Essen. Tanztheater-Leiter Stefan Hilterhaus unterstützt eine Erklärung zugunsten der BDS-Initiative, die als antisemitisch gilt. Eine Gratwanderung.
Im Mai 2019 hat der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossen, die sogenannte BDS-Bewegung als antisemitisch zu kennzeichnen und ihnen öffentliche Mittel und Räume zu verweigern. BDS (das Kürzel steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) will dem jüdischen Staat vor allem über das Mittel des umfassenden Boykotts in jeder Hinsicht schaden, radikale Vertreter des Netzwerks sympathisieren sogar mit der Vernichtung des Staates Israel. Gegen den Bundestagsbeschluss hat sich nun eine Initiative von „Repräsentanten öffentlicher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen“ gewandt, die das Parlament in einer mittlerweile heftig debattierten Erklärung auffordern, den Beschluss zurückzunehmen. Mit dabei ist Stefan Hilterhaus, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter des Tanz-Theaters „Pact Zollverein“. [In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Essen. Den Essen-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]
Hilterhaus räumt auf Nachfrage zunächst ein: „Es gibt in der internationalen, aber organisatorisch heterogenen BDS-Bewegung definitive Beispiele von Antisemitismus.“ Diese würden von ihm wie auch den anderen Unterzeichnern der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ klar abgelehnt. „Wir akzeptieren keine menschenverachtenden Ideologien, diese Grenze muss klar und unmissverständlich gezogen werden“, so Hilterhaus.
Im BDS sind Menschen engagiert, die sich offen zum Antisemitismus bekennen
Das ändert nichts daran, dass im BDS Menschen dabei sind, die diese Grenze ganz offensichtlich nicht einhalten und die indirekt mit davon profitieren, dass deutsche Kulturrepräsentanten die politische Zurückweisung des BDS problematisieren. Wenn Antisemitismus rechte Gruppen als Ganzes kontaminiert – kann dies bei linken oder religiös motivierten Antisemitismus wirklich anders sein? Die Unterzeichner scheinen dies zu bejahen, der Erhalt einer „lebendigen, kontroversen und komplexen Debattenkultur“ (Hilterhaus) ist offenbar das höhere Gut.
Doch ist diese Debattenkultur überhaupt eingeschränkt? „Aus der Praxis der Anwendung der Resolution zeigt sich, dass bereits eine angebliche Nähe zu der Bewegung genügt, um die Ausladung von Künstlern und Wissenschaftlern, die Aberkennung von Preisen oder Sperrung öffentlicher Bühnen und Bildungsinstitutionen zu begründen“, schreibt Hilterhaus.
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Auch die Stadt Essen verweigert BDS-Sympathisanten öffentliche Räume
Gemeint ist unter anderem der Politikwissenschaftler und Philosoph Achille Mbembe, der im August dieses Jahres die Eröffnungsrede zur Ruhrtriennale halten sollte, jedoch wieder ausgeladen wurde, nachdem Kritiker in seinen Schriften antisemitische Klischees und eine vollkommen maßlose Israel-Kritik ausmachten, die die Nahost-Politik Israels zum weltweit größten „moralischen Skandal“ stilisiert.
Die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit geriet aber auch durch derart monströsen Unsinn nicht in Gefahr, im Gegenteil: Mbembes Thesen zum Kolonialismus, selbst seine Kennzeichnung Israels als angeblicher Apartheitsstaat wurden im Zuge der Debatte breiter diskutiert denn je, er sprach auf Veranstaltungen, publiziert im angesehen Suhrkamp-Verlag, und er fand neben Widerspruch im linken Spektrum auch viele Verteidiger. Nur Räume, die der öffentlichen Hand gehören, bleiben BDS-Sympathisanten verwehrt - laut Ratsbeschluss 2019 auch die der Stadt Essen.
Wer hat die Logik des Boykotts angestoßen? Für Hilterhaus der Bundestag
„Da wir den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch für grundlegend halten, lehnen wir den Boykott Israels durch den BDS ab. Gleichzeitig halten wir auch die Logik des Boykotts, die die BDS-Resolution des Bundestages ausgelöst hat, für gefährlich“, heißt es es in der Erklärung, die Hilterhaus mitträgt. „Es ist das einzig handfeste Argument im Wortgeklingel, interessanterweise steht es Kopf“, schreibt dazu der Bochumer Pfarrer und Antisemitismusexperte Thomas Wessel im Blog „Ruhrbarone“. Denn ausgelöst habe diese Logik niemand anders als der BDS selbst. Wer aus mehr oder weniger gut getarnten antisemitischen Gründen zu einem Boykott aufruft, könne schlecht erwarten, dass ihm die deutsche Bundesregierung den roten Teppich ausrollt.
Die eindeutig antisemitische Praxis von BDS-Anhängern, etwa die Weigerung, mit jüdischen Israelis gemeinsam auf einer Bühne zu stehen, sei – anders als die Kulturrepräsentanten meinten – eben nicht einfach eine „kritische Position“, zu der man diese oder jene Meinung haben könne. Sie steht laut Wessel vielmehr auf der selben Ebene wie härtester Rassismus, wie es ihn früher zum Beispiel in den amerikanischen Südstaaten gab.
Kritik an der „unscharfen Benutzung des Antisemitismus-Vorwurfs“
Und zur Kritik an der Ausgrenzung und der Sorge vor „vorauseilenden Gesinnungsprüfungen“ von Künstlern und Wissenschaftlern schreibt Wessel: „Genau das geschieht andauernd, auch Rassisten können Kunst, Fundamentalisten Förderanträge stellen und Sexisten promovieren, nur behauptet niemand, man könne Sexismus bekämpfen, indem man Sexisten fördert.“ Soll heißen: Wer Antisemiten öffentlich gefördert wissen will, und gleichzeitig sagt, er sei gegen Antisemitismus, hat ein logisches Problem.
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Hilterhaus sieht es so: „Es gibt aus meiner Sicht den Bedarf einer Diskussion der unscharfen Benutzung des Antisemitismus-Vorwurfs im Bereich des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs.“ Auf Nachfrage betont der Pact-Leiter seine Äquidistanz zum Nahostkonflikt: „Das Recht jüdischer Israelis auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit kann nicht zur Debatte stehen. Das gilt auch für Palästinenser - wenn jemand ihr Recht auf ein Leben in Freiheit bestreitet, ist das nicht akzeptabel. Die Forderung nach Gleichberechtigung darf nicht als antisemitisch definiert werden.“
Das hatte indes auch niemand behauptet. Hingegen agitieren BDS-Aktivisten durchaus gegen das Recht jüdischer Israelis auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit. Und da beißt sich die Katze in Hilterhaus’ Argumentation leider in den Schwanz.
Breit getragener Beschluss im Stadtrat gegen BDS
Im Essener Stadtrat beschlossen die Fraktionen von SPD, CDU, FDP, Grüne und des Essener Bürgerbündnis (EBB) im Mai 2019 gemeinsam, der BDS-Initiative keine städtischen Räume zur Verfügung zu stellen. Dagegen wandte sich die „Pax Christi“-Organisation im Diözesanverband Essen, die Boykott als „legitimes Mittel“ bezeichnete, um Druck auf Israel auszuüben.
Der damalige FDP-Ratsherr Karlgeorg Krüger, der den Antrag initiiert hatte, warf Pax Christi vor, auf die „Verschleierungstaktik“ des BDS entweder hereinzufallen oder diese sogar klammheimlich zu unterstützen. „Boykottaufrufe gegen Juden hatten wir schon mal in Deutschland.“