Essen-Rüttenscheid. Immer mehr Händler und Dienstleister zieht es in Richtung des Essener Stadtteils Rüttenscheid. Über die Beweggründe, dort durchzustarten.

Als Frisörmeister Erwin Waeijen Anfang Juli seinen neuen Salon an der Rüttenscheider Straße eröffnet hatte, tauschte ein weiterer Geschäftsmann seinen Platz in der Essener Innenstadt gegen einen Standort an der Rü ein. Händler und Dienstleister versprechen sich mit großer Zuversicht noch bessere Chancen auf der südlichen Einkaufsmeile. Aber was macht eigentlich deren Anziehungskraft aus?

Herrenausstatter lobt das intakte Umfeld und die gute Erreichbarkeit

Als sich für Erwin Waeijen abzeichnete, dass immer mehr Läden aus der Innenstadt verschwinden, die auch sein Publikum ansprechen, wollte er auch nicht länger bleiben. „Als Alternative kam dabei in erster Linie Rüttenscheid in Betracht“, sagt der 51-Jährige. Eine gewisse Zeit habe es dann auch gedauert, bis er ein Ladenlokal fand. Das Angebot in den von Grund auf sanierten früheren Stadtwerke-Gebäude am nördlichen Ende der Rü einziehen zu können, sei nun ein echter Glückstreffer.

150 Quadratmeter, die er jetzt angemietet hat, sind für ihn genau die passende Größe. Das Lokal liegt bei genauer Betrachtung sogar schon im Südviertel. Der Frisörmeister sieht darin letztlich darin auch einen Vorteil. Es bleibe eine gewisse Nähe zur City, in der er immerhin 22 Jahre lang eines seiner beiden Essener Geschäfte betrieb – das andere ist in Kettwig. Die Rü biete ein intaktes Umfeld. Man finde kaum Leerstände, stattdessen herrsche, wenn nicht gerade Corona den Ton abgibt, quirliges Treiben.

Da greife ein Rad in das andere, so dass Rüttenscheid auch im weiteren Umland einen klasse Ruf genieße, sagt auch Adrian Adolphs, der ebenfalls früher in der Theaterpassage ansässig war. Die gute Erreichbarkeit über die Autobahn sollte man als Pluspunkt ebenso wenig unterschätzen.

Friseur Erwin Waeijen zieht von der Theaterpassage in der Innenstadt zur Rüttenscheider Straße.
Friseur Erwin Waeijen zieht von der Theaterpassage in der Innenstadt zur Rüttenscheider Straße. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Schon vor gut zwei Jahren hat sich Marten von Drathen mit seinem gleichnamigen Textilgeschäft für den Wechsel entschieden „und das nach 30 Jahren Innenstadt“. Ein solcher Schritt wolle aber vor allem deshalb gut überlegt sein, weil er nun mal auch mit erheblichen Investitionen in den Neustart verbunden sei, erläutert der Kaufmann. Heute sieht er seine Hoffnungen erfüllt, Stammkunden haben die Treue gehalten, neues Publikum sei hinzugekommen. Der Stadtteil biete an ansprechende Mischung von Geschäften, darunter eben auch solche mit hochwertigerer und exklusiverer Ware. Schließlich dürfe man auch die Aufenthaltsqualität nicht unterschätzen, die durch ein breites Gastro-Spektrum bereichert werde.

Kunden wollen Einkauf mit Erlebnis verknüpfen

Marc Heistermann, Chef des Einzelhandelsverbandes: Cafés, Restaurants und Kneipen bieten ein attraktives Umfeld“.
Marc Heistermann, Chef des Einzelhandelsverbandes: Cafés, Restaurants und Kneipen bieten ein attraktives Umfeld“. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Wer heute shoppen gehe, sich einen Einkaufsbummel gönne, der wolle nicht nur seinen persönlichen Bedarf decken, unterstreicht Marc Heistermann, Chef des Einzelhandelsverbandes NRW Ruhr. Ein solcher Kunde möchte etwas erleben und eine schöne Zeit verbringen. „Cafés, Restaurants und Kneipen liefern dazu ein entsprechend attraktives Umfeld. Und genau das ist in Rüttenscheid der Fall.“ Die Entwicklung hin zu mehr Erlebnis werde sich in den nächsten Jahren noch erheblich verstärken, betont der Geschäftsführer.

Die Mischung macht’s also: Das sieht der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Rüttenscheid, Rolf Krane, ähnlich. Über das Angebot von Handel und Gastronomie spiele aber auch das gesamte Erscheinungsbild des Stadtteils eine maßgebliche Rolle. Beispielsweise werde auf Sauberkeit großen Wert gelegt und zur Jahreszeit passende Dekoration sei längst Standard, also unter anderem Blumensäulen im Sommer und heimelige Winterbeleuchtung für die dunkle Jahreszeit, so Krane. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren stärke den Standort.

Pluspunkte auch und gerade zu Zeiten des Lockdowns

Kirsten Rabe: Zunächst sollte es in Rüttenscheid eine zweite Filiale sein, inzwischen hat sie nur noch ein Geschäft, das aber an der Rü.
Kirsten Rabe: Zunächst sollte es in Rüttenscheid eine zweite Filiale sein, inzwischen hat sie nur noch ein Geschäft, das aber an der Rü. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

In Rüttenscheid wollte Modehändlerin Kirsten Rabe ursprünglich eine zweite Filiale – neben der in der City – eröffnen. Ein anderer Stadtteil sei für sie überhaupt nicht in Betracht gekommen.

Während des Lockdowns – und da ist Kirsten Rabe der gleichen Ansicht wie Marten von Drathen – habe eine Meile wie die Rü einen großen Vorteil zu punkten: Für den Kunden seien sei Click und Collect als auch Click und Meet deutlich einfacher zu handhaben, wenn viele Läden nah beieinander liegen.

Charme der Rü und kaufkräftiges Publikum

Schon vor mehreren Jahren hat das Reisebüro Heinrich & Co seinen angestammten Platz in der Lindengalerie verlassen, um an die Rüttenscheider Straße zu ziehen. Seinerzeit habe man sehr gezielt ein kleineres Lokal gesucht und der Mietpreis im Vergleich zur Innenstadt habe auch eine entscheidende Rolle gespielt, sagt Michael Lieske. Der Charme der Rü und ein kaufkräftiges Publikum seien ebenfalls entscheidende Argumente gewesen.

Die Ansiedlung von hochwertigen Restaurants und Lebensmittel-Einzelhändlern soll eine entscheidende Rolle gespielt haben, als der Delikatessen-Händler Schlemmermeyer vor gut drei Jahren von der Kettwiger Straße nach Rüttenscheid kam. Schuhhändler Mirko Tott legte vor rund zwei Jahren die bis dato zwei Standorte, eines davon in der City, an der Rü zusammen.

Nach Angaben des Immobilienspezialisten Ruhr Real liegen beispielsweise die Mietpreise für Ladenlokale an der Kettwiger Straße bei einer Fläche von 60 bis 150 Quadratmetern zwischen 75 und 85 Euro pro qm, im Fall von 150 bis 300 Quadratmetern bei 60 bis 70 Euro. Auf der Rüttenscheider Straße liegen die Mieten niedriger: Der Höchstbetrag sind 55 Euro pro qm bei Filialen zwischen 60 und 150 Quadratmetern, Durchschnittspreis: 48 Quadratmeter. Bei der nächstgrößeren Stufe (150 bis 300 Quadratmeter) sind 45 Euro der Durchschnitt und 55 Euro der Spitzenpreis.