Essen. Premiere im Grillo-Theater Essen: Wie Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung von „Früchte des Zorns“ nach dem Stream live auf der Bühne erscheint.
Angesichts von Menschen auf der Flucht, Fremdenfeindlichkeit und zunehmenden Naturkatastrophen hat politisches Theater Konjunktur. Allein am Grillo-Theater Essen sind wegen des Corona-Lockdowns und immer wieder verschobener Premierentermine nun gleich zwei Produktionen des Regisseurs und Autors Hermann Schmidt-Rahmer („Die Hauptstadt“) zu sehen. Nach Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ kommt John Steinbecks „Früchte des Zorns“ auf die Bühne. Es ist der Roman der Stunde.
Flüchtlingsdrama erntet Anfeindungen, dann den Pulitzerpreis
https://www.waz.de/staedte/essen/essener-studio-buehne-startet-mit-politischem-musical-durch-id232965035.htmlDas Drama von 1939, das zunächst Anfeindungen erntete, wurde kurz darauf mit dem Pulitzerpreis gekrönt und mit Henry Fonda verfilmt. Es basiert auf einer wahren Geschichte, die der später mit dem Nobelpreis geadelte Steinbeck als Journalist recherchiert hatte. Tief blickt er damit in die Abgründe Amerikas zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, die von einer Dürrekatastrophe begleitet wurde. Was da noch als Plage durch den Zorn Gottes galt, ist hier ein Flüchtlingsstrom aufgrund klimatischer Veränderungen, die selbst verschuldet sind.
Die ausgetrockneten Böden ihrer Farm in Oklahoma ernähren die Großfamilie Joad nicht mehr. Sie brechen nach Kalifornien auf, um als Erntehelfer auf Orangenplantagen zu arbeiten. Doch statt ins erhoffte Paradies zu gelangen, begegnet ihnen Hass und Ausgrenzung. Der unerbittliche Kampf zwischen Flüchtlingen und Einheimischen rafft die Familie dahin. Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer erzählt ihre Geschichte in seiner Bühnenfassung, die zunächst als Stream-Version zu sehen war, auf der Projektionsfläche eines von Thilo Reuther komplett weiß eingerichteten Hauses. Doch sie findet nicht im Leben von Farmern, sondern von wohlsituierten, gut gekleideten Menschen (Kostüme: Pia Maria Mackert) statt.
Der Regisseur und Autor („Clockwork Orange“) spiegelt „zu 100 Prozent Steinbeck“, aber aus einer anderen Perspektive und mit umgestellten Figuren. „Die Fassung beschreibt dieses Verlieren von Heimat aus unserer Perspektive, aus der Sicht weißer Mittelstandsbürger. Man ist da stärker eingebunden“, erklärt Hermann Schmidt-Rahmer. Deshalb gibt es keinen Dreck, keine Malocherklamotten, keine Beschimpfungen von Gegnern. „Die Reise findet in ihren Köpfen statt, die reisen zu sich selber. Die Trennung ist aufgehoben.“ So werden die Feinde von den Schauspielern gleich mit übernommen.
Videoprojektionen machen die Angsttraumdramaturgie deutlich
Ausgangspunkt für diese Inszenierung ist zum einen der ökologische Zwang mit verkarsteten Böden und Wassermangel, den Steinbeck in Landschaftsbildern beschreibt. Sie zeigen sich in Videoprojektionen von Alexandra Costa Pinto, die die Angsttraumdramaturgie deutlich machen. „Der Ort bekommt durch die Bilder eine andere Bedeutung“, so der Regisseur. Zum anderen greift er auf die Erkenntnisse des Politikwissenschaftlers Parag Khanna zurück. „In seinem Buch ,Move - Das Zeitalter der Migration’ geht der davon aus, dass Zweidrittel der Weltbevölkerung im Laufe der nächsten Jahrzehnte durch den Klimawandel umziehen muss.“
Im Roman ist die Odyssee der Joads trotz der weitgehend dezimierten Familie nicht zu Ende. Sie müssen der Arbeit hinterherziehen wie in dem oscargekrönten Schwarzweiß-Film von John Ford. Am hoffnungsvollen Schluss meint die Mutter: „Wir sind nicht totzukriegen.“ Ob das auch für das politische Theater des Hermann Schmidt-Rahmer gilt, wird sich bei der Premiere von „Früchte des Zorns“ auf der Grillo-Bühne zeigen.