Essen. Wie sich die Stadtensembles am Schauspiel Essen trotz Corona präsentieren: Neue Formate im virtuellen Raum beziehen auch das Publikum mit ein.
Theater als Gemeinschaftserlebnis. Zusammen proben, miteinander diskutieren, feiern und neue Erfahrungen machen: Für die Stadtensembles am Schauspiel Essen mit ihren Teilnehmern vom theaterbegeisterten Schüler bis zum bühnenverrückten Rentner waren der direkte Austausch und die unmittelbare Begegnung bislang ein wesentlicher Aspekt. Doch auch die Corona-erzwungene Distanz hat die engagierten Bühnen-Laien in den vergangenen Monaten nicht von der Theaterarbeit abgehalten. Mit zwei ganz unterschiedlichen digitalen Produktionen gehen "Positronen" und "Interzonen" in dieser Woche an den Start. Für die Theaterpädagogin Aline Bosselmann und Performerin Miriam Michel ist aus der anfänglichen Kompromisslösung längst ein gangbarer Weg geworden: Aus dem "technokratischen Instrument" Videokonferenz sei ein Begegnungsraum geworden, "wo Austausch, Verständnis und Vertrauen möglich sind", freut sich Michel.
"Interzonen" haben den virtuellen Raum und die eigene Umgebung neu entdeckt
Dabei war der Wechsel vom Analogen ins Digitale gerade in der "Interzonen"-Gruppe nicht ganz selbstverständlich. Einige der 18 Teilnehmer sind weit über 70. Statt auf Theater-Proben plötzlich per Videokonferenz miteinander zu kommunizieren, hat nicht bei jedem sofort für Begeisterung gesorgt. Auch "die Angst vor der eigenen technischen Unfähigkeit" habe bei manchen anfangs eine Rolle gespielt. Doch am Ende haben sich die Interzonen nicht nur den virtuellen Raum, sondern auch die eigene Stadt neu erschlossen.
Mit einem Hörspaziergang unter dem Titel "Heimliche Vorgänge" schicken die Teilnehmer das Publikum ab dem 29. Januar nun auf Entdeckungstour durch Essen. Wer mobil ist und mag, wandert die Orte von der Lichtburg über Hauptpost, Stadtbibliothek bis zum Denkmal von Günni Semmler am Isenbergplatz mit Hilfe einer neu entwickelten Webseite ab, erlebt vor Ort echte und erfundene Geschichten, erfährt Hintergründiges und Historisches, hört Musik und Geräusche und entdeckt den Stadtraum aus einer neuen Perspektive.
Hörspaziergang entfaltet dem Publikum "Heimliche Vorgänge" in der Stadt
Die Texte haben die Interzonen-Akteure selber verfasst. Manche haben sich bei der Recherche zu Kleingruppen gefunden, manche haben ihre Phantasie im Homeoffice einfach auf die Reise geschickt und ihre Beiträge am Ende selbst eingesprochen. Miriam Michel ist begeistert von der Vielfalt und von der Chance, mit dem Audiowalk auch eine Einladung ans Publikum auszusprechen, selbst aktiv zu werden.
Position beziehen kann man auch bei den "Positronen". Die jugendlichen Akteure im Alter von 11 bis 19 Jahren, mit denen Aline Bosselmann das Wahrnehmungsspiel "reality check" entwickelt hat, begegnen den Herausforderungen der Pandemie mit einem politischen Stück. Themen wie Sexismus, Rassismus und Diskriminierung standen auf der gemeinsamen Agenda. Obwohl bei der Stück-Entwicklung diesmal vieles weggefallen ist - vom Pausen-Gespräch bis zur körperlich-choreografischen Arbeit - habe das jugendliche Ensemble während der Probenphase großes Vertrauen gefasst, sagt Bosselmann: "Viele haben sich krass geöffnet."
Geschichten von Vorurteilen, Grenzüberschreitungen, Ängsten und Träumen
Der reale und virtuelle Bühnenraum wird beim "reality check" dabei auf spielerische Art verknüpft, Live-Szenen und filmische Elemente verbinden die jungen Ensemblemitglieder, die zwar isoliert voneinander Zuhause sitzen und trotzdem viel Nähe zulassen. „Die ,Positronen' öffnen ihre Herzen“, so Aline Bosselmann, „und laden mit Geschichten von Vorurteilen, Grenzüberschreitungen, Ängsten und Träumen voller Mut das Publikum zum Zuhören ein.“
"Das Digitale war unser Rettungsanker", sagt die Theaterpädagogin rückblickend. Und doch richte sich der Blick vieler Teilnehmer schon jetzt ins neue Jahr und auf die Bühne. Wenn die Theatersäle dann wieder geöffnet sind, wird sich zeigen, ob das digitale Theater nur eine bloße Zwischenlösung war oder neue Spielmöglichkeiten eröffnet hat. Über die Gleichwertigkeit, findet Miriam Michel, könne man aber erst reden, wenn das Digitale nicht mehr alleinige Vorgabe sei. "Ich glaube aber, dass wir dann viel gelernt haben, was wir mit in die Zukunft nehmen können."
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Premiere von "security check" ist am 26. Januar. 18 Uhr. Für die weiteren Termine am 9. und 13. Februar, jeweils 18 Uhr, wird um Anmeldung gebeten bei aline.bosselmann@tup-online.de. Alle notwendigen technischen Informationen werden nach erfolgter Anmeldung zugeschickt.
"Heimliche Vorgänge" startet am Freitag, dem 29. Januar und ist über die Seite www.theater-essen.de/spielplan/a-z/heimliche-vorgaenge/ erreichbar. Die Hörspaziergänge können unter Berücksichtigung der jeweils geltenden Corona-Schutzverordnung bis Anfang Juli unternommen werden.