Essen. Politikwissenschaftler Achille Mbembe soll die Eröffnungsrede zur Ruhrtriennale halten. Nun aber gerät seine israelkritische Haltung in den Fokus.

Die gute Nachricht zuerst: Die Ruhrtriennale sei „eines der wichtigsten Kulturfestivals in Deutschland“, die Eröffnungsrede „für eine solch bedeutende Veranstaltung“ zu halten sei folglich „eine verantwortungsvolle Aufgabe“ – so schreibt es Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung. Wenn aber tatsächlich wie geplant Achille Mbembe, Politikwissenschaftler im südafrikanischen Johannesburg, diese Aufgabe übernimmt, würde „politischer Schaden“ über Deutschland kommen: Mbembe habe „das Existenzrecht Israels in Frage gestellt“ und den Holocaust relativiert, so Felix Klein.

Die schlechte Nachricht also: Nachdem bereits vor drei Wochen der FDP-Politiker Lorenz Deutsch die Debatte um Mbembe eröffnet hatte (wir berichteten), steht Ruhrtriennale-Chefin Stefanie Carp einmal mehr in der Kritik, einen womöglich allzu israelkritischen Gast geladen zu haben. Und das, nachdem sie bereits vor zwei Jahren mit dem Hickhack um den Auftritt der Band „Young Fathers“, die den Ideen des Israel-Boykotts und der boykottierenden BDS-Bewegung nahe stand, Unmut auf sich zog.

Achille Mbembe lehrt in Johannesburg Politikwissenschaften

Doch wer ist eigentlich Achille Mbembe? Geboren 1957 in Kamerun, lehrt er heute an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg Politikwissenschaften. Seine universitäre Karriere begann mit der Promotion an der Pariser Sorbonne, es folgten Gastprofessuren an namhaften US-Universitäten (darunter Yale). 2019 hielt Mbembe eine Vorlesungsreihe an der Universität Köln; in Deutschland wurde er zudem mehrfach geehrt: 2015 mit dem Geschwister-Scholl-Preis, 2018 mit dem Preis der Gerda-Henkel-Stiftung, dotiert mit 100.000 Euro – die Laudatio hielt Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik, und lobte Mbembe als Vertreter einer „neuen Aufklärung“.

Seit seiner Pariser Zeit gilt Mbembe als dezidiert linker Intellektueller. In seinen Schriften setzt er sich mit dem Apartheidsystem Südafrikas auseinander, mit der postkolonialen Welt und der Verpflichtung zur Restitution. In der „Jerusalem Post“, die über die aktuelle Kritik berichtete, schrieb Mbmebe: „Für afrikanische Intellektuelle wie mich war der Holocaust ein unaussprechliches Verbrechen.“ Er sei aber nicht Thema seiner Arbeit, betonte Mbembe: Der Vorwurf, er „trivialisiere“ den Holocaust, entbehre jeder Grundlage. Ebensowenig stehe er dem Israel-Boykott nahe – allein aus philosophischer Sicht läge ihm jede Art von Boykott fern.

Der Berliner Historiker Andreas Eckert, Professor an der Humboldt-Universität, ist eines der Jury-Mitglieder für den Henkel-Preis (übrigens neben Hermann Parzinger, Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz) und intimer Kenner von Mbembes Werk. Auf eine Anfrage dieser Zeitung zu seiner Einschätzung der aktuellen Vorwürfe antwortet er: „Wie viele Intellektuelle im ,globalen Süden’ (und in vielen anderen Teilen der Welt, auch in Israel selbst) steht Achille Mbembe der Siedlungspolitik Israels äußerst kritisch gegenüber. Scharfe, zugespitzte Kritik an dieser Politik ist jedoch – und ich bin wahrlich nicht der erste, der darauf verweist – nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus.“ Er kenne im Übrigen keine Schrift, so Eckert weiter, „in der Mbembe das Existenzrecht Israels in Frage stellt“.

Stefanie Carp sieht keine „Relativierung“ des Holocaust

Auch Ruhrtriennale-Chefin Stefanie Carp selbst betont auf Anfrage, dass sie „keinen Text und keine Rede von Achille Mbembe“ kenne, in denen „dieser das Existenzrecht Israels bestritten hätte“. Im Zentrum seines Werks stünden „weder Israel noch der Nahost-Konflikt noch der Holocaust“: „Sein Werk beschäftigt sich mit der Kolonialisierung und Dekolonisierung des afrikanischen Kontinents. In seinem Buch ,Politik der Feindschaft’ beschäftigt er sich mit den modernen Demokratien und den Ausgrenzungen, die Demokratien als deren dunkle Seite immer wieder vorgenommen haben. In diesem Zusammenhang nennt er die Segregation, die Ausgrenzung von jüdischen Menschen als ein Beispiel und das Apartheid-Regime in Südafrika als ein anderes neben vielen anderen Beispielen.“ Darin, so Carp, könne sie „keine Relativierung oder Trivialisierung des Holocaust erkennen“.