Essen. Der Rahmen war intim, die Begeisterung groß: Mit „Judas“ kehrt die Essener Studiobühne nach der Corona-Pause zurück. Die Zuschauerzahl erstaunt.

Mit einem fulminanten Darsteller in einem beeindruckenden Stück kehrt die Essener Studio-Bühne nach erzwungenen sieben Monaten Corona-Pause zurück: Johannes Brinkmann zeigt in „Judas“, einem Monolog von Lot Vekemans, einem handverlesenen Publikum von zwölf Menschen sein ganzes Können.

Judas kleidet sich in unschuldigem Weiß

Wie lebt man mit einer ungeheuerlichen Schuld? Wie damit, dass der eigene Name seit über 2000 Jahren das Synonym für Verrat ist? Und wie lebt man mit einer Tat, die zum Tod des Erlösers führte? In 80 Minuten versucht der in unschuldigem Weiß gekleidete Judas, dargestellt von Johannes Brinkmann, nicht nur sein Handeln zu rechtfertigen, er buhlt auch um Mitgefühl und Verständnis. Denn mit ihrem 2007 in Haarlem uraufgeführten Monolog will die niederländische Autorin Lot Vekemans dem Verräter eine Chance auf Rehabilitation geben, indem sie ihm ein Gesicht und eine eigene Geschichte gibt.

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Eine Geschichte, die der Schauspieler, Sänger, Sozialpädagoge und Theologe Johannes Brinkmann hochklassig und leidenschaftlich umsetzt. Dabei spielt ihm der intime Charakter des improvisierten Bühnenraums – dem Treppenhaus der Studio-Bühne – in die Karten: Eindringlich wie einnehmend sucht und findet er den Blickkontakt zum Publikum, das coronabedingt nur in kleiner Zahl anwesend sein darf und von der ersten Minute an von der darstellerischen Wucht des Wahlesseners fasziniert ist.

Brinkmanns Judas lässt keinen Zweifel daran, dass er Jesus ergeben war, ja, dass er ihn geliebt hat. Doch seine Ergebenheit sei nie blind gewesen, im Gegenteil: Er zeichnet von sich das Psychogramm eines tatkräftigen, intellektuell unabhängigen Geistes, der an die große Sache glaubte und dann enttäuscht wurde. Enttäuscht vom Zögern und Zaudern seines Messias, der, statt zu herrschen, Opfer wird. Der den Kampf gegen die verhassten römischen Besatzer einfach aufgibt: „Ich wollte, dass ER selbst Rom erreichte, als König der Juden“, ereifert er sich. Denn „ich wollte nicht länger zum Volk der Unterdrückten gehören. Ich wollte zu den Herrschern gehören.“

Arroganz und Scham liegen hier nahe beieinander

Jesus aber, der bereits beim letzten Abendmahl verkündet hatte, dass ihn einer seiner Jünger verraten würde, habe die „Wahnidee“ von der Erfüllung der Prophezeiungen wahr machen wollen. Und Judas wurde, ohne es zu ahnen, zum Vollstrecker dieser Prophezeiung.

Schulen, Kirchen, Seniorenheime können Gastspiel buchen

Die Vorstellungen von „Judas“ (80 Minuten, keine Pause) bis zu den Sommerferien: Freitag, Samstag und Sonntag, 25., 26. Und 27. Juni, 20 Uhr in der Studio-Bühne Essen, Korumhöhe 11. Karten zum Preis von 16 Euro/ erm. 14 Euro können ab sofort telefonisch unter 0201 / 55 15 05 (AB) oder über www.studio-buehne-essen.de reserviert werden.

Judas kann auch als Gastspiel gebucht werden: Ob in der Kirche, in der Schule, in der Gemeinde oder in Senioreneinrichtungen – die Studio-Bühne bietet im Zusammenhang mit einer Vorstellung auf Wunsch auch ein anschließendes Gespräch an.

Mit seiner Präsenz gelingt es Johannes Brinkmann, das Publikum zu berühren: Sein Judas zeigt seine Gefühle unverblümt. Zorn, Zweifel und Reue, Glück und Unglück, Selbstbewusstsein bis zur Arroganz und kleinlaute Scham liegen nahe beieinander. Er schwitzt und schreit, wispert und klagt, ist mal zornig, mal unglücklich und ringt mit jeder Faser seines Daseins um Verständnis. „Wenn einer die Sünden der Welt auf sich genommen hat, dann war ich das“, ist er überzeugt und wird philosophisch: „Alle wollen zurück zum Glauben, zum Ganz-sicher-Sein. Aber Glauben braucht keine Aktion, Zweifel schon“, sagt Brinkmanns Judas, „und wer zweifelt, muss sich entscheiden. Zweifel ist der Ansporn zu Taten.“ Wer nichts tue, wer sich nicht entscheide, könne nichts falsch machen – aber auch nichts richtig.

Ein begeistertes Publikum – und viele offene Fragen

Sein Fazit: Ohne Licht kein Schatten, ohne Kuss kein Verrat, ohne Verrat kein Jesus. So stilisiert er sich zum Helden, zum Mitbegründer des Christentums, das es ohne ihn in dieser Form niemals gegeben hätte. „Ich bin Judas und ich bin stolz, diesen Namen laut aussprechen zu können!“, mit diesem letzten Satz verlässt Johannes Brinkmann die Bühne. Zurück bleiben ein begeistertes Publikum und viele offene Fragen. Aber vielleicht auch ein neuer Blick, ein anderes Verständnis für den vermutlich auf ewig als Verräter gebrandmarkten, dessen Name auf der Verbotsliste der deutschen Standesämter gewiss ganz oben rangiert.