreise im Chaos am Flughafen Kabul: „Ich konnte nicht weg: Alle wollen raus, weil sie Angst vor den Taliban haben.“

Taliban bedrohen das kleine Mädchen

Auch sie selbst hat furchtbare Angst, vor allem um ihre kleine Tochter: Das Mädchen hat die deutsche Staatsangehörigkeit und wird deshalb von den Taliban bedroht, ist nicht mal im Wohnhaus der Großmutter sicher: „Da hängt schon ein Zettel: ,Es ist ein deutsches Kind in diesem Haus: Wir müssen dieses Kind holen und töten.’“

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Die Kollegen und Kolleginnen aus der Zahnarztpraxis in Essen-Frohnhausen, in der sie arbeitet, haben seit Wochen versucht, ihre Rückkehr nach Deutschland zu organisieren. Sie hätten mit Auswärtigem Amt, Ausländerbehörde, Botschaften, Bundestagsabgeordneten… gesprochen, sagt Christiane Beyrich aus dem Praxisteam: „Immer wieder hieß es, es gebe Evakuierungspläne, immer wieder wurden wir vertröstet.“ Nun sei es womöglich zu spät.

Bundeswehr will Luftbrücke einrichten

Doch im Moment höchster Verzweiflung kam Bewegung in das zähe Ringen um die Rückkehr nach Deutschland. „Sie steht jetzt auf der Liste für die Evakuierungen nach Deutschland“, erklärte der Essener Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer (CDU), an den sich das Praxisteam zwischenzeitlich gewendet hatte, am Dienstagnachmittag. Das erste Flugzeug der Bundeswehr war am Montag mit nur sieben Passagieren nach Deutschland geflogen. Die deutschen Behörden begründeten das mit den chaotischen Zuständen am Flughafen Kabul. Am Dienstagnachmittag startete eine weitere Maschine mit 125 Passagieren – noch ohne Sonia T. und ihre Tochter.

Sonia T. und ihre Tochter saßen drei Monate in Afghanistan fest.
Sonia T. und ihre Tochter saßen drei Monate in Afghanistan fest. © Beyrich

Die Bundeswehr plante aber eine Luftbrücke nach Deutschland: So sollten afghanische Ortskräfte, Botschaftspersonal, aber auch andere deutsche Staatsangehörige ausgeflogen werden. Angesichts der anrückenden Taliban, der Schusswechsel und der in Todesangst fliehenden Menschen ein so schwieriges wie lebensgefährliches Unterfangen. Matthias Hauer versprach: „Wir machen uns stark, dass sie und ihre kleine Tochter mit der nächsten Maschine aus dem Land kommen.“ Auch für zwei weitere Essener, die in Afghanistan festsitzen, werde an einem Rücktransport gearbeitet. Einer von ihnen ist inzwischen zurück in Deutschland.

Kollegen und Kolleginnen bangen um Sonia T. und ihre Tochter

Über ihren Chef, Zahnarzt Peter Hentschel, hielten Hauer und die deutschen Behörden am Dienstag Kontakt zu der jungen Frau, um sie an einen sicheren Ort zu lotsen. Weil sich die Lage in Kabul minütlich zuspitze und jeder Weg riskant sei, habe man der 29-Jährigen den Standort und Lagepläne zukommen lassen. Am Dienstagabend berichtet Christiane Beyrich dann, dass Sonia T. mit ihrer Tochter wohlbehalten in der Sicherheitszone angekommen sei. Sie sei nun in der Obhut der Bundeswehr und höre sich viel zuversichtlicher an. Und am Mittwochmorgen hat Beyrich neue gute Nachrichten: „Sie hat einen Platz in der dritten Bundeswehrmaschine bekommen, die noch am Dienstagabend nach Usbekistan geflogen ist.“ Am Mittwochmorgen habe sich Sonia T. noch einmal bei ihr gemeldet, dass sie dort nun gelandet ist.

Flughafen ist schon wieder gesperrt: „Das war knapp“

„In der Zwischenzeit habe ich eine Mail von der Botschaft in Kabul bekommen, in der es heißt, dass der Flughafenbereich, von dem aus die Bundeswehrmaschinen gestartet sind, schon wieder gesperrt ist“, erzählte Beyrich später und seufzte: „Das war eine ganz knappe Kiste.“ Doch nach der Landung in Usbekistan lief die weitere Rückreise offenbar problemlos: Mutter und Tochter kamen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag (18./19.8.) gegen halb zwei in Frankfurt an: Etwa eine Stunde später konnten die acht Kollegen und Kolleginnen aus der Essener Zahnarztpraxis in die Arme nehmen. „Es war sehr emotional“, erzählt eine der Kolleginnen.

Das Team hatte für den Schulstart der kleinen Tochter am Donnerstag (19. August) schon Tornister, Hefte, Malstifte etc. besorgt. Ob die Kleine tatsächlich an der Einschulungsfeier teilnehmen kann, müsse man noch sehen, sagt die Kollegin: „Die beiden waren ja erst um sechs Uhr morgens zu Hause in Essen.“