Essen. Beamte mit weißen Masken klären in Essen auf. Trickbetrügereien an Telefonen und Haustüren reißen nicht ab. Behörde startet Aufklärungskampagne.

Polizisten mit weißen Masken haben am Dienstag in der Essener Innenstadt für einige Verunsicherung gesorgt. Das war klarer Vorsatz: Die Beamten, die dem Polizei-Plakat mit der warnenden Aufschrift „Achtung: Hier spricht nicht die Polizei“ entsprungen zu sein scheinen, wollten beim Präventionstag der Essener Behörde in Höhe der Marktkirche gegen das Massenphänomen Trickbetrug um jeden Preis auffallen, um über die miesen Maschen Krimineller aufzuklären, die zunehmend ihr Unwesen treiben. „Es werden immer mehr Delikte bekannt und die Täter immer professioneller“, sagt Polizeisprecherin Judith Herold.

Immer wieder schwappen über Essen wahre Betrugswellen herein, die oft dutzende Opfer an einem Tag fordern: Zumeist ältere Menschen, die auf die gut organisierten Betrüger hereinfallen und mit einem Schlag bis zu sechsstellige Summen verlieren. Und der falsche Polizist – er führt mit Abstand die Liste der bekannt gewordenen versuchten und vollendeten Trickbetrügereien an.

Die Beutezüge skrupelloser Trickbetrüger und -diebe haben in Essen inzwischen nie dagewesene Ausmaße angenommen, die Zahl der angezeigten Delikte ist binnen eines Jahres regelrecht explodiert: 845 beziehungsweise 823 der sogenannten „Straftaten zum Nachteil älterer Menschen“ liefen im vergangenen Jahr und 2017 bei der örtlichen Polizei auf. Das waren fast 400 mehr als noch 2016.

In sechs von zehn Fällen bleibt es bei Versuchen

Auch wenn es in beiden vergangenen Jahren in etwa sechs von zehn Fällen bei Versuchen blieb, steht unterm Strich die alarmierende Erkenntnis: Den skrupellosen Kriminellen ist es gelungen, binnen zwölf Monaten mehrere hundert Essener Senioren erfolgreich abzuzocken. Die Dunkelziffer dürfte dabei noch weitaus höher liegen. Denn die Ermittler wissen es aus Erfahrung: Viele der Opfer, die sich in den schmutzigen Maschen der gut organisierten und rhetorisch geschulten Täter verfangen und nicht nur ihr Geld, sondern vielleicht für immer auch ihr Vertrauen verloren haben, schweigen aus Scham gegenüber Angehörigen als auch der Polizei. Nur wenige öffnen sich.

Die Höhe der Beute kann dabei durchaus immens sein, zeigte ein Schicksal von vielen, das ein älteres Ehepaar aus dem Südviertel ereilte: Falsche Polizisten und Staatsanwälte setzten die Senioren über Stunden durch Telefonanrufe so heftig unter Druck, dass sie am Ende - wie von den Tätern - verlangt, die Summe von 20.000 Euro unter einem Mülleimer deponierten und ein Unbekannter das Geld abholte und mit der Beute verschwand. Und dies ist nur ein Fall von vielen.

Die falschen Polizisten stehen ganz oben auf der Hitliste der Betrügereien

Laut einer Statistik, die die Polizei im vergangenen Jahr veröffentlichte, wird die Hitliste der Betrügereien mit Abstand von den falschen Polizisten angeführt: 300 Mal binnen zwölf Monaten meldeten sich angebliche Beamte am Telefon und spulten ihre Lügengeschichten ab. In 98 Fällen versuchten die Kriminellen ihr Glück mit dem Enkeltrick. 80 falsche Wasserwerker standen plötzlich auf der Matte und fünf Mal gab sich ein Täter als Bekannter der Nachbarn aus, denen man gerne eine Nachricht zukommen lassen würde.

Zwar haben die bei der Polizei bekannt gewordenen Straftaten zum Nachteil älterer Menschen im vergangenen Jahr noch einmal leicht zugelegt. Jedoch änderte die erneute Steigerung nichts an dem Befund: Die allermeisten Trickbetrügereien werden durch vermeintliche Beamte begangen, die sich nicht selten mitten in der Nacht am Telefon melden und , ihren Opfern gewieft und rhetorisch geübt haarsträubende Lügengeschichten erzählen: Wie die von den angeblichen Einbrecherbanden, die die Nachbarschaft unsicher machen. Der Angerufene müsse sein Eigentum schützen, indem er es einem „Kollegen“ übergebe, den die „Behörde“ zeitnah vorbeischicke.

Die Kriminellen könnten ihr Betätigungsfeld gewechselt haben

Inzwischen schließt die Polizei nicht mehr aus, dass es einen Zusammenhang zwischen dem deutlichen Rückgang der Wohnungseinbrüche und den immensen Steigerungsraten bei den Trickbetrügereien gibt. Die Kriminellen könnten durchaus ihr Betätigungsfeld gewechselt haben, um mit deutlich weniger Aufwand und einem geringeren Risiko aufzufliegen, Beute zu machen, heißt. Die Polizei versucht dagegen zu halten – durch permanente Aufklärung wie verstärkt in dieser Woche, aber auch durch intensivere Ermittlungsarbeit, die aber oft an Staatsgrenzen endet, zum Beispiel an den denen der Türkei.

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Von dort kommt eine Vielzahl von betrügerischen Anrufen. Die Ermittler wissen, dass die gewieften Betrüger von legalen Callcentern aus Telefon- und andere Verzeichnisse gezielt nach „Hildegard“, „Edeltraud“ oder „Ingeborg“ durchforsten, Anschlüsse, unter denen sie ältere Menschen vermuten, gezielt abtelefonieren, sich in den Städten der Hilfe von „Logistikern“ und „Abholern“ bedienen, indem sie Adressen weitergeben, unter denen das Geld eingestrichen werden soll.

Täuschend echt wirkende Konferenzschaltungen mit „Staatsanwälten“

In den Callcentern arbeiten „zum Teil Türken, die hier aufgewachsen oder abgeschoben worden sind“, sagt ein erfahrener Ermittler – alle sind sie der deutschen Sprache so weit mächtig, dass sie am Telefon wie „Kommissar Müller“ klingen. Inzwischen werden sogar täuschend echt wirkende Konferenzschaltungen mit angeblichen Staatsanwälten inszeniert. „Ich könnte mir vorstellen, dass auch ich Opfer werde“, räumt selbst der Kripomann ein, der weiß, wie sehr die Angerufenen durch dramatisch geschilderte vermeintliche Bedrohungslagen durch angebliche Einbrecher in der Nachbarschaft in die Enge getrieben werden: „Den Menschen wird regelrecht Angst eingejagt, bis sie sich nicht mehr zu helfen wissen und tun, was die Kriminellen verlangen.“

Um darüber einmal mehr aufzuklären, suchte eine Reihe von Beamten in der Essener Innenstadt gezielt das Gespräch mit den Bürgern und verteilten Infobroschüren, die sogar nachgeordert werden mussten – so groß war das Interesse. Polizeipräsident Frank Richter, der selbst vor Ort war, ist überzeugt: „Aufklärung ist bei diesen Delikten insbesondere gegen ältere Menschen das A und O. Lassen sich die Opfer auf ein Gespräch mit den Opfern ein, sind die Täter schon so gut wie am Ziel.“