Essen. In Essen kontrollieren Schwarzafrikaner den Straßenhandel mit dem Rauschgift. Ein Drogenfahnder spricht über die kriminelle Welt der Dealer.
Sie wickeln die kriminellen Geschäfte am helllichten Tag ab und das mitten in der Essener Innenstadt. Die Rede ist von schwarzafrikanischen Drogendealern, die den lukrativen Handel mit Heroin und Kokain, mit Haschisch und Marihuana fest im Griff haben. Doch die von der Essener Polizei im Sommer eigens gegründete Ermittlungskommission hat inzwischen beachtliche Fahndungserfolge vorzuweisen. Das erklärte Ziel der Polizei lautet „aufzuräumen“. Ein Essener Drogenfahnder, der anonym bleiben will, gewährt einen seltenen Einblick in die Welt der Straßendealer und ihrer Hintermänner. Das Protokoll verdeutlicht zugleich, dass die Essener Polizei die Szene sehr genau im Visier hat.
Dass sie aus fast ausnahmslos aus Guinea und Guinea-Bissau stammen, ist kein Zufall. Die bitterarmen und diktatorisch regierten Länder sind Drehkreuze im internationalen Drogenhandel. Kolumbianisches Kokain wird über den Atlantik nach Westafrika verschifft und anschließend von so genannten Bodypackern per Flugzeug nach Europa geschmuggelt.
Bodypacker heißen Kuriere, die ihre eigenen Körper auf riskante Weise als Drogenversteck benutzen. „Sie schlucken vor dem Abflug Kondome voller Kokain, zehn bis zwölf Stück, fast ein halbes Kilogramm“, sagt der Essener Kommissar. Es seien arme Menschen, die vor der Wahl stünden: Entweder sich in einer Eisenerzmine totschuften oder beispielsweise in Essen Drogen verticken?
Dealer leben in konspirativen Wohnungen, Drogen lagern in Bunkerwohnungen
Besonders gerne werden Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene als Dealer rekrutiert: Je jünger, desto geringer in der Regel das Strafmaß – falls sie überhaupt erwischt und verurteilt werden sollten. Meistens öffnet das liberale Asylrecht die erste Tür zum deutschen Drogenmarkt.
Wer im Ruhrgebiet als Straßendealer eingesetzt wird, ist meistens in einer weit entfernten Flüchtlingsunterkunft gemeldet: am Niederrhein oder im Hochsauerlandkreis. „Tatsächlich tauchen sie in konspirativen Wohnungen unter, für die Drogen werden zusätzlich Bunkerwohnungen angemietet“, so der Fahnder.
Auf den Einsatz als „Bodypacker“ folgt Stufe zwei der Dealer-Karriere: der riskante Job als „Ticker“ auf der Straße. Im Fall Essen: lange Zeit der Rheinische Platz, dann die Viehofer Straße, neuerdings das Umfeld der Marktkirche. Hintermänner verkaufen dem Straßendealer täglich Drogen für 250 Euro in Kommission – das sind 30 so genannte Bubbles zu je 0,2 Gramm: in dünne Plastikfolie eingewickelte Drogenkügelchen, die unter der Zunge liegen und sofort runtergeschluckt werden können, wenn Gefahr im Verzuge ist. „Sie machen 12.000 Euro im Umsatz und mit Kokain und Heroin 3000 reinen Gewinn.“
Das Risiko aufzufliegen ist für einen „Ticker“ zwar hoch. Doch die Wahrscheinlichkeit, hinter Schloss und Riegel zu landen oder gar in die Heimat abgeschoben zu werden, sei oft gering. Mit Hilfe mehrerer Alias-Namen und unterschiedlichen Geburtsdaten verschleiern sie Identität und Wohnort. Vorladungen der Staatsanwaltschaft landen im Nirgendwo, die Akte bleibt liegen. Der Kommissar: „Das Ziel ist, möglichst lange Ersttäter zu bleiben – am besten mit falschen Papieren.“
Ist die NRW-Justiz zu lasch? Bayerische Richter sollen viel härtere Strafen aussprechen
Sollte ein „Ticker“ trotzdem auf der Anklagebank landen, hat er angesichts der geringen Menge und mangels Vorstrafe beste Chancen, mit einer milden Bewährungsstrafe von 16 Monaten davonzukommen. Das ist ein Freispruch zweiter Klasse – und quasi die Erlaubnis wie bisher weiter zu dealen. Mit neidvollen Blicken schauen nordrhein-westfälische Drogenfahnder deshalb nach Bayern. Es hat sich nämlich herumgesprochen, dass sich ein Richter im Freistaat durchweg am oberen Strafmaß orientiert und Straßendealer zu fünf Jahren Gefängnis verknackt. Harte Strafen als Abschreckung.
Anders als schlicht gestrickte kriminelle Mitglieder libanesischer Clans, die gerne mit Luxusuhren und Nobelkarossen protzen, gelten die Straßendealer der „Guinea-Connection“ als eine ruhige und unauffällige Klientel. „Niemand lebt in Saus und Braus, das Geld wird zur Seite gelegt und in die Heimat transferiert“, so der Drogenfahnder. Bei Festnahmen hingegen wehrten sie sich mit Händen und Füßen. „Es gibt Polizisten, die dabei schwer verletzt wurden bis hin zur Dienstunfähigkeit.“
In dieses Bild passt auch: Wie bei der Mafia gilt für die Guinea-Dealer das eherne Gesetz des Schweigens. Nie werde mit der Polizei zusammengearbeitet, absolute Loyalität untereinander sei oberstes Gebot. Wer dagegen verstoße, erhalte Drohanrufe aus Guinea wie etwa: „Wir schicken dir den Finger deiner Oma!“ Werde der Ermittlungsdruck in Essen zu hoch, zögen die Dealer in andere Revierstädte oder in andere Teile Deutschlands. Die freigewordene Stelle in Essen werde dann mit einem neuen Rekruten besetzt oder es finde ein Ringtausch statt.
Körper als Versteck: Dealer stirbt im Krankenhaus, als ein Kondom voller Drogen platzt
Einschlägig bekannte Strafverteidiger tun alles, um den Dealern im Gerichtssaal den Rücken zu stärken. Von einem Kölner Rechtsanwalt heißt es, dass er gut 90 Prozent der Fälle mit schwarzafrikanischen Dealern übernehme. Wird ein verurteilter Ersttäter ein zweites Mal beim Rauschgifthandel erwischt, gehe der Anwalt in Berufung.
Das bringe zwei weitere Jahre Aufschub. Wer nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt weiterhin als unschuldig und als Ersttäter. Eine kostbare Zeit, in der der „Ticker“ quasi als Belohnung vom Lieferanten aufsteigt. Wer als Verteiler einen Trupp fleißiger „Ticker“ unter sich habe, könne pro Woche ein Kilo Kokain im Marktwert von 40.000 bis 60.000 Euro verkaufen.
Der seit Jahren dauernde Kampf gegen den Drogenhandel in der Essener Innenstadt gleicht oft einem Katz-Maus-Spiel – auf jeden Etappensieg folgt eine Verlagerung. Doch die jüngsten Ermittlungserfolge mit kiloweise beschlagnahmten Drogen, inhaftierten Dealern, sichergestelltem Bargeld und enttarnten Depot-Wohnungen lassen aufhorchen.
Bei genauem Hinsehen sind die schwarzafrikanischen Rauschgifthändler nicht nur Täter, sondern oft auch selbst Opfer. Wie im Fall des Drogenkuriers, dem ein Kondom voller Rauschgift im Darm aufgeplatzt war. In der Uniklinik Essen, so heißt es, soll der Mann über starke Schmerzen und Übelkeit geklagt haben. Doch jede ärztliche Hilfe sein für ihn zu spät gekommen. „Er hat es nicht überlebt“, sagt der Drogenfahnder.
Ermittlungskommission „Schütze“ im Einsatz
Um den Drogenhandel in der Essener Innenstadt zu bekämpfen, hat die Polizei im Sommer die Ermittlungskommission (EK) „Schütze“ ins Leben gerufen. Das Wort ist eine Anspielung auf die Straße „Schützenbahn“ am Rande der Innenstadt.
Lange Zeit war der Rheinische Platz Brennpunkt des Drogenhandels – bis die Polizei dort 2017 Überwachungskameras aufgestellt hat. Seitdem geht die Rauschgift-Kriminalität zurück.
Gleichzeitig gibt es nun eine Verdrängung – über die Viehofer Straße bis zum Bereich Marktkirche, Rathaus-Galerie und Flachsmarkt.