Essen-Byfang. Wie mit einer Zeche Heimat entstand und auch wieder verschwand: Ein Hörspiel führt nach Byfang. Ab Juni sind Zuhörer an den Ort eingeladen.

Wenn aus dem Kaminstumpf von Schacht Wilhelm bald Stimmen zu hören sein werden, werden diese vom Leben in der ehemaligen Bergbausiedlung in Byfang erzählen. Von der Arbeit unter Tage auf Zeche Viktoria wie von den Gärten samt Taubenschlägen und den Stunden im Tanzlokal Zum blauen Vogel – Zeitzeugen erzählen sie. Hörspiele sollen an die Zeiten erinnern und an eine Siedlung, die längst verschwunden ist. Damit beteiligen sich drei Essener an dem Projekt Heimatruhr.

Ob der Kamin, der heute am Kulturpfad durchs Deilbachtal und zudem unter Denkmalschutz steht, nun ein Wetterkamin oder ein Kamin fürs Kesselhaus gewesen ist, das spielt für Ralf Kaupenjohann keine so große Rolle. Als viel spannender bezeichnet der 62-Jährige die frühere Siedlung, von der nicht einmal eine Spur übrig geblieben sei. An dem Ort, der einst vom Leben und Alltag der Kumpel geprägt worden ist, wachsen heute Bäume, Sträucher, führt ein Wanderweg entlang. Die Zeche Viktoria stand auf dem Gelände, auf dem sich heute der Discounter Aldi befindet. „Der Turm im Wald - Wie mit einer Zeche Heimat entstand und auch wieder verschwand“, lautet daher der Titel seines Vorhabens, das mit 25.000 Euro gefördert wird.

Projekt und dessen Entstehung werden mit der Kamera dokumentiert

Zu den Beteiligten an dem Hörspiel-Projekt in Essen Byfang gehören Ralf Kaupenjohann (li.) und Peter Gerold. Tom Briele dokumentiert die Arbeiten dazu.
Zu den Beteiligten an dem Hörspiel-Projekt in Essen Byfang gehören Ralf Kaupenjohann (li.) und Peter Gerold. Tom Briele dokumentiert die Arbeiten dazu. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Mit den Hörspielen, mit Texten und Musik, möchte der Heisinger Ralf Kaupenjohann nun die einstige Atmosphäre einfangen und erlebbar machen, die auch von der Historie des Bergbaus zeugt. Den Turm hat der Musiker, der an der Folkwang Musikschule unterrichtet, beim Wandern entdeckt, später dann die Ausschreibung zum Heimat-Projekt gefunden. Bis dahin hat er bereits auch viel Theatermusik und Hörspiele wie „Zitrone, Schlüssel, Ball“ zum Thema Demenz gemacht.

Sein Beruf führte ihn zu Radio Bremen und nach Südtirol, das neue Projekt führt nach Byfang, für das er sogleich begeisterte Mitstreiter fand. Klarinettist Markus Zaja gehört dazu, mit dem er bereits unfreiwillig zum Historiker wurde, als sich die beiden auf die Suche nach dessen Familiengeschichte machten und dabei bis Wien und London und in die Niederlande gelangten. Eine Lebensreise (Mijn levensreis) ist das Ergebnis, ein Projekt, das Tom Briele mit der Kamera dokumentierte - und das auch jetzt wieder rund um den Turm übernimmt.

Zu den Inhalten des neuen Hörspiel tragen Zeitzeugen bei

Die Initiatoren des Projekts Heimatruhr

Das european centre for creative economy (ecce) fördert aktuell sechs Essener Beiträge unter dem Stichwort Heimatruhr im Auftrag des NRW-Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung. Das stellt dazu für 2020 und 2021 bis zu drei Millionen Euro in zwei Förderrunden bereit.Künstler, Kreative und Kulturschaffende sollen Ideen für mehr Lebensqualität im Ruhrgebiet entwickeln und neue Heimatorte schaffen. Es sollen Akteure und Institutionen zusammengebracht werden, „um den Wandel zum Kreativ- und Zukunftsstandort Ruhr voranzutreiben und diesen überregional wie europaweit sichtbar zu machen“. Ergänzend zu der Förderung von Projekten ist für Herbst 2021 ein Kongress geplant, um über den Heimat-Begriff aus künstlerischer, kreativer und kultureller Sicht zu diskutieren. Das ecce selbst hat seinen Ursprung in der Kulturhauptstadt 2010, seinen Sitz in Dortmund. Gesellschafter sind u.a. die Städte Essen, Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen sowie die Folkwang Universität. Infos: https://www.e-c-c-e.de/´

Der Stoppenberger Peter Gerold wiederum gehört als Autor und Dramaturg zum Team, bringt dafür bereits 30 Jahre Erfahrung im Schreiben und als Hörspielsprecher mit. Hauptberuflich arbeitete der 67-Jährige bis zur Rente als Abteilungsleiter bei der Neuen Arbeit des Diakoniewerkes und widmet sich in seiner Freizeit schon lange Musicals und poetischen Programmen.

Zu den Inhalten des neuen Hörspiel tragen nun Zeitzeugen bei, ehemalige Bewohner der Bergbausiedlung. Fünf haben sie bereits gefunden, haben lange Gespräche geführt und ausführliche wie rührende Briefe erhalten, haben manchen Kontakt dem Zufall zu verdanken. Ralf Kaupenjohann hat in Akten gestöbert, alte Adressbücher durchsucht und im Essener Stadtarchiv sowie im Archiv der Kupferdreher Bürgerschaft recherchiert. Dabei hat er Luftbilder entdeckt und Namen schließlich auch im Internet gesucht. Inzwischen gibt es den Austausch etwa mit einem 87-Jährigen, der heute in Kiel lebt.

Im Tanzlokal Zum blauen Vogel trafen sich Taubenväter

Einen weiteren Bewohner hat er beim Spaziergang kennengelernt und dann noch einen seinen Schüler angesprochen, der den gleichen Namen trägt wie ein früherer Kumpel. „Über den Vater des Schülers habe ich von dessen Großtante erfahren, die die Schankkonzession für das Tanzlokal hatte“, berichtet der Heisinger. Der Blaue Vogel, in dem sich die Taubenväter trafen, sei dann später eine Disco geworden, hat er inzwischen erfahren.

Zu der Siedlung selbst sollen die Häuser für Bergleute und ein Steigerhaus gehört haben. Nicht mehr als zehn Bauten insgesamt, wahrscheinlich etwa 20 Familien und ebenso viel Kinder, die morgens gemeinsam zur Schule in Oberbyfang gingen, nachmittags auf dem Bolzplatz Fußball spielten. „Siedlung gegen Straße hieß es dann“, sagt Ralf Kaupenjohann.

Textaufnahmen laufen mit Schauspielern im Tonstudio

Im Inneren des Turmes in Essen-Byfang sollen die Hörspiele erklingen, an denen der Heisinger Ralf Kaupenjohann derzeit arbeitet.
Im Inneren des Turmes in Essen-Byfang sollen die Hörspiele erklingen, an denen der Heisinger Ralf Kaupenjohann derzeit arbeitet. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Nachdem er nun mit seinen Kollegen Interviews geführt und Fotos gesichtet hat, folgen nun die Textaufnahmen aus den Erinnerungen der früheren Bewohner mit Schauspielern im Tonstudio. Zuvor hat er sich mit zahllosen Auflagen rund um den Denkmalschutz auseinandersetzen sowie um Vorgaben der Ruhrforstbehörde und auch der Unteren Naturschutzbehörde kümmern müssen. Zuletzt stand ein Gutachten wegen möglicher Einsturzgefahr an.

Jetzt laufen auch die Vorbereitungen für den Auftakt am 19. Juni, in der Hoffnung, dass es mit Blick auf die Pandemie eine Eröffnungsveranstaltung mit Besuchern geben kann. Zwei 450-Euro-Kräfte wollen sie dann einstellen, die die Hörspiele jeweils samstags und sonntags im Turm abspielen.

Hörspiele mit Dialogen, einem Blick in die Zukunft und ein Märchen

Es soll Hörspiele mit Dialogen geben, die an das Arbeitsleben und die vielen abgerissenen Bergbausiedlungen im Ruhrgebiet erinnern, ein Blick in die Zukunft ist vorgesehen sowie ein Märchen. Geplant ist zudem eine Webseite mit allen Dokumenten, die Siedlung könnte virtuell wieder entstehen, Besucher könnten diese mit VR-Brille erleben. Ein QR-Code mit den Inhalten wäre möglich. Ideen gibt es noch so manche, „wenn sich unser Projekt weiterentwickelt“, sagt Ralf Kaupenjohann.

Wichtig ist den Beteiligten, die Stimmung in der kleinen Siedlung zu erfassen, ohne zu romantisieren. Es ist eine Reise in die 1960er Jahre – kurz bevor, die Häuser Anfang der 70er dem Erdboden gleich gemacht wurden. Damit hätten die Menschen nicht nur ihre Taubenschläge, sondern auch ihre Heimat verloren: „Für die Menschen, die dort gelebt haben, soll es auch ein Denkmal sein.“

Weitere Zeitzeugen können sich melden: : turm@kzrme.de