Essen. Der Anwalt des wegen Totschlags angeklagten Uniklinik-Arztes sieht kein strafbares Verhalten seines Mandanten. Wie er zu dieser Bewertung kommt.

Im Fall des wegen Totschlags in drei Fällen angeklagten Essener Oberarztes gibt es Anzeichen, dass das Thema Sterbehilfe/Sterbebegleitung eine Rolle gespielt haben könnte. Dafür spricht, wie sich der Verteidiger des 45 Jahre alten Arztes am Donnerstag (22. April) zu Wort meldete. „Ich gehe davon aus, dass es ein strafbares Verhalten des Mediziners nicht gegeben ist“, betont der Essener Fachanwalt für Medizin- und Strafrecht, Harald Wostry.

Anwalt fordert Überprüfung der U-Haft

Die Staatsanwaltschaft Essen hatte am Vortag Anklage erhoben und dazu erklärt, der am Essener Uniklinikum beschäftigte Arzt habe drei schwerst kranken Covid-19-Patienten „unmittelbar lebensbeendende Arzneimittel verabreicht, die zum vorzeitigen Tod geführt haben sollen“. Die verdächtigen Todesfälle hatte das Uniklinikum im November 2020 selbst der Staatsanwaltschaft gemeldet. Der Oberarzt wurde daraufhin festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft. „Das Landgericht Essen wird sich mit der Fortdauer der Haft befassen müssen“, fordert nun sein Anwalt.

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Weiter teilt Wostry mit, die Staatsanwaltschaft sei mit der Anklageerhebung einer „Anregung der Verteidigung gefolgt“. Demnach sei im Ermittlungsverfahren absehbar geworden, dass bei den unterschiedlichen Auffassungen von Ermittlern und Verteidigung „keine Annäherung zu erzielen war“. Das gelte sowohl für den Sachverhalt als auch für dessen rechtliche Bewertung. In dieser Situation habe die Verteidigung die Ermittlungsbehörden aufgefordert, „die Vorwürfe zu präzisieren und schnellstens Anklage zu erheben“. Denn nur im Rahmen einer Hauptverhandlung und der damit verbundenen Beweisaufnahme vor dem Landgericht Essen sei eine Klärung der Vorfälle möglich.

Bundestag debattiert gerade über Neuregelung der Sterbehilfe

Gut möglich, dass es dabei auch um den heiklen Komplex der humanitär motivierten Lebensverkürzung gehen wird. Aus historischen Gründen ist in Deutschland die aktive Sterbehilfe verboten. Doch zwischen dem Unterlassen und dem aktiven Handeln – zwischen Behandlungsabbruch und assistierten Suizid – gibt es zahllose Rechtsfiguren.

Der absolute Schutz des Lebens an dessen Ende ist in den vergangenen Jahren immer wieder lebhaft diskutiert worden; sei es weil etwa Schwerkranke das Recht auf einen selbstbestimmten Tod forderten, sei es weil Angehörige schweres Leiden abkürzen wollten. Dieser Tage wird im Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe diskutiert, nachdem das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe überraschend gekippt hatte.

Angehörige der Verstorbenen erstatteten offenbar keine Anzeige

Bei den in der Uniklinik verstorbenen Männern (45, 47 und 50 Jahre alt) handelt es sich um schwerst kranke Covid-Patienten, die auf der Intensivstation lagen. Das Uniklinikum teilte mit, sie hätten sich „im Sterbeprozess“ befunden. So könnte es im Essener Prozess um grundsätzliche Fragen am Lebensende gehen; womöglich könnte es in einer höheren Instanz eine Grundsatzentscheidung geben. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Angehörigen der drei Verstorbenen offenbar keine Anzeigen erstattet haben.