Essen-Kray. Vor acht Jahren gründeten Matthias Rietschel und sein Team das Übehaus Kray. Nun geht der Projektleiter in den Ruhestand. Was er nun vor hat.

Vor acht Jahren wurde das Übehaus Kray gegründet. Seitdem haben Matthias Rietschel und sein Team Tausenden Kindern die Welt der Musik nähergebracht. Nun geht der Projektleiter in den Ruhestand. Was er nun plant.

Der Abschied von Matthias Rietschel (65) wurde, wie sollte es anders sein, von Musik begleitet. Gemeinsam mit Kindern aus dem Stadtteil hatten drei seiner Übehaus-Kollegen – Thomas Bracht, Mohammed Khaled und Sujeewa Schimaniak – Lieder erarbeitet, die von Kinderrechten handeln. „Bildung ist ein in der UN-Konvention verankertes Kinderrecht“, erklärt Matthias Rietschel beim Konzert im Rathaus Kray, wo das Übehaus beheimatet ist.

Das Übehaus in Essen-Kray erreicht jede Woche 450 Kinder

Dass diese Lieder während der Übungsstunden im eigenen Haus entstanden, versteht sich von selbst: „Wir erreichen 450 Kinder in der Woche, arbeiten mit drei Grundschulen im Stadtteil kontinuierlich zusammen“, sagt Rietschel. Seit Gründung im Jahr 2013, damals noch als Abteilung der Krayer Bürgerschaft, sei das Übehaus Kray stetig gewachsen, was im Jahr 2016 in einen Verein mündete. Und Matthias Rietschel, ein Franke aus Schweinfurt, war nimmermüde treibende Kraft.

Seine Eltern stammen aus Ostdeutschland. Sein Vater war ein sehr guter Geiger, „der gerne Musik studiert hätte“. Blieb es daheim bei Hausmusik mit seinen vier Brüdern, zog es Rietschel als Cellist ins Landesjugendorchester. „Mit 16 Jahren war ich da ein Spätberufener, aber dort habe ich viel gelernt.“

Studium der Theologie in Hamburg

In Würzburg besuchte Rietschel ein musisches Gymnasium, wechselte aber ein Jahr später nach Detmold „weil mir das bayerische Bildungssystem nicht zusagte“. Doch schnell wurde dem „Freigeist“, wie er selbst sagt, die Stadt zu klein. Rietschel zog es nach Hamburg an die Musikhochschule, um dort ein Jahr später ein Theologiestudium zu beginnen.

„In Hamburg bot sich mir die Chance, neben meiner Ausbildung zum evangelischen Diakon parallel auch Sozialarbeit zu studieren.“ Eine willkommene Kombination, „denn als Diakon bist du immer Angestellter der Kirche. Doch man kann auch Kirche außerhalb der Kirche machen. Das war mir immer wichtig“.

Kammerorchester in Bayern gegründet

Erika Rexing, Lesley Olson und Matthias Rietschel (v.l.) beim Abschied vor dem Rathaus Kray in Essen. Der Initiator und Leiter des Krayer Übehauses geht in den Ruhestand.
Erika Rexing, Lesley Olson und Matthias Rietschel (v.l.) beim Abschied vor dem Rathaus Kray in Essen. Der Initiator und Leiter des Krayer Übehauses geht in den Ruhestand. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Seine Diplome hatte Matthias Rietschel dann 1986 in der Tasche, war jedoch schon lange freiberuflich tätig. Bereits 1978 gründete er mit zwei Weggefährten aus dem Landesjugendorchester das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau. Jahrelang pendelte er zwischen Bayern und dem Ruhrgebiet, hatte Auftritte im In- und Ausland. Das Orchester musiziert noch immer, auch wenn Rietschel schon seit 20 Jahren dort nicht mehr aktiv zum Cello greift. „Auf diesem hohen Niveau zu spielen, verlangt eine Menge Training und Zeit“, sagt er. Zeit, die er einfach nicht mehr hatte, ob seiner vielen Projekte.

Neue Doppelspitze

Ab sofort übernimmt Lesley Olson die pädagogische Leitung im Übehaus Kray. Seit 1996 führt die gebürtige US-Amerikanerin Kompositionsprojekte in weiterführenden Schulen durch, ab 2004 leitete sie diese in Kooperation mit der Philharmonie Essen. Ab 2010 arbeitete sie dort in der Konzertpädagogik, als sie Schulklassen in das Konzertleben mit klassischer bis zeitgenössischer Musik einführte.

Die Geschäftsführung übernimmt Erika Rexing, Kauffrau und stellvertretende Vorsitzende in der Krayer Bürgerschaft.

Den Weg nach Essen fand er erstmals im Jahr 1987, wo er sich über eine Ausschreibung für drei Jahre den Job als Geschäftsführer des Folkwang-Orchesters sicherte. Nach einem weiteren beruflichen Intermezzo in Süddeutschland, später in Weimar, in Köln und Münster, kehrte er 2007 wieder in die Ruhrmetropole zurück. Michael Kaufmann, der erste Intendant der Essener Philharmonie, wollte mit Rietschel ein Programm mit Kindern entwickeln.

Netzwerker Rietschel knüpfte zeitgleich Kontakt zur evangelischen Pfarrerin in Kray, um mit Kita-Kindern Musik zu machen. „Wir arbeiteten einmal pro Woche im Einzel- und Gruppenunterricht“, sagt Rietschel, der dazu immer wieder Profimusiker gewinnen konnte.

Oft können Kinder zuhause nicht musizieren, das Übehaus Essen-Kray war die Konsequenz

Das Übehaus in Kray war dann beinahe logische Konsequenz. „Anne Bronst, damalige Rektorin der Joachimschule, wollte unsere Kita-Arbeit an der Grundschule fortsetzen“, so Rietschel. „Doch viele Kinder hatten nicht die Möglichkeit, zu Hause zu musizieren. Wir brauchten also ein Haus.“ Mit Hilfe des Essener Jugendamtes wurde dieser Wunsch im Jahr 1983 Realität.

Die Arbeit im Übehaus Kray unterscheidet sich grundsätzlich vom Schulunterricht: „Die Schule beschult, wir schauen auf die Stärken und Talente“, erklärt Rietschel. Dies sei schon der Konstruktion des Bildungssystems geschuldet. „Im Übehaus spielen die Kinder zwar noch kein Instrument nach Noten, aber erzeugen Töne. Auch das ist Musik.“

Das Team im Übehaus Kray verbindet sieben Nationalitäten. „Die Kinder finden deshalb hier ihre Wurzeln wieder, bringen ihre Kultur aber auch selbst ein.“ Rietschel habe viel von seinen Schützlingen gelernt, „wenn sie mir auf der Trommel vorgespielt haben, was ihr Opa zu Hause spielt“.

Das Übehaus Essen-Kray ist in den besten Händen

Seinen Ruhestand wird Matthias Rietschel in Dortmund genießen. „Ich bin bislang 27 Mal umgezogen, das reicht“, schmunzelnd er. Doch die Hände in den Schoß legen, will der 65-Jährige nicht. Er wird noch in Essen und Kray tätig sein und wird sich im Netzwerk für kulturelle Bildung für Kinder engagieren, das bundesweit organisiert ist. Und sich bei „Fridays for Future“ für ein besseres Klima stark machen. „Darauf hat mich meine Tochter gebracht.“

Um sein Übehaus Kray macht er sich keine Sorgen: „Unser Verein ist bei unserer neuen Doppelspitze Dr. Lesley Olsen und Erika Rexing in den besten Händen.“

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