Essen. Im Oktober 1938 ließ das NS-Regime 17.000 jüdische Mitbürger mit polnischem Pass ausweisen. Darunter waren auch rund 500 Menschen aus Essen.

Mit seinen 80 Jahren traute sich im Herbst 1938 der kranke und gebrechliche Leo Leiser Fernbach eine anstrengende und tagelange Reise ins Ausland nicht mehr zu. Er war der Schwiegervater von Hermann Finger, der mit seiner Frau Anna und seinen drei Kindern kurz vor der Reichspogromnacht 1938 in die USA auswanderte.

Die Familie überlegte lange, wie sie den Senior mitnehmen könnten. Doch am Ende entschied Leo Leiser Fernbach in Deutschland zu bleiben. Wenige Wochen nach der Flucht seiner Angehörigen gehörte er zu den etwa 500 Essener jüdischen Bürgern mit einem polnischen Pass, die die Nazis verhafteten und in bewachten Zügen der Reichsbahn zur polnischen Grenze transportierten.

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Gegen die so genannten „Ostjuden“ hatte die NS-Propaganda schon seit langem Front gemacht. Die meisten von ihnen waren als Arbeitsmigranten, Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter (im Ersten Weltkrieg) nach Deutschland gelangt. Die Ausweisung von insgesamt 17.000 Juden in den Tagen vom 27. bis 29. Oktober 1938 war ein weiterer trauriger Höhepunkt in der Judenverfolgung.

Katastrophale Zustände in den Lagern an der Grenze zu Polen

Anlass für die Polenaktion war ein Gesetz, mit dem die polnische Regierung, eigentlich einen Zustrom von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland, zu dem inzwischen Österreich gehörte, verhindern wollte. Juden mit einem polnischen Pass sollten diese Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie sie nicht bis Ende Oktober erneuern würden. Dann hätte man ihnen in Polen einen Aufenthalt verweigern können. Nun war aber das Gesetz in der Bevölkerung wenig bekannt und wurde auch kaum befolgt.

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Da die Nationalsozialisten diese Juden loswerden wollten, veranlasste SS-Reichsführer Himmler einen Ausweisungsbefehl. Ein Großteil der Juden kam nach Neu-Bentschen/Zbąszyń, andere nach Konitz (Pommern) oder Beuthen (Oberschlesien). Die Zustände in den Lagern waren katastrophal, erst allmählich gelang Hilfsorganisationen, die Lage zu verbessern.

Zu den Ausgewiesenen gehörte die Familie Grynszpan, die ihrem in Paris lebenden Sohn eine Nachricht über ihren Verbleib zukommen ließ. Daraufhin verübte er ein Attentat auf den deutschen Botschaftssekretär Ernst Eduard vom Rath in Paris.

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Die Nationalsozialisten nutzten dieses als Vorwand für die Reichspogromnacht (9./10. November), so das Jüdische Museum Berlin. Mit dem Überfall auf Polen 1939 und der Besetzung des Landes kamen die 17.000 ausgewiesenen Juden wieder unter NS-Herrschaft. Nur wenige überlebten. Zu den Todesopfern gehörte auch Leo Leiser Fernbach.