Essen. Studio-Bühne startet mit „Heute Abend Lola Blau“ in die neue Spielzeit. Warum das Theater nach dem Lockdown mehr über die eigene Geschichte weiß
2020 wurde die Studio-Bühne hart getroffen. Nach Rettung und Renovierung des Standorts starb unerwartet die langjährige künstlerische Leiterin des engagierten Amateurtheaters, Kerstin Plewa-Brodam. Die Essener Theaterwelt war erschüttert. „Es war ein trauriger Start in das Jahr“, sagt Michael Steinhorst, Vorsitzender der Studio-Bühne. Kurz darauf legte die Verbreitung des Corona-Virus das Haus an der Korumhöhe lahm. Vieles blieb liegen. Ab Ende August wird wieder durchgestartet und der Premierenstau abgebaut. Mit „Heute Abend Lola Blau“ geht es Ende August los.
Die jungen und älteren Akteure haben vieles vermisst. „Der Lockdown hat dem Vereinsleben nicht gut getan. Das Persönliche fehlte. Mit einer Zoom-Konferenz kriegt man das nicht hin“, erzählt Michael Steinhorst, der seit 2013 den Verein federführend vertritt. Es musste genau getaktet werden, wer und wie viele kommen dürfen, zum Beispiel für Proben. Das 30-jährige Jubiläum der Studio-Bühne, bei der die Kinder- und Jugendförderung gefeiert werden sollte, musste gestrichen werden. In den wenigen Wochen, in denen gespielt werden durfte, waren groß besetzte Produktionen wie „Einer flog über das Kuckucksnest“ nicht möglich. Was besonders schmerzte, denn es war die letzte Regie-Arbeit von Kerstin Plewa-Brodam.
Archiv auf dem Dachboden eingerichtet
Auch wenn derzeit niemand allein ihre Fußstapfen ausfüllt, so wurde und wird in ihrem Sinne weitergearbeitet. Im luftigen Treppenhaus. Mit bis zu drei Spielerinnen und Spielern. Unter den aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen. Nur 25 Vorstellungen in acht Wochen mit 12 Personen konnten stattfinden, üblicherweise wären es 130 pro Saison mit jeweils 50 Personen. Und die Zeit wurde genutzt, um ein Archiv auf dem Dachboden einzurichten. Material von den Vorgängerorganisationen der Studio-Bühne gibt es reichlich. Es begann 1951 mit der Jugendgruppe Essen-West. Seither wurden Mitgliederlisten, Kassenbücher, alte Textbücher oder Fotoalben aufbewahrt. „Wenn man weiß, wo man herkommt, weiß man, wo man hingeht“, erklärt Steinhorst das Unterfangen.
Richard Wilke spielt dabei eine wichtige Rolle. „Er war als 17-Jähriger in einem Schülerprojekt. Jetzt, nach dem Studium, ist er nach Essen zurückgekehrt und fragte, ob er etwas tun könne und nahm sich das Archiv vor“, berichtet Michael Steinhorst und betont, dass so mancher nach Jahren wieder vor der Tür steht. „Für viele ist es ein Zuhause.“ Auch Anke Kortmann arbeitet gerne mit: „Das muss man erstmal schaffen, Menschen auf Dauer an sich zu binden.“ Die Gewandmeisterin des Grillo-Theaters ist seit 2012 dabei -neben ihrem Beruf ehrenamtlich. Sie weiß vor allem die Herzlichkeit und die Offenheit zu schätzen.
Das Schicksal einer jüdischen Sängerin
„Von Mäusen und Menschen“ war ihr erstes Projekt, ihr jüngstes ist „Heute Abend Lola Blau“. Georg Kreislers Musical für eine Schauspielerin wurde vor genau 50 Jahren uraufgeführt. Damit steht indirekt doch ein Jubiläum ins Haus. Es ist Ende der 1930er Jahre angesiedelt und erzählt mit zwölf bösen wie hintersinnigen Chansons in 80 Minuten von einer jüdischen Sängerin, die vor den Nazis flieht und kein Zuhause mehr findet. „Es ist melancholisch und schwungvoll und leider noch aktuell. Der Antisemitismus ist ja nicht weg“, betont Michael Steinhorst.
Für diese Odyssee zum Auftakt der kommenden Spielzeit hat Anke Kortmann wollige Reisekostüme, glamouröse lange Kleider und seidige Morgenmäntel zusammengestellt, die sich auf einer Kleiderstange drängen. Lehrerin Sandra Busch ist als Sängerin zu erleben. „Es ist Selbstgemachtes dabei aus Stoffen, die ich seit Jahren horte, es sind Sachen aus meinem Kleiderschrank und dem der Hauptdarstellerin. Das ist das Spannende an der Studio-Bühne. Man muss mit mehr Phantasie arbeiten, weil es kein großes Budget gibt“, erklärt sie. Acht Kostüme sind entstanden. Damit die Umzüge schnell vonstatten gehen, steht sogar erstmals eine Ankleiderin bereit.
Michael Steinhorst ist guter Dinge. Der Corona-Sonderfonds der Stadt Essen hat geholfen, durch die langanhaltende Krise zu kommen. Die Wiedereröffnung mit „Judas“ wurde zum vollen Erfolg. Nun kann die neue Spielzeit kommen. Dass es mit „Lola Blau“ losgeht, freut ihn ganz besonders. „Es bringt die Liebe, die wir für das Theater haben, rüber“, sagt er. „Und es ist ein Stück, das Kerstin noch auf dem Zettel hatte.“