Essen. Ärzte, die Sterbenden helfen wollen, sind wieder auf relativ sicherem Boden. Die Grenzen müssen aber klar sein, mahnt ein Essener Medizinethiker.

Der Fall des Oberarztes im Uniklinikum Essen, der zwei Patienten mutmaßlich illegale Sterbehilfe gewährte, lenkt den Blick erneut auf einen Grenzbereich ärztlichen Handelns: Was tun, wenn die Medizin am Ende ihrer Möglichkeiten ist, der Tod in Sicht kommt, der kranke und leidende Mensch sterben möchte? Im Februar dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht ein im Jahr 2015 erlassenes Gesetz als grundgesetzwidrig verworfen, das jeder Form von Sterbehilfe zu enge Grenzen setzen wollte.

Ärztlich attestierter Suizid und Tötung auf Verlangen sind zweierlei

Seitdem können Todkranke wieder häufiger auf Erlösung durch einen „ärztlich attestierten Suizid“ hoffen, sofern entsprechende klare Willensbekundungen des Patienten oder seines Bevollmächtigten vorliegen. Das heißt nun allerdings nicht, dass Ärzte frei wären, eine Tötung auf Verlangen aktiv herbeizuführen, wie es möglicherweise im Klinikum geschah. Hier wäre vielmehr die Grenze zum Rechtsbruch und damit zur Kriminalität überschritten. „Dieser Unterschied ist elementar und sehr wichtig“, sagt Prof. Rolf Diehl, Vorsitzender des Ethikkomitees des Rüttenscheider Alfried-Krupp-Krankenhauses .

Prof. Rolf Diehl, Vorsitzender des Ethikkomitees des Alfried Krupp-Krankenhauses in Rüttenscheid.
Prof. Rolf Diehl, Vorsitzender des Ethikkomitees des Alfried Krupp-Krankenhauses in Rüttenscheid. © Foto: Krupp Krankenhaus

Mit dem Gesetz von 2015 hatte der Bundestag vor allem die Eindämmung der geschäftsmäßigen Suizidhilfe im Sinn, wie sie in der Schweiz bis heute einen festen Platz hat und die auch in Deutschland dabei war, sich zu etablieren. „Kriminalisiert wurden mit dem Gesetz potenziell aber auch alle Ärzte, die in klar definierten Fällen zum assistierten Suizid bereit waren“, sagt Rolf Diehl. Laut einer Umfrage sei dazu jeder dritte deutsche Arzt bereit – „auch ich bin persönlich ein klarer Anhänger dieser Möglichkeit“, so Diehl. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Patientenwillen stärkte, habe er daher sehr begrüßt.

Wer Todkranken helfen will, kommt mit den legalen Möglichkeiten zurecht

Ebenso klar ist für den Essener Neurologen aber auch, dass aktive Sterbehilfe selbst dann verboten bleiben muss , wenn der klare Wunsch dafür vorliegt. Dagegen sprächen schwerwiegende ethische Bedenken. Der Arzt müsse diese Grenze aber keineswegs überschreiten, um Todkranken zu helfen, wenn diese aus dem Leben scheiden wollen. „Auch ein schwerstkranker Patient muss nicht viel machen, um einen ärztlich attestierten Suizid praktisch in Gang zu setzen“, sagt Diehl. Fast immer fänden sich legale Wege, oft genüge ein Knopfdruck.

Diehl plädiert auf Basis des Verfassungsgerichtsurteils für eine neue gesetzliche Regelung, um die Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte zu erhöhen. „Auch Hausärzte sollten einen attestierten Suizid durchführen dürfen.“ Sterbehilfe-Unternehmen, gegen die aus seiner Sicht prinzipiell nichts einzuwenden wäre, seien dann möglicherweise überflüssig. Allerdings deutet derzeit nichts darauf hin, dass sich der Bundestag in naher Zukunft dieser schwierigen Gesetzes-Aufgabe unterzieht.

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