Essen. Die jüngsten, teils gewalttätigen Vorfälle am Hallo-Friedhof wollen Stadt und Politik nicht einfach hinnehmen. Sie überlegen eine Gegenstrategie.

Das letzte Geleit durch ein Spalier von Polizisten und an der Zufahrt ein bärbeißiger Sicherheitsdienst statt städtischer Mitarbeiter – braucht es dies, um der Trauer Raum zu geben, wo zuletzt immer wieder Tumulte aufkamen? Zwei Wochen nach Bekanntwerden der Prügelattacke auf einen Friedhofs-Mitarbeiter am Hallo in Stoppenberg ringen Stadt und Politik um die Frage, wie sie auf immer neue Respektlosigkeiten und gelegentliche Gewaltausbrüche am Rande muslimischer Begräbnisse reagieren sollen.

So viel ist denen, die da am Mittwoch zur Sondersitzung des „interfraktionellen Arbeitskreises Friedhofswesen“ zusammenkamen, klar: Angesichts von 4401 muslimischen Begräbnissen in gut fünf Jahrzehnten sind es verschwindend wenige Vorfälle, die für Furore sorgen. Aber die prägen offenbar ein Klima der Verunsicherung und Angst, bei dem die örtliche Politik mittlerweile auch zu einschneidenden Maßnahmen bereit ist: Der Blick richtet sich deshalb auf eine Erweiterungsfläche am südlichen Zipfel des Stoppenberger Hallo-Friedhofs, geplant für immerhin 550 zusätzliche muslimische Grabstellen. „Wir wollen das“, sagt CDU-Ratsherr Wilhelm Maas, „wenn’s eben geht, verhindern“.

Drei Viertel der in Essen bestatteten Muslime lebten zuvor nicht in der Stadt

Ganz zu schweigen von einer Friedhofserweiterung auf dem jetzigen Modellflugplatz, wo zusätzliche 1500 Gräber entstehen könnten. Schon kündigt Arndt Gabriel vom Essener Bürger Bündnis (EBB) eine Initiative in den politischen Gremien an, um die Zahl der Beisetzungen am Hallo auf die jetzt noch rund 500 freien Grabstellen zu beschränken und stattdessen andere Friedhöfe in die Planung einzubeziehen.

Woher die verstorbenen Muslime stammen

In Essen gibt es insgesamt 23 städtische, 35 katholische und evangelische sowie fünf jüdische Friedhöfe (von denen aber vier geschlossen sind).

Bei muslimischen Begräbnissen steht der Friedhof Am Hallo in Stoppenberg im Fokus, weil es dort schon seit den 1970er Jahren eigens ausgewiesene Grabfelder gibt, die nach Osten ausgerichtet sind. Ein vergleichbares Grabfeld wurde zuletzt auf dem neuen Teil des Nordfriedhofs in Altenessen ausgewiesen. Hier ist Platz für 1139 Wahlgräber.

Von den 194 erwachsenen Muslimen, die im vergangenen Jahr in Essen bestattet wurden, waren 35 Libanesen, 28 Syrer, 21 Deutsche, 20 Serben, 15 Kosovaren, 14 Marokkaner, 11 Türken und 10 Afghanen. Die übrigen Verstorbenen kamen aus 17 weiteren Ländern, in acht Fällen war das Geburtsland unbekannt.

Manch einer sieht das skeptisch: Der Hallo-Friedhof wäre zwar entlastet, aber würde man damit das Problem nicht nur verlagern? Fest steht, dass der weitläufige Gottesacker in Stoppenberg sich in all den Jahren zu einem wahren Beerdigungs-Magneten für Menschen muslimischen Glaubens entwickelt hat: Drei Viertel der 1926 Erwachsenen und 2475 Kinder, die hier ihre letzte Ruhe fanden, lebten zuvor jenseits der Stadtgrenzen, über alle Bestattungen gerechnet lag die Quote 2020 etwa nur bei 19 Prozent.

Eine „Zuwanderungs-Klausel“ allein für muslimische Begräbnisse ist nicht haltbar

Kein Wunder, dass mancher in der Politik auf den Trichter kommt, diesen Trend durch eine „Zuwanderungs-Klausel“ für muslimische Begräbnisse in der Friedhofssatzung zu stoppen. Doch hier winken die städtischen Juristen ab: Eine Beschränkung käme nur für alle „Externe“ in Betracht – oder eben gar nicht. Und zudem würde man damit ja auch die vielen trauernden Muslime bestrafen, die sich wie selbstverständlich an Recht und Gesetz und die Friedhofsordnung halten.

Wie also umgehen mit den wenigen Respektlosen, die vor allem bei Großbegräbnissen mit bis zu 800 Trauergästen die gewohnte Ordnung außer Kraft setzen, gerne auf eigene Faust und gelegentlich sogar mit derselben? „Das Problem ist ja nicht neu“, heißt es bei der Stadt, „seit zehn Jahren justieren wir immer wieder nach“. Doch einige wenige Großfamilien, oft mit internationalen Verbindungen, hielten sich nicht an Regeln: Sie würden agieren wie es ihnen beliebt, vom Fahrverbot über die Möbelmitnahme aufs Gräberfeld bis zu den pandemie-bedingten Zutrittsbeschränkungen der Trauergemeinde – „immer wieder müssen wir das neu verhandeln, das ist wie auf dem Basar“, sagt einer der Beteiligten.

Polizei, Ordnungsdienst und Verfassungsschutz klären im Vorfeld mögliche Risiken ab

Wo die Stadt dann um des lieben Friedhofs-Friedens schon mal nachgibt, wird das als Schwäche ausgelegt, wo sie durchgreift, setzt es auch schon mal körperliche Attacken. Und manchmal lassen die Trauergäste auch schon mal untereinander allen Respekt fahren und prügeln sich darum, wer wegen Corona zu den 35 gehören darf, die mit ans Grab dürfen.

Wo Polizei, Kommunaler Ordnungsdienst und Verfassungsschutz im Vorfeld Risiken erkennen, recherchieren sie, ob sie in Mannschaftsstärke auflaufen müssen. Zudem soll ein wenig mehr Bürokratie helfen: Mit einer zentralen Terminvergabe will man sicherstellen, dass maximal eine muslimische Bestattung pro Tag erfolgt.

Die Stadt soll bis Jahresende aufzeigen, wie sich die Sicherheit verbessern lässt

Außerdem sollen die muslimischen Bestatter stärker in die Pflicht genommen werden. Denn die Prügelattacke vom 1. Juli habe wohl ihre Ursache in dem Umstand, dass der Bestatter damals den für den weitläufigen Friedhof ausgesprochen hilfreichen und fest zugesagten Shuttledienst für Gehbehinderte nicht bereitstellte. Dafür, so heißt es, kassierte er hernach eine Abmahnung. Künftig winkt bei Verstößen ein zeitlich befristeter oder – bei anhalten Problemen – gar dauerhafter Entzug der Bestattungs-Zulassung.

Derweil hieven CDU und Grüne das Thema auf die Tagesordnung des Umweltausschusses in der kommenden Woche. Dort geht man die Sache etwas grundsätzlicher an, nimmt auch Müllablagerungen, Vandalismus und Belästigungen in den Blick und erwartet bis zum Jahresende neben einem Lagebericht auch Vorschläge, wie sich Sicherheit und Ordnung auf den Essener Friedhöfen verbessern lassen.

Nur noch externe Sicherheitsleute? „Ich weiß, das klingt nach einer Bankrotterklärung“

Dabei weiß die Stadt längst: Mit Paragrafen und gutem Willen allein ist der nächste missliche Vorfall nur eine Frage der Zeit, also rüstet sie auf. So wird es schon deswegen keine Schläge fürs Friedhofspersonal mehr geben, weil bei erkennbar heiklen Begräbnissen künftig ausschließlich ein externer Sicherheitsdienst den Eingang kontrollieren soll, der im Idealfall seine Wurzeln im gleichen Land hat. „Ich weiß, das klingt nach einer Bankrotterklärung“, sagt ein städtisch Bediensteter seufzend, aber von dieser Linie verspricht man sich eine spürbare Entspannung.

Und am Tor steht zudem die Polizei. Sicher ist sicher.