Essen-Rüttenscheid. In Essen wurde der Grüne Pfeil für Rechtsabbieger abgeschafft. Anwohner und Bürgerinitiative in Rüttenscheid erwarten Verkehrsprobleme.
Die Stadt Essen hat sich endgültig vom „Grünen Pfeil“ getrennt. Das „Verkehrszeichen 720“, wie es amtlich korrekt heißt, wurde an acht Kreuzungen im Stadtgebiet abmontiert - auch an der Ecke Henri-Dunant-Straße/Wittenbergstraße in Rüttenscheid. Dafür setzt es nun Kritik aus dem Quartier.
Der „Grüne Pfeil“, ein verkehrsregelndes Relikt aus der ehemaligen DDR der 1970er Jahre, erlaubte es bislang, auch bei roter Ampel nach rechts abzubiegen – immer vorausgesetzt, dass es die Verkehrslage erlaubt. Besonders an der stark frequentierten Henri-Dunant-Straße in Rüttenscheid war der kleine grüne Pfeil auf schwarzem Grund ein Segen, gilt die Straße doch als einzige Zu- und Abfahrt des Neubaugebietes „Parc Dunant“, das dem Stadtteil künftig knapp 400 neue Wohnungen, aber auch massive Verkehrsprobleme beschert.
Anwohner sehen keinen Handlungsbedarf, den Grünen Pfeil zu kippen
Davon jedenfalls ist Katharina Groddeck (69) schon jetzt felsenfest überzeugt. Sie kennt sich im Quartier bestens aus, ist dort aufgewachsen und wohnt seit 2005 mit ihren Mann Albrecht (72) am Vöcklinger Hang. „Wir sind gerade erst aus dem Urlaub zurückgekommen und waren negativ überrascht, dass der Grüne Pfeil verschwunden ist“, sagt Albrecht Groddeck. „Für mich bestand dafür keinerlei Handlungsbedarf.“ Ganz im Gegenteil habe dieser Pfeil ihrer Ansicht nach für einen deutlich besseren Verkehrsfluss gesorgt – und damit für weniger Rückstau auf der Henri-Dunant-Straße.
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Beide schreiben dies an diese Redaktion, weil sie ihrem Unmut Luft machen wollen und weil „die Stadt durch diese Aktion wieder einmal Fakten schafft“, ohne die Menschen vor Ort einzubeziehen. Nicht nur die Groddecks, sondern auch viele ihrer Nachbarn fühlen da eine gewisse Ohnmacht: „Der Bürger wird überhaupt nicht wahrgenommen“, erklärt Katharina Groddeck im Gespräch. Und dies nicht zum ersten Mal, denn schon bei der Diskussion um eine mögliche zweite Linksabbiegerspur auf die Wittenbergstraße seien die Vorschläge und Bedenken der Bürger von der Stadt in keiner Weise berücksichtigt worden, so ihr Eindruck.
„Der Verkehr auf der Henri-Dunant-Straße hat jetzt schon zugenommen“
Ähnlich sieht es Holger Ackermann, Sprecher der Bürgerinitiative Henri 2020, die seit langem die Entwicklung des Viertels kritisch verfolgt. „„Mein Elternhaus steht hier. Ich besuche meine Mutter dreimal pro Woche und kann deshalb gut einschätzen, was hier passiert“, sagt er. „Nach meiner Einschätzung sind bislang erst 25 Prozent der neuen Wohnungen belegt. Aber man merkt schon jetzt, dass der Verkehr zugenommen hat.“ Und dies, obwohl wir Sommer haben, viele im Urlaub sind und die Kinder noch nicht wieder zur Schule gehen“, ergänzt Albrecht Groddeck. „Doch von dieser derzeit noch relativ entspannten Situation sollte man sich nicht täuschen lassen.“ Denn es gebe schon jetzt alarmierende Anzeichen, wohin die Reise gehe.
Beispielsweise der ruhende Verkehr. Entlang der Henri-Dunant-Straße parken schon jetzt etliche Autos und verwandeln die zweispurige Straße an vielen Stellen in ein Nadelöhr. „Da wird es bei Begegnungsverkehr oft schon schwierig“, sagt Ackermann. Für den ausgebildeten Planer ein Indiz dafür, dass die Berechnung der Parkplätze in den Tiefgaragen (319) schon jetzt überholt ist. „Die Stellplatzsatzung wurde 2019 erarbeitet, 2020 von der Stadt beschlossen. demnach wären hier heute viel mehr Stellplätze erforderlich“, sagt er. „Die Siedlung wächst langsam, aber stetig. Für mich ist dies die Ruhe vor dem Sturm.“
„Jetzt steht man fünf Minuten an der Ampel und weit und breit ist niemand in Sicht“
Die Siedlung sei ein sensibeles Gebilde. Deshalb schlagen selbst so lapidar anmutende Entscheidungen wie die gegen den Grünen Pfeil ins Kontor. „Was wir hier brauchen, ist möglichst viel Bewegung auf der Straße“, fordert er. „Der Verkehr muss fließen. Blockaden, selbst geringe, muss man tunlichst vermeiden.“ Katharina Groddeck liefert ein Beispiel: „Eine Nachbarin ist immer sehr früh unterwegs. Ohne den Grünen Pfeil steht sie jetzt um kurz nach sechs Uhr fünf Minuten lang an der Ampel. Da ist weit und breit niemand sonst in Sicht.“
Deshalb lässt die Seniorin auch das Argument des Gesamtverbandes Deutscher Versicherer (GDV), der Fußgänger und Radfahrer durch das unbedachte Abbiegen der Pkw am Grünen Pfeil gefährdet sieht, nicht gelten. „Man konzentriert sich weniger auf die Ampel, aber mehr auf den Verkehr, weil man ja einfädeln will.“ Zudem gebe es auf dieser Seite der Wittenbergstraße keine Wohnbebauung – und deshalb auch praktisch keine Fußgänger, die die Ampel überqueren. „Für die Radfahrer hat uns die Stadt eh die Alternative Rommenhöller Gleis versprochen.“ Dort ist eine Fahrradtrasse in Planung.
Bürgerinitiative Henri 2020 erwartet eine genaue Verkehrsanalyse
Holger Ackermann liefert einen validen Beleg für diese These. Seine Nachfrage bei der städtischen Unfallkommission ergab: „Die Kreuzung gilt nicht als Unfallschwerpunkt. Hier hat es tatsächlich noch nie einen Unfall gegeben, trotz des Grünen Pfeils.“ Was Albrecht Groddeck besonders ärgert: „Der GDV kennt doch gar nicht die Gegebenheiten hier vor Ort, will aber generell den Grünen Pfeil verbieten.“
Auch Holger Ackermann kritisiert die Grundsatzentscheidung der Verwaltung: „Wir sprechen hier von acht Fällen in ganz Essen. Da ist es geradezu absurd, hier nicht von Fall zu Fall zu entscheiden.“ Er erwartet deshalb eine Analyse vor Ort und eine verlässliche Verkehrszählung, auf die dann auch Taten folgen. Allerdings unter Einbeziehung der Erfahrungen der Anwohner.“ So, wie es Essens oberster Stadtplaner Hans-Jürgen Best kurz vor seinem Ruhestand im Dezember 2019 versprochen hatte, als er erklärte, man wolle die Entwicklung der Siedlung genau im Auge behalten. „Vielleicht wird dann auch die Linksabbiegerspur wieder ein Thema“, sagt Ackermann. „Platz dafür wäre an der Kreuzung dafür immer noch.“
Entscheidung der Stadtverwaltung basiert auf Verkehrsgutachten
Anwohner und die Bürgerinitiative „Henri 2020“ fordern: Der Grüne Pfeil an der Kreuzung Henri-Dunant-Straße/Wittenbergstraße muss wieder her. Doch die Chancen stehen schlecht.
„Die Anwohner hier sind stark gebeutelt. Erst werden die ganzen Bäume gefällt, dann eine neue Wohnanlage übergestülpt, über zwei Jahre Lärm, Staub und Chaos auf der Baustelle und dann die Verschlimmbesserung an der Ampel“, so BI-Sprecher Holger Ackermann.
Die Stadt beruft sich bei der Entscheidung auf ein den Bebauungsplan begleitendes Gutachten. Dieses klassifiziert die einspurige Ausfahrt an der Henri-Dunant-Straße bei vollständiger Bebauung als „befriedigend“ (Qualitätsstufe C). Die mittlere Wartezeit an der Kreuzung betrage theoretisch weniger als 50 Sekunden. Bis zu einer Qualitätsstufe D (Wartezeit bis 70 Sekunden) bestehe kein weiterer Ausbaubedarf und auch kein Grund für den Grünen Pfeil, erklärt die Stadt.
Derzeit können die Ampel pro Grünphase bis zu neun Fahrzeuge passieren. Dabei ergibt sich eine Warteschlange von ca. 50 Metern, die in der folgenden Grünzeit vollständig abgebaut wird. Der Linienbus auf der Wittenbergstraße kann jedoch dafür sorgen, dass die Grünphase deutlich früher abbricht. Zwei Wartezeiten sind dann realistisch. Pro Stunde können mindestens 350, maximal 450 Fahrzeuge die Ausfahrt passieren. Prognostiziert sind aber nur 228 Fahrzeuge.