Essen-Borbeck. Die Essenerin Margarete Roderig will sich als neue Bezirksbürgermeisterin um die Krankenhausversorgung kümmern. Auch das Müllproblem geht sie an.
Margarete Roderig tritt die Nachfolge des verstorbenen SPD-Politikers Helmut Kehlbreier an. Sie wurde in der konstituierenden Sitzung der Bezirksvertretung IV ohne Gegenstimmen zur neuen Bezirksbürgermeisterin gewählt – eine Wahl mit Auftrag, wie sie sagt.
Die 63-Jährige, die mit ihrem Bruder, der das Down-Syndrom hat, in einer Wohngemeinschaft lebt, will in Borbeck einiges bewegen. Was ihre Ziele sind, warum die CDU nun mit den Grünen koaliert und warum Sie ihr Herz an die Lokalpolitik verloren hat, verrät Margarete Roderig im Interview.
Sie sind schon seit 1976 Mitglied in der CDU. Was reizt Sie an der Lokalpolitik?
Der tägliche Kontakt mit den Menschen und nicht mit dem Papier. Ich war sechs Jahre lang im Rat und dort sind die Strukturen ganz anders – viel Papier, wenig Kontakt mit den Menschen. In der Bezirksvertretung ist das – Gott sei Dank – genau anders herum.
Wann haben Sie sich dazu entschieden, für die Bezirksvertretung zu kandidieren?
Ich habe auf eine erneute Ratskandidatur verzichtet, weil ich die Arbeit nicht mehr mit meiner Berufstätigkeit und meinem Engagement in der Begegnungsstätte für Menschen mit Behinderungen, dem Flotte Socken Treff, vereinbaren konnte. Ich wurde dann sehr nachhaltig gefragt, ob ich für die Bezirksvertretung kandidieren möchte. Das ist ein Beritt der mir gefällt und wo ich etwas bewirken kann. Dann hat es sich ergeben, dass ich im kommenden März in Rente gehen kann. Als ich dann gefragt wurde, ob ich mir auch vorstellen kann als Bezirksbürgermeisterin zu kandidieren, habe ich zugesagt.
Was muss man für das Amt der Bezirksbürgermeisterin mitbringen?
Sie dürfen keine Angst vor dem Kontakt mit Menschen haben, sie müssen manchmal einiges aushalten können, sie müssen Papiere schnell querlesen und den Kontakt zu allen Ämtern halten können. Ich war zehn Jahre lang stellvertretende Bezirksbürgermeisterin, kenne die Abläufe und traue mir das ohne Weiteres zu.
Das ist ein Ehrenamt und Sie bekommen eine Aufwandsentschädigung. Wie hoch ist die?
Gute Frage, ich glaube um die 270 Euro erhalten normale Bezirksvertretungsmitglieder. Die Bezirksbürgermeisterin erhält den dreifachen Satz.
Aus finanziellen Gründen macht man das wohl nicht.
Nein, da können sie gerade mal die Miete von bezahlen (lacht). Es muss einem schon Spaß machen. Ich habe bei der letzten Sitzung der Bezirksvertretung gesagt, ich war 15 Jahre lang Bezirksvertreterin, ich habe sechs Jahre lang einen Ausflug in den Rat gemacht – und habe festgestellt, ich gehöre in die Bezirksvertretung! Jetzt kann ich etwas bewegen.
Die CDU holte bei der Kommunalwahl 36,78 Prozent im Stadtbezirk IV, elf Prozentpunkte mehr als die SPD. Was macht die CDU richtig, die SPD falsch?
Thomas Kufen sagte im Rat einmal: Ich stelle heute die 28. Sitzordnung vor. Ständig wechselten Ratsmitglieder das politische Lager. Die CDU-Fraktion war die einzige, die sechs Jahre lang unverändert blieb. Das Gleiche auf Bezirksebene: Die Fraktion hat sich sehr gut untereinander verstanden und sich nicht in der Öffentlichkeit um Pöstchen gestritten. Ich denke, das haben die Menschen gemerkt.
Sie gehen mit den Grünen eine Koalition ein?
Genau, mit Thorsten Drewes, Bernhard Heinrich Vornefeld und Doerthe Mick hatten wir von Anfang an einen guten Draht. Wir haben sehr viele Übereinstimmungen, was zum Beispiel die Radwege oder die Gesundheitsversorgung betrifft. Wir haben auch ein Team vorgefunden, dass an der Sacharbeit interessiert ist und bei dem wir nicht befürchten müssen, dass Personaldebatten entstehen. Das ist im Moment, glaube ich, das Problem bei der SPD. Die Partei ist untereinander so zerstritten, das immer wieder etwas an die Öffentlichkeit gerät und die Arbeit erschwert. Aber wir wollen mit allen demokratischen Parteien zusammenarbeiten. Die Bezirksvertretung ist kein Schlachtfeld für Parteipolitik, sondern es geht um die Anliegen vor Ort.
Demokratische Parteien ist das Stichwort. Die AfD ist mit Sandra Benz-Dellin und Peter Sandow vertreten.
Ja, man muss gucken, wie sie sich einbringen werden. Erstmal sind sie als Vertreter gewählt. Ich hoffe aber, dass sie sich an alle demokratischen Spielregeln halten.
Können Sie sich denn eine Zusammenarbeit bei bestimmten Themen vorstellen?
Nein, momentan nicht. Ich weiß aber auch noch nicht, welche Themen die beiden besetzen wollen, weil sie ganz neu sind. In der Bezirksvertretung sind nur noch wenige alte Hasen.
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Was sind Ihre drei Top-Themen, die Sie nun in Angriff nehmen wollen?
Ganz oben steht die Krankenhausversorgung. Was Contilia mit dem Philippusstift vorgelegt hat, ist genauso unglaubwürdig, wie das was sie mit dem Marienhostpital gemacht haben. Da muss etwas passieren, denn das betrifft nicht nur Borbeck, sondern auch Altenessen und Stoppenberg. Wenn in Stoppenberg das St. Vincenz-Krankenhaus Ende des Jahres zumacht, wird es richtig eng für uns im Essener Norden. Das zweite sind die Müllecken, da will ich mit der EBE Tacheles reden. Und dann haben wir die Probleme mit Straßen, die Buckelpisten sind, und mit einer nicht gegebenen Barrierefreiheit. Da ich viel mit Menschen mit Behinderungen zusammen bin, kenne ich so ziemlich alle Ecken, wo es problematisch ist.
Als Politikerin muss man einiges aushalten, haben Sie zu Beginn gesagt. Zuletzt gab es immer wieder Berichte über Angriffe auf Politiker. Muss man mutig sein, um Politiker zu sein?
Das ist wirklich erschreckend, aber da mache ich mir keine Gedanken darüber. Die Angst darf einen nicht beherrschen. Ich kann auch morgens unters Auto kommen oder einen auf den Schädel kriegen – dann ist das so. Ich will mich nicht verstecken. Man muss in Diskussionen aber immer ruhig bleiben und vielleicht einiges mit Galgenhumor nehmen. Ich bin aber durch eine gute Schule gegangen, weil ich einen großen Freundeskreis mit dem Glücks-Chromosom 47 habe [Anm. d. Red.: Menschen mit Down-Syndrom haben 47 statt der üblichen 46 Chromosomen], und der hat mir Geduld und Toleranz beigebracht.