Essen. Roboterklänge auf der Essener Zeche Zollverein: Kammeroper untersucht das Verhältnis von Mensch und Maschine. So funktioniert die Automatenmusik.

Roboter werden in Zukunft viele Aufgaben erledigen. Auf der Essener Zeche Zollverein haben sie nun schon einmal die Theaterbühne übernommen. „Superposition“ nennt der Essener Komponist Frank Niehusmann das künstlerisch arrangierte Zusammentreffen von Mensch und Maschine. Am Donnerstag, 29. Juli, hat die „Elektronische Kammeroper für Roboterinnen und Maschinenbedienende“ in Halle 12 auf Zeche Zollverein Uraufführung.

Werden wir mit Alexa weiterhin Couch und Nachttisch teilen?

Niehusmann hat das Libretto geschrieben, zeichnet für die Komposition verantwortlich und für die Regie. Zur Premiere kommt ein von Menschen gemachtes und erdachtes Werk und doch geht hier nichts ohne modernste Computer- und Infrarottechnik, die in den schlanken Automaten-Figurinen steckt. Ausstatterin Anne Bentgens zeigt sie nicht als kalte futuristische Maschinen, sondern hat die leuchtenden Wesen mit Gazeumkleidung und aufwendigem Kopfputz ausstaffiert, als wäre Alexa ein Vorführstück aus der Designabteilung.

Wer mit der künstlichen Intelligenz schon seit langem auf Du und Du ist, der wird nach dem Besuch von „Superposition“ womöglich noch einmal überdenken, ob er mit der Automaten-Stimme weiterhin Couch und Nachttisch teilen möchte. Wissend, dass die Sprachassistentin auf dem besten Weg ist, von der artigen Befehlsempfängerin zum eigenständig denkenden Apparat zu werden. „Entsetzen ist erlaubt“, sagt Niehusmann, der sich für seine Elektronik-Kammeroper nicht nur mit historischen Synthesizern wie Moog, Buchla oder ARP beschäftigt hat, sondern vor allem auch mit dem Leben des Informatik-Pioniers Alan Turing.

Informatik-Pionier Alan Turing gilt als „Vater der künstlichen Intelligenz“

Der britischen Mathematiker, von der Bank of England mittlerweile auf der 50-Pfund-Note verewigt und mit der Kinoverfilmung „Imitation Game“ als Entschlüssler des Enigma-Codes im Zweiten Weltkrieg zuletzt zu größerer Popularität gelangt, hat schon in den 40er und 50er Jahren viele aktuelle Entwicklungen voraus gedacht. Was Turing gewissermaßen als „Vater der künstlichen Intelligenz (KI)“ damals über Computer und ihre weitere Einflussnahme gesagt habe, ohne sie überhaupt zu kennen, sei „zum Niederknien“ und „im Grunde das, was wir heute verhandeln, sagt Niehusmann. Der Turing-Test, den ein Computer demnach nur besteht, wenn er sich nicht von der Intelligenz eines Menschen unterscheiden lässt, gilt bis heute.

„Die Menschen werden computerisiert, die Computer werden vermenschlicht. Ob das langfristig gut ausgeht, ist eine andere Frage“, heißt es in dem Stück, das neben Turing auch zahlreiche andere KI-Vor- und Nachdenker zu Wort kommen lässt, Kunst und Kino ebenso einbezieht wie Schriften von Daniel Kehlmann oder Frank Schirrmacher. Was da zur Sprache kommt, sei für manchen womöglich „niederschmetternd, aber es ist hinreißend für Leute, die Spaß an Maschinen haben“, glaubt Niehusmann.

Die menschlichen Mitwirkenden sind nur noch zur Bedienung elektronischer Klangmaschinen da: Das „Ensemble Oper, Skepsis und Gleisbau“ bei der Arbeit.
Die menschlichen Mitwirkenden sind nur noch zur Bedienung elektronischer Klangmaschinen da: Das „Ensemble Oper, Skepsis und Gleisbau“ bei der Arbeit. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Der Mensch nämlich ist in „Superposition“ verstummt, er schiebt als Maschinenbediener (Mira-Alina Schmidt/Anna Dimpfl/Thomas Kemper) nur noch fahrbare Lautsprecher über die quadratische Bühne, die an ein Schachbrett erinnert oder einen Boxring, den das Publikum an allen vier Seiten umringt. Computerstimmen klingen da wie ein antiker Chor, während die Maschinenbediener im Look der Nofretete auftreten, denn auch das Gender-Thema wird nicht ausgelassen. So mischen sich Physik und Philosophie, elektronische Klänge und historische Bezüge zu einer komplexen Gesamtkomposition.

„Es gibt keine Noten, die Musik ist notiert wie ein Computerprogramm“, erklärt Niehusmann. Wie das klingt? „An manchen Stellen vielleicht wie eine Flippermaschine oder ein rebellierender Cola-Automat“, lächelt Niehusmann. Mancher soll sich auch schon an Sounds der Band „Emerson, Lake und Palmer“ erinnert gefühlt haben, berichtet der 60-jährige Musiker über die List unseres Pop-Kultur-geprägten Gedächtnisses.

Was hat die Evolution mit den „sprechenden und zählenden Tieren“ vor?

Projekt mit vielen Förderern

Die elektronische Kammeroper „Superposition“ hat am 29. Juli, 20 Uhr, Uraufführung. Halle 12. Zeche Zollverein, Gelsenkirchener Str. 181. Weitere Termine: 30. und 31. Juli, 20 Uhr, 1. August 18 Uhr.

Tickets (18/erm. 12 Euro) können unter superposition@niehusmann.org reserviert werden.

Das Ensemble „Oper, Skepsis und Gleisbau“ versteht sich als Labor für klangbasierte Bühnenexperimente und elektroakustisches Musiktheater. Das Projekt „Superposition“ hat zahlreiche Förderer, Gelder kommen unter anderen vom Bund, den Musikfonds, der Kunststiftung NRW und der Stadt Essen.

Während der menschliche Speicherplatz begrenzt ist, dürften Roboter zukünftig immer mehr und immer komplexere Aufgaben übernehmen. Und so ist „Superposition“ ein Nachdenken darüber, „was die Evolution am Ende mit den ,sprechenden und zählenden Tieren’ vorhat, wenn deren Automaten alles menschlich Tun und Können automatisiert haben werden“, heißt es im Programm.

Dass die Publikums-Kapazität dabei auf nur 24 Zuschauer pro Vorstellung beschränkt ist, hat sich allerdings kein Computer ausgedacht, sondern allein das Corona-Virus zu verantworten.