Essen. Bis Februar stieg die Zahl der Corona-Sterbefälle stark an. Forscher erklären: Trotzdem könne man noch nicht von Übersterblichkeit reden.
Im Corona-Jahr 2020 sind in Essen nur unwesentlich mehr Menschen gestorben als in den Vorjahren. Darauf weisen Forscher des Essener Uniklinikums hin. Auch, wenn die Zahl der Todesfälle, die in Verbindung mit Covid-19 stehen, in den Monaten Oktober bis Februar sehr stark anstieg, könne bislang keinesfalls von einer „Übersterblichkeit“ gesprochen werden.
Das hat mehrere Gründe, erklärt Bernd Kowall vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Das Institut gehört zum Uniklinikum Essen. „Zunächst mal muss man beim Blick auf die Zahlen feststellen, dass das Jahr vor Corona, also 2019, nicht gut als Vergleichszeitraum funktioniert“, betont Kowall.
Vergleich mit 2019 ist schief: In diesem Jahr starben auffällig wenige Essener
Denn: In Essen sterben jährlich etwa 7500 Männer und Frauen. Das ist seit Jahren in etwa ähnlich. Doch etwa alle vier bis fünf Jahre, zeigt der Blick in die Statistik, ist dieser Wert deutlich geringer und liegt nur bei knapp über 7000. Das war auch im Jahr 2019 so – deshalb eignet sich dieses Jahr nur sehr schlecht für einen Vergleich mit den Todeszahlen des Corona-Jahres 2020. Ein Vergleich mache sowieso nur dann Sinn, wenn man aktuelle Todeszahlen mit dem Mittelwert der Jahre 2016 bis 2019 in Bezug setzt, schlussfolgert Kowall.
Warum gibt es diese regelmäßigen Ausreißer nach unten? „Gründe sind vermutlich regelmäßig auftauchende, starke Influenza-Wellen“, berichtet der Wissenschaftler. Sie sorgen für kurze Phasen mit hohen Todeszahlen. Das sind – besonders bei den Betagten – statistisch gesehen vorgezogene Sterbefälle, die dann im nächsten Jahr in der regelmäßigen Statistik fehlen, deshalb gehen die Zahlen anschließend nach unten.
Entsprechend sei jetzt zu bezweifeln, dass die Monate der hohen Todeszahlen bei den Betroffenen ab 80 Jahren in Essen – also vor allem November bis Februar – einen dauerhaften Einfluss haben auf die Statistik.
Vergleicht man die Zahl der Sterbefälle des Corona-Jahres 2020 mit dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, kommt man auf eine erhöhte Sterberate von gerade mal 1,016 Prozent. „Da können wir nicht von einer Übersterblichkeit in Essen sprechen“, betont Kowall.
Was außerdem in den aktuellen Befunden nicht berücksichtigt ist: Die Zahl der Bürger, die älter sind als 80 Jahre, steigt rapide an. Von 2016 bis 2019 war es eine Zunahme um mehr als zehn Prozent; von rund 37.000 auf mehr als 41.500 Bürger dieser Altersgruppe in Essen. „Rechnet man diesen Faktor auch noch hinzu“, sagt Bernd Kowall, „dann ist die Sterblichkeit in Essen sogar rückläufig.“
Zahl der Toten steigt längst nicht mehr so stark an wie um die Jahreswende
Wie die Stadt bereits mitteilte: Die Zahl der Todesfälle in Essen ist von Oktober bis Dezember 2020 stark gestiegen – was eindeutig an Corona liegt. Im November starben mehr Menschen in Essen in Verbindung mit Corona als im gesamten Pandemie-Zeitraum davor. Die Werte verdoppelten sich eine Zeit lang: Ende November 123 Gestorbene, Weihnachten 250 Gestorbene. Ende Februar waren es rund 470, mittlerweile etwas mehr als 500.
Was die aktuelle Entwicklung der Zahlen deutlich macht: Diese Kurve flacht ab. Die Zahl der Verstorbenen, die in Verbindung stehen mit Corona, steigt nicht mehr so stark an. Ein Grund dafür könnte sein, dass mittlerweile alle Altersheime in Essen durchgeimpft sind.