Essen/Mülheim. Essens Polizeipräsident wütet gegen das Innenministerium: Die Chat-Affäre sei im Polizeimagazin „Streife“ unseriös und polarisierend dargestellt.

Die Aufarbeitung des Polizeiskandals im Essener Polizeipräsidium um ein mutmaßliches rechtes Netzwerk in der Behörde hat jetzt zu starken Spannungen zwischen dem NRW-Innenministerium und dem Essener Polizeipräsidenten geführt. Auslöser ist die neueste Ausgabe der „Streife“, des vom Ministerium herausgegebenen Mitarbeitermagazins für die Polizei in NRW, mit dem Themenschwerpunkt „Rechtsextremismus in der Polizei“.

Polizeipräsident Frank Richter beschwert sich in einem Brief, der dieser Redaktion vorliegt, in ungewöhnlich scharfer Form darüber, dass die Polizei in Essen/Mülheim in der „Streife“ kollektiv zur Verantwortung gezogen werde.

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Wörtlich heißt es in der E-Mail des Behördenleiters an die „Streife“-Redaktion im Innenministerium: „Im Ergebnis ist die Aufmachung, Gestaltung und Verfahrensweise zu dieser Ausgabe der Streife nicht nur dazu geeignet, eine ohnehin schon in der Öffentlichkeit kursierende kritische Haltung gegenüber meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu befeuern, sondern die Polizei zu spalten.“

Polizeipräsident vermisst, dass im „Streife“-Themenpaket auch Essener Beamte zu Wort kommen

In der zwei Seiten umfassenden „Blattkritik“ lässt der Polizeipräsident kein gutes Haar an dem „Streife“-Themenpaket, zu dem auch ein Interview mit Innenminister Herbert Reul gehört. So bemängelt Richter, dass das Präsidium vor der Veröffentlichung des Rechtsextremismus-Specials gar nicht informiert worden sei. Aus seiner Sicht wenig kollegial.

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Inhaltlich stößt sich der Essener Behördenleiter besonders am Titelbild, das vier Polizisten in einem Gefängnis zeigt. Dass es sich tatsächlich um die NS-Gedenkstätte Steinwache in Dortmund, also um einen berüchtigten Folterknast der Gestapo handelt, erschließe sich dem Leser nicht. Polizisten im Knast – Richter findet Aufmachung und Gestaltung der Titelseite „befremdlich“ und schreibt vorwurfsvoll: „Es stellt sich mir die Frage, welche Assoziation hierdurch erzeugt werden soll.“

Am 16. September 2020 hatte NRW-Innenminister Reul auf einer Pressekonferenz enthüllt, dass 29 Polizisten des Polizeipräsidiums vom Dienst suspendiert worden seien, darunter eine ganze Dienstgruppe in Mülheim. Sie sollen sich in Chatgruppen Hitlerbilder, Hakenkreuze und Reichskriegsflaggen geschickt haben. Später geriet eine Kegelgruppe aus Polizisten namens „Kunta Kinte“ ins Visier der Ermittler: Ein Foto soll die Kegler vor einer Tafel mit einem Hakenkreuz zeigen. Zwischenzeitlich ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen 46 Beamte, Ende Januar waren es 25. Die Chats von elf Polizisten stufe die Staatsanwaltschaft als strafrechtlich relevant ein, so Reul im Landtag.

Ein Kölner Polizist sagt im Mitarbeiter-Magazin: „Erst George Floyd, dann Mülheim“

Der Polizeipräsident verweist in seiner „Wut-Mail“ auf einen Bericht der Sonderinspektion. Diesem sei klar zu entnehmen, „dass kein (Rechts-)Extremistisches Netzwerk innerhalb meiner Behörde existierte und dass es sich nach Bewertung der Sonderinspektion nicht um extremistische Chatgruppen gehandelt hat“.

An der Titelstory der „Streife“ ärgert sich Richter über das Statement eines Kölner Polizisten. Mit dem Zitat „Erst George Floyd, dann Mülheim“ würden die Polizistinnen und Polizisten seiner Behörde „kollektiv für die Vorwürfe zu unrechtmäßiger Gewaltanwendung oder zu Rassismus verantwortlich gemacht“. Der Essener Polizeipräsident betont, dass die Mitarbeiter nicht für „das Fehlverhalten Einzelner“ verantwortlich zu machen seien. Richter bedauert auch, dass kein einziger Polizist seiner Behörde in den „Streife“ zu Wort gekommen sei.

Pressesprecher des Innenministeriums: „Wir stehen dazu“

Martin Beils, Pressesprecher des NRW-Innenministers und presserechtlich verantwortlich für die „Streife“, hat gegenüber dieser Zeitung auf die Vorwürfe des Essener Polizeipräsidenten reagiert: „Wir hatten nicht die Absicht, jemanden zu verletzen“, sagt er, betont aber zugleich: „Wir stehen dazu, das Thema Rechtsextremismus in der Polizei umgesetzt zu haben, es beschäftigt die Polizei in NRW stark.“ Dass die Berichterstattung bei dem einen oder anderen zu Betroffenheit führe, liege in der Natur der Sache.