Essen. Brechts Parabelstück „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ zeigt in Essen, wie radikaler Egoismus dafür sorgt, dass es beim Oben und Unten bleibt.

Rassenkampf statt Klassenkampf: Brechts selten gespieltes „Greuelmärchen“ mit dem Titel „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Reich und Reich gesellt sich gern“ entstand in den 1930ern als Reaktion auf den aufkommenden Nazi-Faschismus, den Bertolt Brecht als Folge der kapitalistischen Wirtschaftsform begriff. Die Parabel, geschrieben im dänischen Exil, war auf deutschen Bühnen bislang nicht allzu gefragt: zu abstrakt, zu verworren. Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer hat das entlegene Stück nun für das Schauspiel Essen reaktiviert.

Seine Essener Fassung kann die Vorbehalte nicht ganz ausräumen. Sie entkernt die Brecht-Vorlage allerdings klug, sorgt sprachlich und inhaltlich für eine neue Setzung und findet dabei viel Gegenwartsbezug, ohne auf vordergründige Aktualisierung zu setzten. Was wir also nicht sehen, sind Zerrbilder von Politikern wie Trump oder Bolsonaro, die Politik um des eigenen Profits willen machen.

Die rundköpfigen Tschichen und die spitzköpfigen Tschuchen – sie alle sind, egal welcher Volkszugehörigkeit und welchen Standes, auf ihren bloßen Vorteil aus: manche arrogant und berechnend wie der reiche Pachtherr de Guzmann (schön als schreckhaft-exaltierter Pfau: Alexey Ekimov), der die Bauerntochter Nanna (stark als geschundene Zweiflerin: Silvia Weiskopf) missbraucht haben soll und sich nun der drohenden Todesstrafe entziehen will. Manche bräsig und bauernschlau wie der Pächter Callas, der aus dem Vergehen an seiner Tochter noch Kapital schlagen und nun keine Pacht mehr zahlen will.

Jan Pröhl singt im Jargon von Dittsche

Arm oder reich – moralisch wird das Stück für alle zur Bankrotterklärung. Die Kaste der „politisch interessierten Leistungsträger“ ist allein mit sich selbst beschäftigt, die Justiz ist so berechnend wie der Strippenzieher Blondo korrupt. Stefan Diekmann formt aus der grellgelb perückten Gestalt einen gewieften Politstrategen, der sich so selbstverständlich an fremdem Fleisch vergreift wie der Callas an Pferden seines Pächters. Denn „Nur was man hat, hat man“, singt Jan Pröhls Callas mit einem an Olli Dittrichs „Dittsche“-Kultfigur erinnernden Sprach-Jargon zur Musik von Hanns Eisler.

Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer, der Gegenwartsbezug sonst eher in plakativen Politanspielungen und grellen Videoeinspielungen sucht, vertraut diesmal ganz auf die Kraft der Textfassung und das famose Ensemble in seinen Ganzkörpersuits von Pia Maria Mackert, die für ausreichend Verfremdung sorgen und für ebenso sonderbare wie starke Bilder.

Daniel Angermayrs Bühnenraum rahmt die Handlung

Diese archaischen Gestalten mit ihrer delligen Marmorhaut und den grotesk ausgestellten Stoffgenitalien unterscheidet weder die Hautfarbe noch der Hang, immer neue Feindbilder zu schaffen, um so die eigene Position zu verbessern. Bühnenbildner Daniel Angermayr hat ihnen dafür einen variablen, durchlässigen Bühnenraum geschaffen, der die Handlung eher rahmt als illustriert, während eingeblendete Schriftzüge die verschiedenen Kapitel einleiten und kommentieren. Dazu ragt ein langer Laufsteg in den Zuschauerraum, der allerdings mehr Barriere ist als Verbindung.

Die Grenzen zwischen der besitzenden und der besitzlosen Klasse immerhin scheinen in diesem Stück für einen Moment offen. Doch auch „Überläufer“ wie der arme Bauer Callas finden sich am Ende auf dem staubigen Boden der Tatsachen wieder. Pächter und Verpächter werden in ihre alten Positionen entlassen. Das Oben und Unten bestimmt weiter die Gesellschaftsordnung. Nur wer die Regeln partout nicht akzeptieren will, wie der unbelehrbare Revoluzzer Lopez, wird am Ende aufgehängt.

Lang anhaltender Applaus.

Weitere Termine: 29./30. September. Tickets: www.theater-essen.de