Essen. Heimatforscher übergibt Pachtverträge der Rellinghauser Stiftsmühle an Stadthistoriker. Was das Stadtarchiv mit den alten Dokumenten macht.
Durch einen glücklichen Zufall ist der Rellinghauser Heimatforscher Johannes Stoll in den Besitz von sechs Original-Pachtverträgen (1435-1629) der Rellinghauser Stiftsmühle gekommen – und hat sie jetzt dem Stadtarchiv zur Verfügung gestellt. Dort haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade viel zu tun. Was die Corona-Pandemie damit zu tun hat.
„In Corona-Zeiten räumen offenbar viele Menschen ihre Keller und Dachböden auf – und finden zum Teil wahre Schätze aus dem Familienbesitz, von deren Existenz sie oft gar nichts geahnt haben“, sagt Claudia Kauertz, Leiterin des Stadtarchivs im Haus der Essener Geschichte am Ernst-Schmidt-Platz. Seit April sei das Haus wegen der Pandemie geschlossen gewesen, zu tun gebe es trotzdem reichlich.
„Wir freuen uns natürlich, wenn die Bürger Kontakt mit uns aufnehmen, wenn sie glauben, etwas Interessantes zur Essener Geschichte gefunden zu haben. Selbst wenn sich ein Fund dann als nicht ganz so wertvoll herausstellen sollte, ist es auf jeden Fall sinnvoll, uns die Sachen zu zeigen“, so die Leiterin. „Es wäre schade, sie gleich auf den Müll zu werfen oder sie vielleicht einzeln bei Ebay zu verkaufen, womit sie dann als Ganzes für die Allgemeinheit verloren sind.“ Claudia Kauertz hofft, dass die Bürger mehr Geschichtsbewusstsein entwickeln und mit solchen Funden achtsam umgehen.
Urkunden bleiben der Nachwelt erhalten
Das hat Johannes Stoll, Heimatforscher und ehemaliger Vorsitzender der Bürgerschaft Rellinghausen-Stadtwald, getan. Im Stadtarchiv werden wertvolle Dinge wie die von Stoll überreichten Urkunden restauriert und konservatorisch behandelt, so dass sie nachfolgenden Generationen zur Verfügung stehen.
Fundstücke werden in einer Datenbank erfasst
„Die Urkunden, die uns Johannes Stoll geschenkt hat, sind nun für die Öffentlichkeit zugänglich und stehen zur Nutzung im Lesesaal im Haus der Essener Geschichte bereit“, so Claudia Kauertz. Man habe als Stadtarchiv einen öffentlichen Auftrag, solche Funde auf Dauer zu bewahren und sie für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen, „so dass man die Stadtgeschichte auch noch in 600 Jahren oder länger nachvollziehen kann“, erklärt die Leiterin. Wie andere historische Dinge haben die Rellinghauser Fundstücke deshalb eine Signatur erhalten und sind in einer Datenbank erfasst.
Wo die Urkunden herkommen
Nach den Recherchen von Johannes Stoll hatte Helmut Feldhofer die Urkunden in den 1970er Jahren vom Schwager des letzten Hofbesitzers Wittenberg, genannt Schürmann, erhalten.
Dieser wiederum hatte die Urkunden von einem Nachfahren des letzten Pächters der Stiftsmühle Rellinghausen bekommen.
Die wertvollen Pergament-Urkunden geben Aufschluss über die Pächter der Stiftsmühle, die sich im Bereich der heutigen Rellinghauser Straße/Frankenstraße befand. Um den Erhalt der Urkunden hat sich Restauratorin Barbara Pohl gekümmert. „Pergament ist getrocknete, gespannte Tierhaut, die nicht direkt mit Feuchtigkeit oder Alkohol in Verbindung kommen darf, das würde ihr Fett entziehen“, erläutert sie.
Um Verschmutzungen zu entfernen, werden die Urkunden mit Pinsel und Schwämmchen trocken gereinigt, in der Feuchtkammer dann bis zu 24 Stunden geglättet. „Durch eine Wasserschale wird die Luftfeuchtigkeit bis 80 Prozent erhöht, das Material entspannt sich. Danach wird die Urkunde zwischen Filzen mehrere Tage getrocknet, bis die Feuchtigkeit ganz raus ist und sie glatt liegen bleibt“, erklärt Barbara Pohl. Anschließend werden Urkunden wie die von der Rellinghauser Mühle in Archivkartons aufbewahrt.
Im Stadtarchiv lagern zehn Kilometer historische Dokumente
Die Unikate können die Bürger dann im Lesesaal ansehen und in digitalisierter Form mit nach Hause nehmen. „Wir haben zehn Kilometer Dokumente vom 13. Jahrhundert bis heute“, sagt Archivleiterin Claudia Kauertz. Allzu oft muss sie die Schriftstücke nicht heraussuchen: Im Schnitt werde jedes Stück alle 30 Jahre einmal nachgefragt. Während bisher in erster Linie Materialien aus der Zeit von Kohle und Stahl gewünscht worden seien, gebe es inzwischen auch ein größeres Interesse an der älteren, vorindustriellen Stadtgeschichte.
Manchmal seien solche Urkundenfunde einfach Zufall. In den Besitz der wertvollen Dokumente war Johannes Stoll bei seinen Recherchen zum Schürmannhof in Bergerhausen gekommen. „Für das Buch habe ich Material des verstorbenen Helmut Feldhofer verwendet. Nachdem das Buch erschienen war, meldete sich dessen Tochter und bot mir weitere Unterlagen an, die ihre Mutter aussortiert hatte“, so Stoll.
Der anschließende Besuch bei der Familie lohnte sich: „Schürmannhof, Pott-Hof, Albert-Hof, Schulte-Staade, Kersebaum-Hof, alles war fein säuberlich abgeheftet in Sammelalben. Urkunden, Fotos, Zeitungsausschnitte, Sterbebildchen, Texte – ein wahrer Schatz tat sich da auf, die Ergebnisse akribischer jahrzehntelanger Arbeit Helmut Feldhofers“, so Johannes Stoll.
Eine der ältesten Wassermühlen der Stadt
Die Urkunden zeigte Stoll dann Claudia Kauertz vom Stadtarchiv, die mit Begeisterung auf die Lehnbriefe reagierte. „Die sogenannte Stiftsmühle am Rellinghauser Mühlenbach gehört zur den ältesten Wassermühlen auf dem Gebiet der heutigen Stadt Essen“, so Claudia Kauertz. Die Kornmühle habe dem Damenstift in Rellinghausen gehört und sei von der Pröpstin jeweils auf Lebenszeit an den jeweiligen Pächter vergeben worden. Wollten dessen Nachfahren die Mühle weiter nutzen, sei ein neuer Vertrag aufgesetzt worden.
Erstmals urkundlich erwähnt worden sei die Mühle 1411. Dass die älteste jetzt aufgefundene Urkunde von 1435 stamme, sie ungewöhnlich, sagt die Leiterin des Stadtarchivs. „Die meisten Urkunden dieser Art stammen aus dem 16. Jahrhundert.“ Die Stadt Essen habe die Mühle 1906 für 292.000 Mark erworben, 1912 sei sie dann abgerissen worden, als durch die Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts der Mühlenbach die Abwässer der Zechen und der Gemeinde aufnehmen musste und zunehmend verschmutzte. Nach dem Abriss sei das Gelände eingeebnet und später für den Bau der Straßenbahn aufgeschüttet worden, so Stoll.