Essen. Hinterherpfeifen und übergriffige Kommentare: Sexuelle Belästigung ist ein alltägliches Problem. So kreativ bekämpfen es Aktivistinnen aus Essen.

Janet greift zur neonpinken Kreide und schreibt damit große Buchstaben auf den Boden des Willy-Brandt-Platzes in der Essener Innenstadt. Viele Passanten bleiben stehen, um ihren Text zu lesen: „,Hey Süße!’ Ich ignorierte ihn. Er verfolgte mich bis nach Hause.“

Mit Kreide-Botschaften wie dieser will die 21-Jährige auf das sogenannte „Catcalling“ aufmerksam machen. Darunter versteht man verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel übergriffige Kommentare oder Hinterherpfeifen.

Essener Instagram-Aktivistinnen kreiden sexuelle Belästigung an

Im ganzen Stadtgebiet schreiben Janet und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter regelmäßig die Erfahrungen auf, die Menschen in Essen gemacht haben. Ankreiden nennen sie ihre Form des Protests. Auf ihrem Instagram-Account @catcallsofessen teilen sie im Anschluss die Fotos der Zeichnungen.

Über das soziale Netzwerk erreichen sie auch die Nachrichten der Betroffenen. „Ich stillte in der Fußgängerzone. Ich war komplett bedeckt und er sagte: „Boah, da will man doch auch noch mal Baby sein“, berichtete beispielsweise eine Mutter.

Über 150 Betroffene berichten von „Catcalling“-Erfahrungen in Essen

Über 150 solcher Nachrichten hätten sie mittlerweile erhalten. „98 Prozent haben einen sexuellen Hintergrund und etwas mit sexualisierter Gewalt zu tun“, sagt Kim. Die 31-Jährige gründete die Gruppe im Oktober 2020, nachdem sie einen Fernsehbeitrag über die weltweit aktive Bewegung sah.

In Deutschland gibt es mittlerweile in fast jeder größeren Stadt Aktivisten, die verbale Belästigungen öffentlich anprangern. Die Essener Gruppe besteht aus einem Kernteam, in dem sich Kim, Janet, Lasse und Luise engagieren. Unterstützt werden die Vier von rund 15 weiteren Personen, die einmal in der Woche durch die Stadt ziehen.

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Von sexistischen Sprüchen bis zu körperlichen Übergriffen

Sie alle setzen sich gegen „Catcalling“ ein, weil sie es bereits selbst erleben mussten. „Ich kenne keine Person, die nicht schon mal von ,Catcalling’ betroffen war“, sagt Kim. Ihr ist es wichtig zu betonen, dass nicht nur Frauen verbal belästigt werden würden. So schrieb beispielsweise ein 16-Jähriger: „Als ich nach Hause lief, sagte ein älterer Mann zu mir: ,Du hast so einen geilen Arsch, den würde ich auch gerne mal in meinem Bett sehen.’“

Viele der an sie gesendeten Schilderungen würden weit über diese Art der Belästigung hinausgehen. Häufig berichten Menschen von körperlichen Übergriffen, wie auch Kim ihn als 16-Jährige erleben musste: „Ich war mit dem Hund draußen. Im Vorbeigehen hat mir ein Typ einfach zwischen die Beine gegriffen. Ich war total perplex.“

Initiatorin Kim über „Catcalling“: „Es ist eben nicht ein Kompliment.“

Wenn die Gruppe solch extreme Erfahrungen ankreidet, seien viele Passantinnen und Passanten schockiert. Generell zeigten sich viele von ihnen interessiert und unterstützend. Aktivistinnen aus anderen Städten hätten Kim hingegen bereits von negativen Reaktionen berichtet. Einige seien beim Ankreiden mit Tomaten beworfen und mit Bier überschüttet worden.

„Catcalling“ als Straftat

Eine Online-Petition fordert, dass „Catcalling“ in Deutschland unter Strafe gestellt werden soll. Nach jetziger Definition liegt nur bei körperlichem Kontakt eine Straftat vor.In anderen Ländern ist verbale Belästigung hingegen bereits illegal, zum Beispiel in Belgien und Portugal. Wer in Frankreich jemanden auf der Straße verbal belästigt, muss mit einer Geldstrafe von bis zu 750 Euro rechnen.

Davon lasse sich die Essener Gruppe aber nicht abschrecken. Sie wolle ein Bewusstsein dafür schaffen, dass „Catcalling“ nicht einfach so hingenommen werden dürfe: „Man darf das nicht einfach abstempeln und denken: Sowas passiert halt“, sagt der 21-jährige Lasse.

Kim wolle vor allem an die Täter appellieren und ihnen klar machen, „dass es eben nicht ein Kompliment ist und man nicht mal eben so darüber hinwegsehen kann.“ Sie bezweifle zwar, dass die Gruppe „Catcalls“ aus der Welt schaffen werde, aber: „Wenn wir nur eine Person dazu bringen, ihr Verhalten zu überdenken, ist das schon ein großer Erfolg.“