Essen. Mobile Impf-Teams der Stadt Essen waren nun in allen sechs Flüchtlingsunterkünften. Doch das Angebot wurde nicht so gut angenommen, wie erwartet.
Für Nurallah Ullah ist es ein Pieks der Hoffnung: Seit er mitten in der Pandemie seinen Job verlor, sei es schwer für ihn, etwas Neues zu bekommen. „Mit der Impfung finde ich vielleicht wieder eine neue Arbeit, eine neue Wohnung“, sagt er. „Seit so langer Zeit halte ich Abstand wegen Corona. Ich habe Angst. Mit Impfung bin ich geschützt“, sagt der 33-Jährige, der vor sechs Jahren aus Bangladesch nach Deutschland geflüchtet ist.
Viele Bewohner haben Angst vor der Impfung
Nicht alle Bewohner der noch sechs Essener Flüchtlingsunterkünfte haben das Angebot der Stadt genauso positiv aufgenommen wie Ullah: „Viele hatten Ängste“, sagt Alina Terörde vom Diakoniewerk, das drei der städtischen Unterkünfte betreut. „Die Impfbereitschaft war sehr unterschiedlich ausgeprägt, aber mehr als 50 Prozent waren es an keinem Standort.“ Darum solle es einen zweiten Termin geben.
Zur Premiere am Freitag waren zwei mobile Impf-Teams unterwegs und steuerten sämtliche Unterkünfte an, machten Stopps an der Hülsenbruchstraße, Papestraße, Lerchenstraße, Grimbergstraße, Karl-Meyer-Straße und am Kloster Schuir. Derzeit leben nicht einmal mehr 400 Bewohner in den Unterkünften, vor einem Jahr waren es noch rund 500: „Seit Beginn der Pandemie gibt es fast keine Zuweisungen mehr, und einige sind in eigene Wohnungen gezogen“, sagt Alina Terörde, die den Bereich Integration und Quartiersarbeit des Essener Diakoniewerks leitet. Die lockere Belegung hilft derzeit auch, die coronabedingten Abstände einzuhalten: Die meisten Bewohner haben ein Einzelzimmer.
Auch Mitarbeiter und Ehrenamtliche können sich impfen lassen
Mit dem jetzigen Impf-Angebot ist Essen eine von bislang wenigen Kommunen in NRW, die begonnen haben, Geflüchtete in Sammelunterkünften unabhängig von Alter oder Vorerkrankung zu impfen – wenn sie denn wollen. Die Gruppe ist im jüngsten Impferlass des Landes vom 5. Mai erstmals ausdrücklich aufgeführt, bis Ende Mai soll sie ein Impf-Angebot bekommen. Von der Essener Aktion profitierten nun auch Mitarbeiter und Ehrenamtliche. Verimpft wurde Johnson & Johnson, das schon nach einer Gabe wirksam schützen soll.
Aus Sicht des Flüchtlingsrats kommt das Angebot reichlich spät: „Dabei ergibt sich alleine durch die Form der Unterbringung in den Massenunterkünften ein hohes Ansteckungsrisiko“, sagt Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW. Immer wieder habe sich das in großen Ausbrüchen gezeigt. 24 Mal mussten ganze Landeseinrichtungen, 55 Mal einzelne Teilbereiche unter Quarantäne gesetzt werden. Hinzu kämen viele Ansteckungen in den Heimen der Städte. In Essen sei das dagegen nur selten der Fall gewesen, sagt Alina Terörde: „In unseren drei Einrichtungen hatten wir in der ganzen Zeit fünf Fälle.“ Das liege vermutlich auch daran, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner einmal wöchentlich getestet werden, und Hygiene-Maßnahmen – angefangen bei der Maskenpflicht – gut angenommen würden.
Nach dem Ende des Ramadans will man einen neuen Termin anbieten
„Wir hätten uns aber eine größere Impfbereitschaft erhofft“, räumt Terörde ein. Einzelne Bewohner hätten sich bereits selbst einen Impf-Termin besorgt, bei denen anderen gebe es einen Mix aus Gründen: Da sind diejenigen, die Corona eher verharmlosen und solche, die aus ihren Heimatländern nicht mit Impfungen vertraut sind oder mögliche Nebenwirkungen fürchten. Weil viele wegen mangelnder Sprachkenntnisse keine deutschen Medien konsumierten, gebe es weniger Gegengewicht zu Falschinformationen, die sich in sozialen Medien manchmal rasant ausbreiteten.
„Eine Impfung ist freiwillig. Wir können niemanden überreden, nur überzeugen“, betont Bodo Kolling, im Sozialamt verantwortlich für die Flüchtlingsunterbringung. Mehrsprachige Ärzte haben daher vorab in Impfsprechstunden über Nebenwirkungen und Nutzen des Vakzins aufgeklärt. Auch das Impf-Team vor Ort gab in mehreren Sprachen Auskunft. Doch manche Bewohner waren erst gar nicht gekommen: Der eine winkte ab, weil er Komplikationen mit anderen Medikamenten befürchtete, die andere weil sie ihr Baby stillt. „Und manche möchten nicht während des Ramadans geimpft werden“, sagt Alina Terörde.
Für manchen bedeutet der Pieks Immunität – und Erleichterung
Darum soll es nun einen weiteren Besuch des Impf-Teams nach Ende des Fastenmonats in dieser Woche geben. In der Zwischenzeit wolle man analysieren, was die Betroffenen abgehalten habe, und weiter um Vertrauen für die Impfung werben: „Wir werden im Gespräch bleiben mit den Leuten, wir werden da dran bleiben“, sagt Kolling. Vielleicht helfe es ja auch, wenn die anderen sehen, dass es den Geimpften gut gehe. Der frisch geimpfte Nurallah Ullah will jedenfalls versuchen, seinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, die Vorteile der Impfung nahezubringen. „Große Erleichterung und große Immunität“, sagt er und lässt seinen gelben Impfausweis mit dem frischen Stempel darin im Rucksack verschwinden.