Essen. . Hermann Schmidt-Rahmer bearbeitete das Gewaltdrama „Clockwork Orange“ für das Grillo-Theater. Im Fokus steht die Manipulation des Gehirns

Es ist ein halbes Jahr her, da wurde in Berlin ein 20-Jähriger am Alexanderplatz zu Tode geprügelt. Vor ein paar Tagen wurde einem 17-Jährigen am Essener Bahnhof ins Gesicht getreten. Brutale Übergriffe gibt es überall. Wie der Staat mit Hilfe der Wissenschaft gegen Gewalttäter vorgeht, sie sogar moralisch repariert, dachten Anthony Burgess in seinem Roman „A Clockwork Orange“ und Stanley Kubrick in der meisterhaften Verfilmung „Uhrwerk Orange“ bereits vor Jahrzehnten an. Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer entwickelte für das Schauspiel Essen eine neue Fassung. Er verknüpft den Stoff mit den Möglichkeiten der modernen Hirnforschung.

"Ich dachte, ich kann nichts mehr anderes machen"

Hermann Schmidt-Rahmer befasst sich noch nicht lange mit gesellschaftlich relevanten Themen. „Das ist neueren Datums“, sagt er. Auf Umwegen hat er sich herangetastet, ebenso wie zuvor an die Regie selbst. Der gebürtige Düsseldorfer, behütet aufgewachsen in der Vorstadt, studierte zunächst Musikwissenschaft, besuchte die Schauspielschule, war engagiert an renommierten Theatern wie der Berliner Volksbühne oder dem Wiener Burgtheater. „Es lief ganz gut als Schauspieler“, erzählt er. „Aber den künstlerischen Prozess selbst zu gestalten, hat mich mehr interessiert.“

Seit 1990 arbeitet er als freier Regisseur, lange in einem „ästhetisch extrem breiten Rahmen, der vom Musical über Oper, psychologisch-realistische Stücke und Boulevard bis zu experimentellen, freien Formen reichte“. Die Formenfindung habe ihn über Jahre umgetrieben, so Schmidt-Rahmer. Mit dem Eintritt von Elfriede Jelineks „Rechnitz“ in seine Theaterarbeit sorgte eine politische Qualität für schärfere Konturen. Es folgte die gefeierte „Ulrike Maria Stuart“ in Essen und „Ein Sportstück“ in Nürnberg. „Ich war so fasziniert von ihren Stoffen und der literarischen Qualität, dass ich dachte, ich kann nichts mehr anderes machen.“

An exzessiv dargestellter Gewalt kommt man nicht vorbei

Schmidt-Rahmer kann. Er setzt sich im Berliner Theater Hebbel am Ufer mit künstlicher Intelligenz auseinander und dem Digitalpionier Ray Kurzweil, der prognostiziert, dass wir noch in diesem Jahrhundert ein denkendes Wesen bauen können. „Der Stoff von Anthony Burgess ist ein Vehikel dafür. Ich will nicht die Geschichte von seinem Alex erzählen, die ich für etwas angestaubt halte. Es geht um hemmungslos in Gewalt schwelgende junge Menschen. Sie geraten in eine Therapiemaschine, die aus ihnen gute Gesellschaftsmitglieder macht“, erklärt der 52-Jährige.

Nur dass Gehirnwäsche durch Konditionierung wie in den 1960er Jahren nicht mehr das Mittel der Wahl ist, sondern computergesteuerte Neurochirurgie. „In einer Gesellschaft, die das Böse als Gehirnkrankheit begreift, kann sie durch einen Eingriff behoben werden. Absolut erschreckend“, meint er und lässt Texte der deutschen Hirnforscher Wolf Singer und Gerhard Roth in die Inszenierung einfließen ebenso wie die Mitarbeit der Schauspieler, Musik und Videos.

Seine Version, bei der es letztlich um den freien Willen oder die Sicherheit geht, könnte sich als die Horrorshow entpuppen, die sie ursprünglich einmal war. Ohne die Demonstration von Brutalität ist das jedoch kaum möglich: „An exzessiv dargestellter Gewalt kommt man nicht vorbei“, gibt der in Berlin lebende Theatermacher zu. Müsste er seine Aufführung einer Freiwilligen Selbstkontrolle wie beim Film unterziehen, fiele die Freigabe hoch aus: „Wenn ich an meinen 12-jährigen Sohn denke, würde ich sagen ab 16.“