Essen. Die Essener Feuerwehr hat drei kleine Kinder aus einer zum Teil verwahrlosten Wohnung befreit. Was die Nachbarn vor Ort zu Protokoll geben.
Drei kleine Kinder sind Mittwochabend (2. Juni) aus einer zum Teil verwahrlosten Wohnung in Essen von Einsatzkräften befreit und in die Obhut einer Pflegefamilie gegeben worden. Von ihren Eltern fehlte zunächst jede Spur – von dem Fall aus dem Stadtteil Schonnebeck berichten Polizei und Feuerwehr.
Aufmerksame Anwohner hatten die Feuerwehr gegen 19 Uhr alarmiert. Sie berichteten von einem Kleinkind, das unbeaufsichtigt auf einem Balkon in der ersten Etage herumklettere.
„Als die Kollegen der Feuerwehr mittels Leiter zu dem Kind gestiegen waren, stellten sie fest, dass der dreijährige Junge offensichtlich ausgesperrt worden war“, sagt Polizeisprecher Pascal Schwarz-Pettinato am Freitag.
Der Zweijährige saß festgeschnallt im Kinderstuhl, der an die Heizung gebunden war
Weil weitere Kinder in der Wohnung vermutet wurden, öffneten die Einsatzkräfte die Tür zur Wohnung. Was ihnen merkwürdig vorkam: Bis auf das Wohnzimmer seien alle Zimmer verschlossen gewesen. Hinter einer Zimmertür habe sich ein fünf Jahre altes Mädchen bemerkbar gemacht. Die Tür sei aufgebrochen und das Mädchen aus ihrem verwahrlosten Zimmer befreit worden.
Ein erschreckendes Bild bot sich den Einsatzkräften dann im Wohnzimmer. Dort fanden sie einen zwei Jahre alten Jungen vor, der in seinem Kinderstuhl festgeschnallt war. „Den Stuhl wiederum hat man an eine Heizung gebunden“, so der Polizeisprecher.
Von den Eltern der drei Kinder habe jede Spur gefehlt. Daraufhin sei über die Leitstelle der Polizei Essen das Jugendamt alarmiert worden, das sofort Mitarbeiter zum Einsatzort entsandt habe. Die Jugendamts-Mitarbeiter hätten die Kinder in ihre Obhut genommen und anschließend bei einer Pflegefamilie untergebracht.
Nachbarn: Die Kinder hielten sich nur in der Wohnung auf – selbst bei schönstem Wetter
Auf den ersten Blick macht die Vonovia-Siedlung in Schonnebeck in unmittelbarer Nähe der Welterbe-Zeche Zollverein einen gepflegten Eindruck. Eine typische Fünfziger-Jahre-Siedlung mit zwei bis dreigeschossigen Hausreihen, drumherum viel Rasengrün.
Die Nachbarin, die Mittwochabend die Feuerwehr alarmierte, erinnert sich genau an die beängstigende Szenerie auf dem Balkon. „Der kleine Junge wirkte aufgebracht“, sagt sie am Freitag dieser Zeitung. Als sie ihn ansprachen, habe er Gegenstände heruntergeworfen. „Wir konnten ihn nicht beruhigen.“ Irgendwann sei der Dreijährige sogar auf das Geländer geklettert. Da habe eine andere Nachbarin zum Telefon gegriffen und den Notruf alarmiert.
Die Inobhutnahme von Kindern
Wenn das Jugendamt wegen des Verdachts der Kindeswohlgefährdung Eltern vorübergehend die Kinder wegnimmt und sie Pflegeeltern anvertraut, wird von einer Inobhutnahme gesprochen. In den darauffolgenden Tagen, so die Praxis der Jugendämter, wird es immer intensive Gespräche mit den Eltern geben. Besteht wie im aktuellen Essener Fall der Verdacht einer gravierenden Gefährdung von Kindern, entlassen die Jugendämter diese Kinder auf keinen Fall zeitnah wieder in eine unsichere Situation.Sind Eltern mit der Inobhutnahme nicht einverstanden, hat das Familiengericht das letzte Wort.
Dass in der Wohnung etwas nicht stimmte, überraschte die Nachbarn anscheinend nicht. Sie behaupten, dass die Familie dem Essener Jugendamt schon seit Längerem bekannt sei. Das kann Jugend-Dezernent Muchtar Al Ghusain nicht direkt bestätigen: „Nach jetzigem Kenntnisstand gab es einen kurzen Kontakt im Februar 2020“, berichtet der Dezernent auf Anfrage. Darüber hinaus habe es aber keine Begleitung gegeben.
Was den Nachbarn besonders auffiel: Die drei kleinen Kinder hockten offenbar ständig in der Wohnung. Selbst bei schönstem Wetter hätten sie anscheinend nicht draußen an der frischen Luft spielen dürfen. „Ständig sahen wir sie, wie sie hinter der Scheibe saßen und gegen die Scheibe klopften.“ Die Mutter sei von morgens bis abends mit einem Kopfhörer durch die Wohnung gelaufen.
Warum sich die Essener Polizei bei den Nachbarn bedankt
Zurück zum Abend des Einsatzes: Ein herbeigerufener Arzt habe die drei Geschwister vor Ort untersucht und mit Getränken versorgt, berichtet die Polizei. Die drei seien trotz der schlimmen Umstände wohlauf, so dass eine weitere ärztliche Behandlung nicht notwendig gewesen sei.
Die Kriminalpolizei ermittelt nun unter anderem wegen der Misshandlung von Schutzbefohlenen und Freiheitsberaubung gegen die 32 und 45 Jahre Eltern. Der Vater sei im Laufe des Einsatzes in die Wohnung zurückgekehrt, heißt es. Er habe angegeben, die Wohnung verlassen zu haben, um Lebensmittel einzukaufen.
Besonders bedankt sich die Polizei bei den aufmerksamen Nachbarn, die genau hingeschaut und ihre Beobachtungen der Essener Feuerwehr gemeldet hätten.