Essen. Ralf Kuta und Jörg Gocke gehören zu den bekanntesten Travestie-Künstlern in Essen. Dass der Sieg des österreichischen Travestie-Künstlers Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest politische Wirkung hat, bezweifeln sie. Mit Sorge sehen sie die schwulenfeindlichen Äußerungen aus Russland.

Ralf Kuta behauptet zu Recht von sich, die Grande Dame der Travestie in Essen zu sein – seit 36 Jahren steht er als „Danny Boy“ auf der Bühne. Spielte im Senftöpfchen in Köln, im Rosengarten in Mannheim, diversen deutschen Boulevard-Theatern und seit fünf Jahren im Revue-Palast von Christian Stratmann in Herten. Mindestens zwei Stunden braucht der 52-Jährige für ein perfektes Bühnen-Make-Up: „Da siehste hinterher keine Falte mehr“, sagt Kuta und lacht.

Nur eines würde Ralf Kuta nicht tun – mit einem gepflegten Damenbart ins Scheinwerferlicht schreiten. Über den Erfolg des österreichischen Travestie-Künstlers Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest aber freut sich der „alte Hase“ im Showgeschäft: „Er hat einfach eine Wahnsinnsstimme. Mit dem Bart möchte er provozieren, was ihm ja auch gelungen ist. Dabei wäre das ohne Haare im Gesicht so eine Süße“, sagt der Rüttenscheider, der mit der Travestie-Gruppe „Femme Fatale“ der erste war, der dem Stratmann Theater ausverkaufte Ränge einbrachte.

Gemeinsam mit Jörg Gocke, „unserer Marilyn“, und fünf bis sechs weiteren Künstlern steht er in manchen Monaten bis zu 15 Mal auf der Bühne. Auch Gocke, in der Essener Szene besser als „Miss Jeanny“ bekannt, die fünf Jahre lang den Ruhr Christopher Street Day moderierte, weiß, dass zur Travestie weit mehr gehört, als in Frauenkleider zu schlüpfen: „Eine Show von uns braucht viel Vorbereitung und ist bis ins Detail geplant.“

Berührungsängste ablegen für mehr Toleranz

Was beide Männer mit Sorge sehen, sind die schwulenfeindlichen Äußerungen aus Russland, die sich auch nach dem ESC wieder lesen mussten. „Solche vorgestrigen Menschen tun mir leid“, sagt Ralf Kuta. In all den Jahrzehnten als Travestiekünstler habe er in Essen keinerlei Anfeindungen erfahren, „es ist sehr angenehm, als Schwuler in Essen zu leben. Die Stadt ist sehr tolerant“, sagt Kuta. Nur vor einigen Wochen, erinnert er sich, sei ihm vor dem Club C4, einer bei Homosexuellen beliebten Adresse, mulmig geworden: „Einige Männer osteuropäischer Herkunft haben zunächst gepöbelt. Als ich drei Stunden später den Club verließ, hatten sie mir aufgelauert, kamen auf mich zu. Glücklicherweise stand ein Taxi vor der Tür, in das ich mich schnell retten konnte. Als wir wegfuhren, schlugen sie noch auf das Auto.“

Alle 26 Platzierungen

.
. © dpa | dpa
Platz 1: Conchita Wurst für Österreich mit
Platz 1: Conchita Wurst für Österreich mit "Rise Like a Phoenix". Das hätte auch ein Bond-Titelsong sein können, und die Stimme war beeindruckend. 290 Punkte. © dpa | dpa
Platz 2: The Common Linnets sangen
Platz 2: The Common Linnets sangen "Calm After The Storm" für die Niederlande. Es klang, als hätten June Carter und Johnny Cash "Every Breath You Take" von Police gesungen. 238 Punkte. © Getty Images | Getty Images
Platz 3: Sanna Nielsen, Schweden, wandelte mit ihrem Lied
Platz 3: Sanna Nielsen, Schweden, wandelte mit ihrem Lied "Undo" auf den Spuren von Celine Dion. 218 Punkte. © dpa | dpa
Platz 4: Aram MP3 aus Armenien mit
Platz 4: Aram MP3 aus Armenien mit "Not Alone". Ein bisschen Dracula, ein bisschen Rammstein für Vorsichtige. 174 Punkte. © Getty Images | Getty Images
Plazu 5: Andras Kallay-Saunders (Ungarn) mit
Plazu 5: Andras Kallay-Saunders (Ungarn) mit "Running". Thema Kindesmisshandlung, und das wurde auf der Bühne auch noch tänzerisch dargestellt. 143 Punkte. © Getty Images | Getty Images
Platz 7: Direkt hinter der Ukraine die Russinnen
Platz 7: Direkt hinter der Ukraine die Russinnen "Tolmachevy Sisters" mit "Shine". Wie so viele Acts hatten auch sie ein Sportgerät auf der Bühne - eine Wippe. 89 Punkte. © dpa | dpa
Platz 8: Der Norweger Carl Espen mit
Platz 8: Der Norweger Carl Espen mit "Silent Storm". Das klang so traurig, dass auch das Publikum Mitleid bekam. Wenn es ganz leise wurde, gab es Szenenappalus. 88 Punkte. © dpa | dpa
Platz 9: Bassim vertrat das Gastgeberland Dänemark: Sein
Platz 9: Bassim vertrat das Gastgeberland Dänemark: Sein "Cliche Lovesong" erinnerte an die besseren Zeiten von Take That. 74 Punkte. © dpa | dpa
Platz 10: Ruth Lorenzo aus Spanien mit 'Dancing in the Rain'. Echter Regen von der Hallendecke, aber warum singt eine Spanierin englisch? 74 Punkte.
Platz 10: Ruth Lorenzo aus Spanien mit 'Dancing in the Rain'. Echter Regen von der Hallendecke, aber warum singt eine Spanierin englisch? 74 Punkte. © Getty Images | Getty Images
Platz 11: Finnland. Die Band Softengine spielte
Platz 11: Finnland. Die Band Softengine spielte "Something Better", das auch von den "Killers" sein könnte. 72 Punkte. © dpa | dpa
Platz 12: Rumänien. Paula Seling & OVI mit dem Song
Platz 12: Rumänien. Paula Seling & OVI mit dem Song "Miracle". OVI spielte auf einem kreisrunden Klavier. Das Tolle daran: Es spielte auch ohne ihn weiter. 72 Punkte. © dpa | dpa
Platz 13: Sebalter aus der Schweiz mit
Platz 13: Sebalter aus der Schweiz mit "Hunter of Stars". Weißes Hemd, schwarze Weste und Geige - damit wurden auch schon ESCs gewonnen. Hier aber nur: 64 Punkte. © dpa | dpa
Platz 14: Donatan & Cleo repräsentierten Polen mit
Platz 14: Donatan & Cleo repräsentierten Polen mit "My Slowianie - We are Slavic". Satire im Text, Softporno am Bühnenrand. 62 Punkte, davon 10 aus Deutschland. © dpa | dpa
Platz 15: Pollapoenk aus Island und ihr Lied
Platz 15: Pollapoenk aus Island und ihr Lied "No Prejudice". Eine fröhliche Punk-Nummer, vorgetragen von den bestangezogenen Herren des Abends. 58 Punkte. © dpa | dpa
Platz 16: Weißrusslands Ricky Martin heißt Teo. Sein Latin-Beitrag
Platz 16: Weißrusslands Ricky Martin heißt Teo. Sein Latin-Beitrag "Cheesecake" bekam 43 Punkte. © dpa | dpa
Platz 17: Molly aus Großbritannien hätte ihren Song
Platz 17: Molly aus Großbritannien hätte ihren Song "Children of the Universe" auch für den Soundtrack von "Mad Max 2" einspielen können. 40 Punkte. © dpa | dpa
Platz 18: Elaiza aus Deutschland mit
Platz 18: Elaiza aus Deutschland mit "Is it right". Sympathische Frauen, aber ein kraftloser Auftritt. 39 Punkte. © dpa | dpa
Platz 19: Sergej Cetkovic, aus Montenegro mit
Platz 19: Sergej Cetkovic, aus Montenegro mit "Moj Svijet". Flötentöne wie im "Titanic"-Soundtrack. Und einer der wenigen, der noch in Landessprache singt. 37 Punkte. © Getty Images | Getty Images
Platz 20: Freaky Fortune feat. RiskyKidd sind der Beitrag Griechenlands. Eine Eurodance-Nummer mit den Posen der Neunziger - und einem Trampolin auf der Bühne! 35 Punkte.
Platz 20: Freaky Fortune feat. RiskyKidd sind der Beitrag Griechenlands. Eine Eurodance-Nummer mit den Posen der Neunziger - und einem Trampolin auf der Bühne! 35 Punkte. © dpa | dpa
Platz 21: Emma aus Italien sang das rockige
Platz 21: Emma aus Italien sang das rockige "La Mia Città". Gianna Nannini ließ grüßen. 33 Punkte. © dpa | dpa
Platz 22: Dilara Kazimova Aserbaidschan sang
Platz 22: Dilara Kazimova Aserbaidschan sang "Start A Fire". Trotz Trapezartistik hoch über der Bühne nur: 33 Punkte. © dpa | dpa
Platz 23: Firelight aus Malta, die mit dem folkigen
Platz 23: Firelight aus Malta, die mit dem folkigen "Coming Home" antraten. 32 Punkte. © dpa | dpa
Platz 24, der drittletzte: Valentina Monetta aus San Marino mit
Platz 24, der drittletzte: Valentina Monetta aus San Marino mit "Maybe". Sie stand in einer Muschel, am Klavier saß das ESC-Urgestein Ralph Siegel. 14 Punkte. © Getty Images | Getty Images
Platz 25: Tinkara Kovac aus  Slowenien mit Querflöte und
Platz 25: Tinkara Kovac aus Slowenien mit Querflöte und "Round and around". Eine Mischung aus Königsdrama und Jethro Tull. 9 Punkte. © dpa | dpa
26 Platz: Twin Twin aus Frankreich verbreiteten mit ihrem Song
26 Platz: Twin Twin aus Frankreich verbreiteten mit ihrem Song "Moustache" und einer lebhaften Choreographie gute Laune. Europa dankte es ihnen mit dem letzten Platz - 2 Punkte. © dpa | dpa
Und das waren die Moderatoren: Pilou Asbaek, Lise Ronne and Nikolaj Koppel.
Und das waren die Moderatoren: Pilou Asbaek, Lise Ronne and Nikolaj Koppel. © Getty Images | Getty Images
1/27

Grundsätzlich aber mag er niemanden abstempeln. Igor, ein Akrobat aus dem Mondscheinpalast, sei ihm zunächst mit vielen Vorurteilen begegnet. „Heute“, sagt Kuta, „sind wir gute Freunde und er bezeichnet uns als seine Schwulis. Wenn einige Menschen ihre Berührungsängste ablegen würden, gäbe es auch in anderen Ländern weniger Toleranz-Probleme.“ Dass der ESC dabei nachhaltig helfen könnte, glauben beide Männer nicht. Gocke: „Der Eurovision Song Contest ist ein Gesangswettbewerb und keine politische Veranstaltung.“