Essen. Seit Jahren führt Jörg Gocke als „Jeanny“ durch die Travestie-Show im Revuepalast. Corona hat seinen Alltag komplett auf den Kopf gestellt.
Gummihandschuh statt Glitzerfummel: Der Travestie-Künstler Jörg Gocke aus Essen hat sich in der Corona-Zeit einen neuen Job gesucht. Wie sich sein Alltag dadurch verändert hat und warum er trotzdem glücklich ist.
Seit 2009 führt Jörg Gocke (43) als „Jeanny“ im glamourösen Abendkleid durch das Programm im Revuepalast Ruhr in Herten. Acht verschiedene Shows hat er in der Zeit schon mitgemacht – bis Corona kam und im März 2020 der Vorhang unten blieb. In der ersten Zeit habe er die Konsequenzen nicht wirklich realisiert, sich mit Toilettenpapier und Nudeln eingedeckt und gehofft, dass der Spuk nach einigen Wochen vorbei ist. Doch es kam anders.
Der Künstler stammt aus einer Essener Bergmannsfamilie
Jörg Gocke stammt aus einer Bergmannsfamilie, wuchs im Essener Norden auf, wo er bis heute lebt. Schon während der Zeit auf der Gustav-Heinemann-Gesamtschule hatte er nur einen Wunsch: „Ich will auf die Bühne.“ Nach der Schule absolvierte er aber erst einmal eine Bäckerlehre. „Ich wollte irgendeine Ausbildung haben, egal welche“, erinnert er sich. Schon in der Schule sei er gern aufgetreten, sei später eine Zeit lang „über die Dörfer getingelt“ und schließlich entdeckt worden.
Dass Glitzer, Glanz und Glamour sein Ding sind, hatte Gocke schon in den 1980er Jahren entdeckt, „als Mary und Gordy die Travestie salonfähig machten und die perfekte Show ablieferten“. Seinen ersten größeren Auftritt habe er mit 14 Jahren in der Zeche Carl bei einer Talentshow gehabt, berichtet Gocke, der als Imitator von Ute Lemper und Liza Minnelli viel Beifall bekam. „Aber natürlich war das anfangs Malen nach Zahlen, da war noch viel Luft nach oben.“
Unterstützung von Freunden und Familie
Jörg Gocke nahm Gesangsunterricht bei einer Jazzsängerin, veröffentlichte in den 1990er Jahren zwei CDs mit eigens für ihn geschriebenen Liedern. „Deutscher Schlager natürlich“, sagt Gocke und lacht.
Mit den Auftritten sei es gut gelaufen, manchmal habe er sogar mehrere an einem Abend gehabt. Gewohnt habe er damals noch zu Hause, auch wenn seine „Eltern nicht gerade vor Freude in die Luft gesprungen seien, dass ihr Sohn in Frauenklamotten auf der Bühne steht“.
Unterstützung von Freunden und Familie bekam er trotzdem. Auch ganz praktisch: „Zum Glück habe ich immer jemanden gefunden, der mich fährt. Ich habe nämlich keinen Führerschein“, sagt er. Die Tingelei fand 2009 ein Ende, als Jörg Gocke sein festes Engagement im Revuepalast Ruhr erhielt.
Corona sei schon ein harter Einschnitt gewesen, sagt der Künstler. Die Weihnachtsvorstellungen fielen aus, das Silvesterprogramm ebenfalls. „Ich war zum ersten Mal seit 30 Jahren Silvester zu Hause, ganz bewusst allein, und bin vor Mitternacht eingeschlafen“, erzählt Gocke, für den „Jeanny“ eine reine Kunstfigur, ein Job als Schauspieler, ist. „Privat laufe ich keineswegs in Frauenkleidern rum.“
Kein Hund und keine Partnerschaft
Irgendwann habe ihm die coronabedingte Arbeitslosigkeit dann doch zu schaffen gemacht. „Ich habe keinen Hund, keine Partnerschaft, keine sonstigen Verpflichtungen. Irgendetwas musste ich tun. Also habe ich mich umgehört, ob ich irgendwo bei Nachbarn putzen kann“, blickt er zurück.
Als die Ruhrbahn eine Reinigungskraft für ihre Büros suchte, habe er sich dort vorgestellt – und den Job bekommen. Sein Tagesablauf sei dadurch komplett auf den Kopf gestellt worden. „Früher bin ich um 4 Uhr nach Hause gekommen, heute stehe ich dann auf, um am frühen Morgen Büros und Toiletten zu putzen, aber es macht mir Spaß. Es ist nicht glamourös, aber die Leute sind sehr nett“, erzählt Jörg Gocke von seinem neuen Leben, das erst wie eine Art Rolle für ihn gewesen sei. „Inzwischen bin ich aber komplett mit der Aufgabe verschmolzen.“
Anfang September sollen die Shows im Revuepalast wieder starten
Die Verwandlung dauert rund zwei Stunden
Die Verwandlung von Jörg Gocke in die Blondine Jeanny, die im Revuepalast durch die Show führt, dauert rund zwei Stunden. Der Essener Künstler, für den rund 50 Kostüme bereitliegen, schminkt sich selbst. Abgeschminkt nach dem Auftritt werde er an der Theke oft nicht erkannt.Die Corona-Pause habe anfangs auch etwas Gutes für ihn gehabt: Die lästige Ganzkörperrasur sei entfallen.Informationen zur Show in Herten auf der Zeche Ewald: www.revuepalast-ruhr.com
Den Putzjob will er auch beibehalten, wenn Anfang September die Shows im Revuepalast wieder starten und er für die 20-Uhr-Vorstellung um 17 Uhr in der Garderobe sein muss. „Die meisten Shows sind ja am Wochenende, wenn ich nicht putzen gehe. Nur der Freitag könnte ein Problem sein, da schwinge ich dann morgens den Feudel und abends die Federboa.“