Essen. Frei von nötigen Rücksichtnahmen auf Posten oder Koalitionen peilt Essens SPD einen Re-Start an: mit neuem Chef – und einer Entscheidung zur A52.

Die große Koalition im Rat ist passé, der Oberbürgermeister-Posten erneut an die CDU vergeben und die eigene Rolle in der Stadtpolitik noch irgendwie ungewiss – für Essens Sozialdemokraten augenscheinlich der ideale Zeitpunkt, um innezuhalten und sich selbst auf den Prüfstand zu stellen. Denn die desaströsen Ergebnisse bei der Europa-, der Kommunal- und der OB-Wahl sind längst noch nicht verdaut, und die Frage, wie es weitergeht, auch bei kommenden Wahlen, umtreibt alle. Bei einem digitalen Parteitag an diesem Wochenende soll es erste Antworten geben.

Seine Bühne ist künftig mehr denn je die Landespolitik: Thomas Kutschaty soll die Sozialdemokraten als Landeschef und Spitzenkandidat in die Landtagswahl 2022 führen.
Seine Bühne ist künftig mehr denn je die Landespolitik: Thomas Kutschaty soll die Sozialdemokraten als Landeschef und Spitzenkandidat in die Landtagswahl 2022 führen. © dpa | Federico Gambarini

Eine dürfte besonders leicht fallen, denn mit dem endgültigen Wechsel Thomas Kutschatys auf die Bühne der Landespolitik – er will NRW-Vorsitzender werden und Spitzenkandidat zur Landtagswahl im Frühjahr 2022 – steht ein Wechsel in der örtlichen Parteispitze an. Überraschendes wird nicht passieren, denn bislang hat nur Kutschatys Landtags-Kollege Frank Müller seinen Hut in den Ring geworfen. Seine Wahl darf als sicher gelten.

Der Aufruf aus Altenessen ist unmissverständlich: „A52-Pläne endlich begraben!“

Beim vierten von insgesamt sieben Anträgen an die vor dem heimischen Computer versammelte Delegierteschar sieht das schon anders aus. Denn zehn Jahre nach dem letzten Vorstoß, der nach parteiinternen Protesten in einem wachsweichen Kompromiss endete, will die SPD offenbar ihren Kurs in der Frage des A52-Weiterbaus durch den Essener Norden neu justieren.

Den Anstoß dazu gibt der Ortsverein Altenessen, der die von ihm erhoffte verkehrspolitische Wende in acht Wörtern seiner Antrags-Überschrift zusammenfasst: „Verkehrswende ernst nehmen! A52-Pläne endlich begraben! Alternativen entwickeln!“

Diesmal kein großer Streit um Vorstands-Posten

Vor vier Jahren gab es den Zwist mit Guido Reil, vor zwei Jahren den Streit mit Karlheinz Endruschat, und am Ende kehrten beide den Sozialdemokraten den Rücken.

Diesmal ist kein großer Ärger um Posten im SPD-Vorstand zu erwarten. Frank Müller ist der einzige Nachfolge-Kandidat für Thomas Kutschaty, Martin Schlauch der einzige Anwärter für den Schatzmeister und um drei Vize-Ämter bewerben sich vier Personen: Heike Brandherm, Julia Jankovic, Maria Tepperis und Gereon Wolters.

Insgesamt zählt die SPD Essen stadtweit derzeit rund 3450 Mitglieder, organisiert in 30 Ortsvereinen.

Die Antragskommission verkneift sich ein Votum: Die Abstimmung ist ohne Zwänge

Es sei, so heißt es in der Begründung, „an der Zeit, endlich einen Schlussstrich unter die leidige Debatte zum Weiterbau der A 52 zu ziehen“. Der seit Jahrzehnten auf geduldigem Papier (und 1998 mit nur einer einzigen Stimme Mehrheit) geforderte, aber nicht wirklich ernsthaft betriebene gut sieben Kilometer lange Lückenschluss zwischen dem Autobahn-Dreieck Essen-Ost und dem Autobahnkreuz Essen-Nord sei „nicht nur aus ökologischer, ökonomischer und städtebaulicher Sicht völlig verfehlt“. Er stehe auch „jeglichen Zielen der Verkehrswende in Essen entgegen“. Die SPD Essen, so lautet deshalb der zur Abstimmung gestellte zentrale Satz, „lehnt den Weiterbau und den Lückenschluss der A 52 auf Essener Stadtgebiet ab“.

Frank Müller, Landtagsabgeordneter aus dem Essener Osten, will Thomas Kutschaty im Amt des SPD-Vorsitzenden nachfolgen.
Frank Müller, Landtagsabgeordneter aus dem Essener Osten, will Thomas Kutschaty im Amt des SPD-Vorsitzenden nachfolgen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Für Parteitags-Insider bemerkenswert: Ein Votum der Antragskommission, das immer auch eine Vorentscheidung für das Delegierten-Treffen bedeutet, gibt es nicht. Das ist das Signal an die Delegierten, sich keiner irgendwie gearteten Partei-Disziplin unterordnen zu müssen, sondern nach eigenem Gewissen und Gutdünken frei entscheiden zu können.

Ein Meinunsgforschungs-Institut soll klären: Was müsste die SPD hier besser machen?

Das funktioniert aus nachvollziehbaren Gründen am heimischen PC noch leichter als im Rahmen der klassischen Parteitags-Atmosphäre, wo sich mit skeptischen Schulterblicken und Abstimmungs-Bündnissen eher Seilschaften bilden lassen. Und anders als noch 2012, als die damalige SPD-Ratsfraktion einer Entscheidung im Stadtparlament auswich, indem man sich kurzerhand nicht an der Abstimmung beteiligte, wollen die Genossen sich auf diesem Parteitag offenbar nicht wegducken, indem man den Antrag an andere Stellen verweist.

Klare Kante also. Die wünscht man sich auch bei der Analyse der Wahlergebnisse, was ein anderer Antrag des SPD-Ortsvereins Katernberg-Schonnebeck nahelegt: Der fordert – diesmal unterstützt durch die Antragskommission – ein „anerkanntes, erfahrenes Meinungsforschungsinstitut mit einer Analyse der Ergebnisse der Kommunalwahl“ zu beauftragen. Und mit der Frage, was die Sozis denn besser machen können: in der Öffentlichkeitsarbeit von Partei und Fraktion, aber vielleicht auch, indem man die Mitglieder befragt. Es könne jedenfalls angesichts der erdrutschartigen Verluste an Wählerstimmen „nicht ,Weiter so’ heißen“.

Die Jusos beklagen „ein strukturelles Rassismusproblem“ bei der deutschen Polizei

Wie weit die Diskussionsbereitschaft der SPD an diesem Samstag geht, dürfte sich an einem anderen Antrag erweisen: Die Jungsozialisten fordern immerhin, der Parteitag soll sich eingestehen, „dass wir ein strukturelles Rassismusproblem bei der deutschen Polizei haben“ und fordert ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz ebenso wie eine unabhängige Beschwerdestelle mit weitreichenden Befugnissen.

Die Antragskommission empfiehlt eine Annahme des Antrags, und nicht nur SPD-Fraktionschef Ingo Vogel wird dazu zweifellos etwas zu sagen haben: Er ist Polizist.