Essen. Der Austritt dreier Ratsmitglieder zeigt erneut, wie hart beim EBB um persönliche Macht gerungen wird. Immer noch am Ball: Übervater Udo Bayer.

Ein Treffen altgedienter Gründerfiguren des Essener Bürgerbündnisses unter Teilnahme von EBB-Übervater Udo Bayer – glaubt man dem vergangenen Donnerstag ausgetretenen Fraktionschef Jochen Backes war der 21. Februar der Anfang vom Ende für sein Engagement im EBB. „Degenerierter Haufen“ habe man seine Fraktion dort in seiner Anwesenheit genannt, ihn persönlich habe Bayer als „Winkeladvokat“ geschmäht und wegen angeblicher Unfähigkeit den Rauswurf von Fraktionsgeschäftsführer Josef Förster verlangt. Seit vielen Jahren ist das Bürgerbündnis als größtes Intrigantenstadel der Essener Kommunalpolitik verschrien, doch dass als Folge einer beispiellosen Eskalation Knall auf Fall gleich drei von fünf Ratsmitgliedern von der Fahne gehen, hat selbst für EBB-Verhältnisse eine neue Qualität.

Offiziell ohne Funktion beim EBB,  tatsächlich aber noch sehr einflussreich: Udo Bayer.
Offiziell ohne Funktion beim EBB, tatsächlich aber noch sehr einflussreich: Udo Bayer. © Sebastian Konopka

Angetreten war das Bürgerbündnis einmal mit dem hehren Anspruch, alles ganz anders zu machen: Transparenter sollte es zugehen, allein um Sachfragen sollte gerungen werden, und zwar ohne ideologische Verklemmungen und abseits persönlicher Eitelkeiten. „Nichts davon stimmt“, sagt einer, der einige Zeit nah dran war an den Entscheidern und frustriert ausstieg. Beim EBB handele es sich vielmehr „um eine Ansammlung egomanischer Selbstdarsteller“, die alle Vorurteile bestätigten, die zur Kommunalpolitik kursierten. „Und das gilt für beide Seiten, die sich jetzt bekriegen.“

Der Charakter eines lockeren Bürgerbündnisses ohne übergeordnete Parteistrukturen, biete zwar gerade im Kommunalen die Chance, bürgernahe Politik zu machen. „Wenn aber die falschen Leute Macht erhalten, verkehrt es sich ins Gegenteil“ Dann seien der Egomanie keine Grenzen gesetzt. Beim Essener Bürgerbündnis habe man sich immer viel Mühe gegeben, dem alten bösen Wort von der Politik als „schmutziges Geschäft“ neue Bedeutung zu geben, so der Insider, der ungenannt bleiben möchte.

Formal ist Udo Bayer fast ohne Funktionen, tatsächlich soll er noch viele Fäden ziehen

Udo Bayer, angesprochen auf die neueste Eskalation, lässt sich dazu etwas widersprüchlich aus. „Ich habe seit zwei Jahren nichts mehr zu tun mit dem Bürgerbündnis.“ Tatsächlich legte er damals sein Ratsmandat, sein Amt als EBB-Fraktionschef und einen Teil seiner Aufsichtsratsmandate offiziell nieder und verlegte seinen Lebensmittelpunkt überwiegend nach Bonn. Wie dieser formelle Rückzug mit seinem brachialen Auftritt vom 21. Februar zusammengeht, vermag der mittlerweile 72-jährige Bayer aber nicht so recht zu erklären.

Einer von zwei verbliebenen EBB-Ratsherren: Kai Hemsteeg.
Einer von zwei verbliebenen EBB-Ratsherren: Kai Hemsteeg. © Julia Tillmann

Ja, er habe Fraktionsgeschäftsführer Förster zum Rücktritt aufgefordert und auch das Wort vom Winkeladvokat dementiert Bayer nicht. Ganz allgemein aber seien Backes’ Schilderungen „erlogen und erstunken“. Man glaube,„auf einer anderen Veranstaltung gewesen zu sein“, schimpft Bayer.

Wer hier die Wahrheit dehnt und biegt, ist am Ende eine offene Frage. „Udo Bayer zieht auch nach seinem Rückzug weiterhin die Fäden“, sagt Jochen Backes. Seine behauptete Passivität sei eine reine Show. „Es war eine Treibjagd, die weitergegangen wäre, wir haben sie dann beendet durch unseren Rückzug“, begründet Backes seinen Schritt, zu Beginn der Mitgliederversammlung am vergangenen Donnerstag die Fraktion zu verlassen.

Selten wurde in der Essener Politik so hämisch übereinander hergezogen

Die Ratsleute Dagmar Rode und Manfred Gunkel konnte er mitziehen. „Ihr einstudierter sang- und klangloser Abtritt war an Larmoyanz nicht zu überbieten“, heißt es in einer wütenden Mitteilung des EBB über die Abweichler. Backes habe als Fraktionschef versagt, „er sucht den Konflikt mit dem Ziel der Spaltung“. Gunkel sei „farblos“, Rode eine „Polit-Novizin“. Es hat in den Essener Politik schon viele parteiinterne Machtkämpfe gegeben, selten aber wurde öffentlich so hämisch übereinander hergezogen. „Mit bürgerlichen Umgangsformen hat das nicht mehr zu tun“, klagt Backes.

Den verflossenen EBB-Fraktionschef Udo Bayer sieht Backes als Spinne im Netz, sein Einfluss im EBB sei immer noch immens. Fakt ist: Bayer war über Jahrzehnte die bestimmende Figur im EBB, forderte und erhielt Loyalität und war an den zahlreichen Häutungen und Personalwechseln maßgeblich beteiligt. Seine wortgewaltige Rhetorik und seine autoritäre Art – Spottbezeichnung: „Udokratie“ – schufen dafür die Grundlage. Nachdem er im Jahr 2000 im Streit die SPD verließ, baute er später mit anderen abtrünnigen Sozialdemokraten die kommunale Bürgerpartei EBB auf, die ihm fortan eine ideale Bühne ohne nennenswerte interne Konkurrenz bot. Mitstreiter, die sich nicht unterordnen wollten, hielten das nicht lange durch.

Noch immer in den Aufsichtsgremien von RVR und Landschaftsverband

Aktuell dienten Bayer die beiden verbliebenen EBB-Ratsmitglieder, die Ex-Piraten Kai Hemsteeg und Wilfried Adamy, als Transmissionsriemen in die Essener Politik, heißt es aus Aussteigerkreisen des EBB. Mit beiden kann der Patriarch gut. Er war es, der sie einst von den Piratenpartei ins EBB lotste, 30 Mitglieder brachten sie als Morgengabe mit.

Bis heute sitzt man gemeinsam in den Aufsichtsgremien des Regionalverbands Ruhr und des Landschaftsverbands Rheinland, Mandate, die Bayer immer noch hält, was mancher im EBB seltsam findet. „Klar sprechen wir da auch schon mal über die Essener Politik und das EBB, aber längst nicht in der Intensität, wie es behauptet wird“, so Bayer. Dass hier eine Art Verschwörung entstanden ist, um den Fraktionsvorsitzenden zu stürzen „ist großer Unsinn“, sagt Kai Hemsteeg, der seinerseits sagt, er sei bitter enttäuscht von Jochen Backes. „Mit mir hat er nicht das Gespräch gesucht.“

Vorwurf: Jochen Backes hat das EBB politisch nach rechts geschoben

Bayer und Hemsteeg verbindet allerdings die Kritik an der politischen Arbeit von Jochen Backes, wie sie unabhängig voneinander betonen. „Es gab eine Tendenz bei Herrn Backes, das EBB als Abgabenreduzierungspartei zu profilieren“, tadelt Hemsteeg. Bürger auch einmal mit sinkenden Abgaben zu erfreuen, klingt für ein Bürgerbündnis zwar nicht sonderlich exotisch, aber Backes wollte mehr. Er steuerte das EBB in eine umfassende Oppositionsrolle, kritisierte oft scharf den OB und den Verwaltungsvorstand. „Das ging mir zu weit“, so Hemsteeg. „Politisch nicht mehr anschlussfähig“, weil zu radikal, sei das EBB in der Essener Politik, heißt es denn auch in der besagten Mitteilung nach dem Bruch.

Schließlich habe Backes, der vor einigen Jahren die AfD verließ, das Bürgerbündnis „ein Stück weit nach rechts geschoben“, so Hemsteeg. So habe er „einseitig“ betont, dass es in Essen bei der Betreuung von Flüchtlingen weniger verschwenderisch zugehen müsse. Effizienz der Sozialverwaltung – auch dies ein Punkt, der den Sozialdezernenten nerven mag, zu einem Bürgerbündnis aber durchaus passen will.

„In der Flüchtlingskrise hat sich Bayer bleibende Verdienste erworben“, lobt Backes

Auch Bayer rühmte sich in seiner aktiven Zeit, die Stadtverwaltung hart attackiert zu haben und etwa die Flüchtlingspolitik vom Kopf auf die Füße gestellt zu haben – und er schaffte es tatsächlich, durch beharrliche Aufklärung die Zahl der Asylunterkünfte in Essen auf das wirklich nötige Maß zu reduzieren. „Da hat er sich bleibende Verdienste erworben“, lobt Backes am Montag demonstrativ seinen Widersacher.

Wie es beim EBB Tradition hat, wird nun mit allen Mitteln gekämpft: Selbst Leserbriefe mit Fake-Absendern an die Essener Zeitungen gehören da zum ortsüblichen Verhalten. Für die heutige Ratssitzung immerhin ist eine Lösung gefunden. Die Frage war: Wie trennt man die zwei verbliebenen EBB-Ratsmitglieder und die drei ehemaligen, die nun als „Bürgerliche Mitte Essen“ (BME) firmieren und nicht mehr nebeneinander sitzen wollen? Der OB hat beschlossen, die Einzelvertreter der rechten Parteien und Gruppierungen als trennende Elemente dazwischenzuschieben.

So albern kann Kommunalpolitik manchmal sein.

Stachel im Fleisch der etablierten Parteien

  • Das Essener Bürger Bündnis wurde 2004 gegründet, um „Stachel im Fleisch der etablierten Parteien“ zu sein. Vor allem scharfe Kritik an den maroden Stadtfinanzen bescherte der Wählervereinigung Respekt der Konkurrenz und Zulauf aus bürgerlichen Kreisen.


  • Bei den Kommunalwahlen 2004, 2009 und 2014 schaffte das EBB stets den Einzug ins Stadtparlament. Rund 4,3 Prozent der Stimmen sowie Übertritte von AfD und Piraten sorgten dafür, dass man zuletzt zu fünft im Rat vertreten war, außerdem mit zwölf Mitgliedern in acht Bezirksvertretungen. Von 2010 bis 2014 konnte das EBB im sogenannten Viererbündnis mit CDU, Grünen und FDP Einfluss auf die Stadtpolitik nehmen.