Essen. Die Drogenszene hat sich mitten in die Essener City verlagert. Kaufleute stöhnen, Kunden sind verstört. Die Polizei hat angefangen „aufzuräumen“.
Das Viertel rund um die Marktkirche zählt nicht nur für den Einzelhandel zu den Top-Lagen der Essener Innenstadt. Auch das Rauschgiftgeschäft blüht hier. Zum Leidwesen der Kaufmannschaft hat sich das kriminelle Geschäft mit Heroin, Kokain und Haschisch vom Rheinischen Platz mitten ins Herz der Einkaufsstadt verlagert. Es ist ein erbitterter Kampf, den die Essener Polizei gegen die Drogenhändler führt. Aber sie verweist auf zunehmende Erfolge und signalisiert inzwischen sogar Zuversicht. „Wir sind dabei aufzuräumen“, sagt Polizeisprecherin Judith Herold.
Martin Krause, langjähriger Geschäftsstellenleiter von Foto Frankenberg, kennt das Dealer-Problem aus täglicher Anschauung. Er braucht nur durchs Schaufenster auf den Flachsmarkt zu schauen. „Um Punkt 13 Uhr geht’s los, da kann man die Uhr nach stellen.“ Meistens seien die Junkies eher da als die „Ticker“, wie die Straßenverkäufer genannt werden. Das Geschäft ist fest in den Händen schwarzafrikanischer Dealer, es läuft bis spät in die Nacht.
Verkäufer an der Porschekanzel klagen: „Unsere Kunden rümpfen die Nase“
„Unsere Kunden rümpfen die Nase“, sagen die Mitarbeiter eines Textilgeschäftes an der Ecke Porschekanzel/Kettwiger Straße. Die Dealer stünden neuerdings an dem Treppenabgang vor der Rathausgalerie zum Zwölfling und vor dem leerstehenden Ladenlokal nebenan. Irgendwie bezeichnend: Vormieter Von Drathen hatte diesen Standort übrigens vor wenigen Monaten aufgegeben, um seine Edelboutique in Rüttenscheid neu zu öffnen.
Der Essener Frank von Pigage passiert diese Ecke fast täglich und beobachtet das Drogengeschäft mit zunehmender Sorge. „Letzten Montag standen drei Dealer in der Rathausgalerie und drei draußen.“ Eine Woche davor sieht von Pigage, wie sich ein Dealer vor einem herannahenden Streifenwagen hinter der Marktkirche versteckt. „Kaum war die Polizei weg, war der Typ wieder da.“ Das bekannte Katz-und-Maus-Spiel. Wochen zuvor staunt der Essener, als ein Dealer auf der Flucht „einen Knubbel“ in einem Regenabfluss versteckt. Als ein Polizist das Bündel beschlagnahmt, wird schon beim Riechen klar: Es ist Marihuana.
Ein Ort, der immer wieder erwähnt wird, ist das Schmuddel-Parkhaus an der Schützenbahn. Drogendealer hätten dort kleine Verstecke angelegt, heißt es. Die dort herumliegenden Einwegspritzen verraten aber auch: Gleich nach dem Kauf setzen die Junkies hier ihren Schuss. Andere tun es im Treppenhaus der Rathaus-Galerie. Zeugen berichten, dass selbst Wachleute in der Einkaufspassage einen schweren Stand hätten. So habe ein Dealer ein Messer gezückt und dem Wachmann mit einer eindeutigen Geste gedroht, ihm die Kehle durchzuschneiden.
Auch das Team der Marktkirche beobachtet die Entwicklung mit zunehmender Sorge
Die Marktkirche, eines der ältesten Gotteshäuser der Stadt, bekommt die Besorgnis erregende Entwicklung ebenfalls zu spüren. „Das Team der Marktkirche beobachtet seit einigen Wochen mit zunehmender Sorge, dass sich die Drogenszene hierhin verlagert hat“, sagt Stefan Koppelmann, Sprecher des evangelischen Kirchenkreises. Insbesondere der rückwärtige Bereich zum Flachsmarkt sei betroffen. „Wer die Kirche dort in der Dunkelheit verlässt, hat ein mulmiges Gefühl.“ Erfreulich: Im Kircheninneren und vorne am Krupp-Denkmal gebe es keine Probleme.
Haftbefehle, Drogengeld und Depots mit kiloweise Kokain
Die Essener Drogenfahnder haben in den vergangenen zehn Wochen zu vier größeren Schlägen gegen die Drogenkriminalität ausgeholt.
Im Oktober hat die „EK Schütze“ mehr als 200 Strafanzeigen gefertigt, 1,5 Kilogramm Drogen (Marktwert: 40.000 bis 50.000 Euro) und drei mutmaßliche Dealer verhaftet, darunter die beiden Haupttäter: Asylbewerber aus Guinea.
Anfang November folgt der nächste Schlag: In einer Altenessener Wohnung, die als Depot diente, werden 2,5 Kilo Heroin und Kokain mit einem Marktwert von rund 150.000 Euro sowie hohe Summen Bargeld sichergestellt. Zwei Männer kommen in Untersuchungshaft.
Mitte November geht der „EK Schütze II“ ein 46 Jahre alter Deutscher ins Netz. Bei dem mutmaßlichen Dealer werden „nicht geringe Mengen an Heroin und Kokain“ gefunden.
Ende November heben Zivilfahnder auf der Steeler Straße ein Drogendepot aus. In der Wohnung halten sich elf Personen im Alter von 17 bis 59 Jahren auf. Sie und der mutmaßliche Haupttäter werden später auf freien Fuß gesetzt.
Fotohändler Martin Krause macht keinen Hehl aus seinen Sorgen. „Die Entwicklung ist extrem schädlich für unser Geschäft.“ Er berichtet von einem verstörten Stammkunden, der gerade eine Leica für 8000 Euro gekauft hatte und entsetzt fragte: „Was ist denn bei Euch vor der Tür los?“. Wenn ein Heroin-Bubble den Mund des Dealers verlasse und für zwanzig Euro den Besitzer wechsele, fragten auch Kinder im Laden: „Mama, was machen die Männer da draußen?“.
Die Geschäftsleute stoßen mit ihren Klagen keinesfalls auf taube Ohren. OB Thomas Kufen habe auf die Beschwerden umgehend reagiert, betont Martin Krause. Das bestätigt auch Markthändler Benjamin Vogel, der sich ebenfalls im Sommer beim OB beschwert hatte und sich nun über die tägliche Präsenz der Ordnungsstreifen freut. Ausdrücklich lobt der Schausteller die Polizei: „Es gab Festnahmen und wohl auch Abschiebungen, die räumen wirklich auf.“
Polizei hat mit „EK Schütze“ angefangen, die Strukturen der Dealer zu zerschlagen
Auf die Verlagerung der Dealerszene in Richtung Innenstadt hat die Polizei im Juli dieses Jahres mit der Gründung der Ermittlungskommission „EK Schütze“ reagiert, einer nach eigener Darstellung schlagkräftigen Spezialeinheit, die nicht nur zahlenmäßig gut aufgestellt sei, sondern auch fachlich versierte Kräfte gezielt einsetze.
Neben operativen Kräften und Zivilfahndern packe insbesondere das Fachkommissariat KK 21 mit seinen Drogenfahndern energisch an. Polizeisprecherin Judith Herold verweist auf eine hohe Zahl von festgenommenen Dealern – „nicht nur Straßenverkäufer, sondern auch deren Hintermänner“. Hinzu komme die zunehmende Menge an beschlagnahmten Betäubungsmitteln und Drogengeld. „Wir sind dabei, die Strukturen der Drogenhändler zu zerschlagen.“
Fotohändler Krause hofft, dass die Polizei „dranbleibt“. Nach wie vor finde eine exklusive Kundschaft von auswärts den Weg zum Flachsmarkt 1. „Aber danach in Essen verweilen, flanieren und ins Restaurant gehen, das ist längst vorbei.“ Der Leica-Kunde aus Bochum, der Freitagmorgen im Geschäft ist, bestätigt dies: „Ich haue sofort wieder ab.“