Essen. Seit Montag ist die Abgabe von Astrazeneca in Essen an Frauen unter 55 Jahren gestoppt. Seit Dienstag wird niemand unter 60 damit geimpft.

Wieder ein Impfstopp mit Astrazeneca: Seit Dienstagnachmittag, 16.20 Uhr, werden auch im Impfzentrum Essen keine Menschen mehr mit dem Impfstoff geimpft, die unter 60 Jahren alt sind. Das Impfzentrum folgt damit einem Erlass des NRW-Gesundheitsministeriums.

Bereits seit Montag (29. 3.) wurde im Impfzentrum Essen der Impfstoff nicht mehr an Frauen unter 55 Jahren verimpft. Grund für diese Entscheidung am Montag waren Bedenken aus dem Universitätsklinikum Essen, wonach für jüngere Frauen eine höhere Thrombosegefahr nach dem Impfen gegeben sei. Die Impfungen wurden ab 14 Uhr ausgesetzt.

Der Direktor der Klinik für Virologie im Uniklinikum, Prof. Ulf Dittmer, erklärte die Entscheidung am Dienstagnachmittag vor dem Impfzentrum Essen zusammen mit dessen ärztlichem Leiter, Dr. Stefan Steinmetz. „Das war eine Entscheidung von Minuten“, sagte Steinmetz über die Entwicklungen am Montag. Dittmer ergänzt: „Es war gut, dass wir so schnell reagiert haben.“

„Risiko-Nutzen-Analyse“ geht nicht auf

Zu der Entscheidung führt der Virologe aus, dass die „Risiko-Nutzen-Analyse“ bei Frauen unter 55 Jahren nicht mehr aufgehen würde. „Das Risiko einer schwerwiegenden Nebenwirkung ist im Vergleich zu groß“, so Dittmer. Über das Wochenende hätten er und andere Mediziner die Information bekommen, dass sich die schweren Nebenwirkungen in Form von Thrombosen bei Frauen im gebärfähigen Alter gehäuft hätten. „Diese Häufung von Fällen haben wir vorher nicht gewusst“, so Dittmer.

Er verdeutlicht das anhand der Risikoverteilung bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren. Deutschlandweit habe es laut Paul-Ehrlich-Institut seit Impfstart 31 schwerwiegende Nebenwirkungen im Zusammenhang mit einer Astrazeneca-Impfung gegeben – hauptsächlich bei Frauen unter 50. Seit Beginn der Pandemie seien 21 Personen an Covid-19 gestorben, die zwischen 20 und 30 Jahren alt sind. Am Wochenende hätten sich dann Meldungen von schwerwiegenden Nebenwirkungen gesammelt, weswegen es zu der Entscheidung am Montag kam.

Virologe Prof. Dr. Ulf Dittmer und der Leiter des Essener Impfzentrums, Dr. Stefan Steinmetz, am Dienstag vor dem Impfzentrum.
Virologe Prof. Dr. Ulf Dittmer und der Leiter des Essener Impfzentrums, Dr. Stefan Steinmetz, am Dienstag vor dem Impfzentrum. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Dr. Stefan Steinmetz habe direkt nachdem er die Information aus dem Uniklinikum bekommen habe, die Astrazeneca-Impfungen im Essener Impfzentrum ausgesetzt. „Das habe ich als Arzt entschieden“, sagte er. Er habe sich „schlecht gefühlt“, als er von den Problemen und der Empfehlung des Uniklinikums Kenntnis erhielt. Denn er habe auf Basis der bisherigen Wissens Frauen, die zweifelten, gut zugeredet, sich doch mit Astrazeneca impfen zu lassen.

Warum die Erkenntnis über Astrazeneca erst jetzt kam, liegt nach Angaben von Ulf Dittmer an den Erkenntnisgewinnen wie sie in wissenschaftlichen Prozessen nun einmal üblich seien. „In den klinischen Studien haben wir davon trotz 31.000 Teilnehmern nichts gesehen.“

Auch jetzt warnte er davor, Astrazeneca pauschal zu verdammen. Nehme man die nun neu definierte Risikogruppe aus, sei die „Risiko-Nutzen-Analyse“ weiterhin für die Verwendung des Vakzins gegeben. Dass dies vertretbar sei, zeige die Erfahrung in Großbritannien, wo Millionen Ältere mit Astrazeneca ohne Probleme geimpft wurden. „Wenn das Vakzin frei gegeben würde, gäbe es viele, die sich hier in Essen sofort damit impfen lassen würden“, ergänzte Steinmetz, der weiß wie dringend auch viele Jüngere auf ihre Immunisierung warten.

Und Steinmetz wird grundsätzlich, was die Impfkampagne als Ganzes angeht. „Vielleicht war es eine grundsätzliche Fehlentscheidung, erst nur Jüngere mit Astrazeneca zu impfen.“ Auch Dittmer sieht das am Dienstag so.

Ältere nicht von schwerwiegenden Nebenwirkungen betroffen

Da aber eben ältere Menschen nicht in dem Maß von schwerwiegenden Nebenwirkungen betroffen seien, sollte schwerpunktmäßig diese Gruppe mit Astrazeneca geimpft werden. Das passt auch zu der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), die in einer Beschlussvorlage am Dienstagnachmittag kursierte. Demnach empfiehlt die STIKO, dass nur noch über 60-Jährige – und zwar Frauen und Männer – in Deutschland mit Astrazeneca geimpft werden sollen.

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Die weitere Impf-Kampagne in Essen sei durch den Teil-Ausfall von Astrazeneca voraussichtlich nicht weiter gefährdet, hieß es. Kurzfristig verfüge man über genügend Impfstoff – „die nächsten Tage und bis zum Wochenende“, so Steinmetz. Essens Impf-Chef ergänzt, dass der in der Diskussion stehende Impfstoff den Impfwilligen nicht „aufgezwungen“ werde. Stattdessen würde die Karte Biontech gezogen werden können. „Wenn Astrazeneca komplett ausfallen würde, wäre da ein Loch. Deswegen ist der Vorschlag von Prof. Dittmer gut, Ältere damit zu impfen“, sagt Steinmetz. Aber auch diese könnten entscheiden.

Zuletzt hatten sich auch in Essen Klagen über Nebenwirkungen von Astrazeneca gehäuft. Viele Geimpfte berichteten über starke Kopfschmerzen. „Ich kann die Verunsicherung verstehen“, sagt Virologe Dittmer dazu. Angesprochen darauf, auf was mit Astrazeneca Geimpfte achten sollen, sagte er: „Achten Sie auf sehr langen Kopfschmerz und Schwindel.“ Steinmetz ergänzte: „Diese Symptome treten nicht unmittelbar nach der Impfung auf, sondern meistens nach fünf bis zehn Tagen.“