Essen. Das Bündnis aus Stadtteil-Initiativen kämpft für eine klimaangepasste Stadtbauplanung in ganz Essen. Corona-Pandemie erschwert Bürgerbeteiligung.

Ob es nur um eine kleine Wiese inmitten eines Wohngebietes oder um ein großes einstiges Bahngelände geht: Das Bündnis „Grüne Lungen für Essen“ kämpft für eine klimaangepasste Stadtbauplanung in ganz Essen. Wichtig sei, dass Grün- und Freiflächen in Essen erhalten bleiben und neue dazukommen. Und die Initiative wirbt für eine bessere Bürgerbeteiligung – auch wenn die Corona-Pandemie vieles erschwere.

Sechs Bürgerinitiativen, die sich jeweils in ihren Stadtteilen für den Erhalt von Grün- und Freiflächen einsetzen, hatten sich im Februar diesen Jahres bei der Stadtwandel-Konferenz in der Zeche Carl zum Bündnis „Grüne Lungen für Essen“ zusammengeschlossen. Seitdem agieren sie in Abstimmung miteinander, machen in gemeinsamen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam.

Planung für die Rüttenscheider Brücke wird heftig kritisiert

„Es geht nicht darum, nicht zu bauen, sondern um das Wie“, erklärt Estelle Fritz von der Initiative „Rettet Rüttenscheid“ als Bündnis-Sprecherin. Rüttenscheid sei das Negativbeispiel, „wie man es absolut nicht machen sollte“, findet sie. „Es gibt eine Klimaanalyse der Stadt, nach der schon vor 20 Jahren dieser Stadtteil hätte mehr begrünt und entsiegelt werden müssen.“ Stattdessen seien 1200 Wohnungen mehr hinzugebaut worden. Der Verkehr kollabiere schon heute, es mangele an Infrastruktur wie Kitas, Schulen und Spielplätzen.

Bis zu sieben Geschosse sieht die derzeitigen Planung für das Bauprojekt in Rüttenscheid vor. 
Bis zu sieben Geschosse sieht die derzeitigen Planung für das Bauprojekt in Rüttenscheid vor.  © Hopf-Gruppe

Nun stehe das Bauvorhaben der Hopf-Gruppe auf dem Messeparkplatz an. Im Herzen des Stadtteils sollen mit planerischer Einbeziehung der Rüttenscheider Brücke rund 120 bis 140 Wohnungen entstehen plus etliche Büros und Gewerbeeinheiten. An heftiger Kritik von Anwohnern mangelt es nicht, wie zwei Bürgerversammlungen in der Messe jüngst zeigten.

Unter anderem wurde beklagt, die Bebauung verkleinere einen der wenigen Rüttenscheider Orte für Sport und Freizeit und erschwere Bürgerfeste. Auch sei ungeklärt, wie der Radentscheid der Stadt dazu passe: Die Fahrradtrasse, die über das zu bebauende Gelände führt, gehört zum Hauptroutennetz und soll künftig im Bereich der Neubauprojekts zumindest teilweise durch einen Tunnel geführt werden.

Pandemie erschwert Bürgern, sich in Planungsprozesse einzubringen

Die Stadt Essen bietet zur Rüttenscheider Brücke eine Planungswerkstatt an. Diese sollte zunächst in der VHS mit 40 Teilnehmern stattfinden, wird am Donnerstag, 19. November, nun aber pandemiebedingt digital abgehalten. Einzelne Themen und Fragen sollen vertieft werden. „Wir hoffen, dass auf digitaler Ebene jetzt mehr Personen daran teilnehmen können, damit sich auch alle Gruppen gut vertreten fühlen“, betont Estelle Fritz.

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Corona mache es den Bürgern nämlich zunehmend schwerer, sich in Planungsprozesse einzubringen. Fritz: „Geplant und gebaut wird ja weiterhin.“ Das sehen auch Susanne Gilbert vom Nachbarschaftskreis Bögelsknappen in Kettwig und Gunter Zimmermeyer von der Interessengemeinschaft Ickten so. „Wenn es darum geht, Investoren den Weg zu bereiten, wird der Bürgerwille gerne umgangen“, ist der Eindruck von Susanne Gilbert. Sie kämpft mit den Anwohnern in Kettwig nicht nur für den Erhalt der historischen Villa Ruhnau, sondern möchte auch ein geplantes Bauprojekt von, in ihren Augen, massiver Größe verhindern. „Wir haben immer weniger Freiflächen, selbst in so grünen Stadtteilen wie Kettwig“, sagt sie.

Die richtigen Schlüsse ziehen

Dem Bündnis „Grüne Lungen für Essen“ gehören folgende Initiativen an: Die Bürgerinitiative Meckenstocker Weg, die Bürger-Aktion Bochold, die Bürgerinitiative „Rettet den Klostergarten“, die Interessengemeinschaft Ickten, die Initiative „Rettet die Katernberger Grünfläche“ und die Initiative „Rettet Rüttenscheid“.

In seinen Zielen bezieht sich das Bündnis auf eine wissenschaftliche Studie, die das Umweltamt der Stadt Essen bereits im Jahr 2014 unter dem Titel „Stadt begegnet Klimawandel“ veröffentlicht hat. Die Autoren prognostizieren, dass der Klimawandel in Essen und in der Region bis Mitte des Jahrhunderts rasant fortschreitet.

Die Bürgerinitiativen fordern die Stadt auf, in der Stadtplanung deshalb die richtigen Schlüsse zu ziehen. Eine „höhere Betondichte“ verändere das Stadtklima. Verdichtete Flächen seien Hitzespeicher mit negativen Folgen für die Gesundheit der Menschen.

Gute Vernetzung im Bündnis „Grüne Lungen für Essen“

Die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen, sei in Zeiten, wo man gehalten sei, Kontakte zu minimieren, doch sehr schwer, merkt Susanne Gilbert außerdem an. Gunter Zimmermeyer, dessen Interessengemeinschaft für den Erhalt eines ehemaligen Tennisplatzes in Kettwig-Ickten kämpft, ist deshalb in diesen Zeiten umso erfreuter über das Bündnis „Grüne Lungen für Essen“. „Weil“, so sagt er, „gemeinsam kann man sich mehr Gehör verschaffen. Denn so gut wir auch die einzelnen Bezirksvertretungen überzeugen, die Fachgremien und der Rat entscheiden.“ Da sei man im Bündnis bestens vernetzt, um die Bürgeranliegen bei den jeweiligen Fraktionen noch besser zu vertreten.

Dabei gehe es beileibe nicht immer um die ganz großen Investorenprojekte, ergänzt Estelle Fritz. „Der Stadtteil Katernberg ist zum Beispiel zu 80 Prozent verdichtet. Selbst eine kleine Wiese erfüllt hier eine wichtige ökologische und soziale Funktion.“ Sinnvolle Bebauungskonzepte zu entwickeln, das sollte das Ziel der Stadt sein. „Dazu gehört, dass Verwaltung und Politik die Bürger mitnehmen – auch wenn die Pandemie uns allen Stadtplanung und -entwicklung gerade sehr schwer macht.“

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