Essen. Mit zwei großen Versammlungen startet am Dienstag die Bürgerbeteiligung um neue Wohnhäuser in Rüttenscheid. Grüne wollten Plätze „blockieren“.

Unter den vielen Bauvorhaben in Rüttenscheid ist es vermutlich das umstrittenste: Das Wohnungsprojekt des Immobilieninvestors Hopf an der Rüttenscheider Brücke wird nicht nur von Anwohnern kritisch gesehen, es muss auch die Parkplatz-Interessen der Messe berücksichtigen und generell in den Stadtraum passen, der an dieser Stelle nicht unkompliziert ist. Am 27. Oktober gibt es in der Messe Essen eine große, mit einiger Spannung erwartete Bürgerversammlung, die wegen des großen Interesses und der Corona-Richtlinien nun in zwei Schichten angeboten werden soll: um 18 Uhr und um 20.30 Uhr dann noch einmal.

Größter Streitpunkt des Bauvorhabens in Essen-Rüttenscheid ist die Geschosshöhe

Das Bebauungsplanverfahren nimmt damit Fahrt auf. Die Investoren, das ist normal, wollen am Ende möglichst viel von ihrer Ursprungsplanung in konkretes Baurecht münden lassen, die Anwohner haben hingegen zahlreiche Änderungswünsche. Der gravierendste Streitpunkt ist dabei die Geschosshöhe. Sechs Vollgeschosse plus ein Staffelgeschoss mit Platz für Penthouses ist für die Wohnhäuser geplant, dabei bleibe man immer noch unter dem Höhenniveau von Nachbargebäuden wie dem Girardethaus, argumentiert Hopf.

An der Rüttenscheider Brücke, südlich des Girardethauses, im Süden begrenzt durch die Wittekindstraße, sollen bis zu siebengeschossige Baukörper für Einzelhandel und Wohnen entstehen.
An der Rüttenscheider Brücke, südlich des Girardethauses, im Süden begrenzt durch die Wittekindstraße, sollen bis zu siebengeschossige Baukörper für Einzelhandel und Wohnen entstehen. © Stadt Essen/Grafik: HPP Architekten

Die Anwohner, organisiert im Rüttenscheider Bürgerforum, hätten es gerne niedriger und halten insgesamt fünf Geschosse für ausreichend, große Teile der Ratspolitik inklusive sogar der örtlichen CDU sehen das ähnlich. Ob der Investor in einem solchen Fall allerdings die Finanzierung für städtebauliche Extras übernimmt, ist unklar.

Geplant ist nämlich, aus der Rüttenscheider Brücke einen kleinen Platz zu machen, der sowohl einige der neu entstehenden Häuser erschließt, als auch Aufenthaltsqualität für die Allgemeinheit bieten soll. Die Hopf-Gruppe möchte sich derzeit offiziell nicht äußern und verweist auf das nun beginnende Bebauungsplanverfahren.

Grüne: „Die Personenzahl ist begrenzt, es ist wichtig, dass wir möglichst viele Plätze blockieren“

Für einigen Zündstoff auf den Versammlungen am 27. Oktober ist jedenfalls gesorgt, weshalb in Rüttenscheid die Nervosität in den Parteien zu wachsen scheint. Indiz dafür ist eine E-Mail, die Grünen-Ratsfrau Elke Zeeb vor einigen Wochen an ihre Parteifreunde schickte, und die der Redaktion vorliegt. Im Mittelpunkt dieser E-Mail steht eine merkwürdige Aufforderung: „Es ist wichtig, dass ihr euch für diese Veranstaltung schnell anmeldet, auch wenn ihr nicht teilnehmen könnt“, so Zeeb. Die Begründung für die Aufforderung zum Tricksen ist ebenso fragwürdig wie erfrischend offenherzig: „Die Personenzahl ist begrenzt und es ist wichtig, dass wir möglichst viele Plätze blockieren.“

Anmeldung für die Bürgerversammlung

Für die Teilnahme an den Bürgerversammlung bitte die Stadt um vorherige Anmeldung (mit Angabe von Name, Anschrift, Telefonnummer) unter Telefon 0201 88-61354 oder per E-Mail unter anmeldungbeteiligung@amt61.essen.de gebeten. Bislang gibt es rund 170 Anmeldungen.

Ein Betreten der Räume in der Messe Essen ist selbstverständlich nur mit einer Mund-Nasen-Bedeckung gestattet. Die aktuell geltenden Abstands- und Hygienevorschriften sind zu beachten.

Die Grünen, man ahnt es, haben ein Problem mit der Bebauung, was ihr gutes Recht ist. Weniger gerechtfertigt erscheint, die wegen Corona ohnehin limitierte Platzzahl bei den Versammlungen künstlich weiter zu verknappen – offenbar mit dem Ziel, anderen Interessierten, die eine andere Meinung vertreten könnten, erst gar nicht den Zutritt zu ermöglichen.

Ratsfrau Elke Zeeb schweigt sich zum Vorwurf aus, ob Trickserei hier erlaubt war

Elke Zeeb, angesprochen auf die Sätze in ihrer Mail, erklärt, man habe von der Versammlung später als andere Parteien und Gruppen erfahren. „Andere haben sich also auch falsch verhalten“, so Zeeb. Doch selbst wenn das stimmen sollte, wofür sich kein Beleg finden ließ, bleibt die Frage, ob dann Tricksen einfach so erlaubt ist. „Ich habe nur motivieren wollen, damit möglichst viele aus der Grünen-Stadtteilgruppe von der Veranstaltung erfahren und hingehen“, rechtfertigt sich Zeeb. Zum eigentlichen Vorwurf, ob Trickserei bei solchen Gelegenheiten erlaubt ist, schwieg sie sich auf Anfrage aus.

Um 1970, eine ähnliche Perspektive wie auf dem Foto unten: Der Güterbahnhof ist noch in vollem Betrieb. Links das Girardethaus, die Schienen ganz rechts sind Teil der Bahnstrecke Steele-Mülheim-Heißen, die heute eine Radroute ist. Im Hintergrund das nochb heute bestehende Steag-Kraftwerk.
Um 1970, eine ähnliche Perspektive wie auf dem Foto unten: Der Güterbahnhof ist noch in vollem Betrieb. Links das Girardethaus, die Schienen ganz rechts sind Teil der Bahnstrecke Steele-Mülheim-Heißen, die heute eine Radroute ist. Im Hintergrund das nochb heute bestehende Steag-Kraftwerk. © IGR

Die Vorbereitung und Moderation der Bürgerversammlung liegt nicht wie sonst üblich in den Händen der Stadtplanungsamtes, vielmehr wurde mit Prof. Klaus Selle ein in Fachkreisen bekannter Stadtplaner für diese Rolle gewonnen. Selle bringt spezielle Expertise zu den Themen Freiraumentwicklung und Bürgerbeteiligung mit und arbeitet nach seiner Emeritierung als Hochschullehrer verstärkt als freiberuflicher Moderator von Planungsprozessen. An die Bürgerversammlung sollen sich noch eine Reihe von Workshops anschließen. Das Engagement von Selle und seinem Büro kostet dem Vernehmen nach knapp 30.000 Euro.

Seit Jahren ist das Gelände ein heiß diskutierter Zankapfel in Rüttenscheid

Das Projekt ist soviel Aufwand vermutlich wert. Die rund 47.000 Quadratmeter große Gelände des früheren Güterbahnhofs ist seit Jahren heiß diskutiertes Entwicklungsgebiet und ein Zankapfel in Rüttenscheid, weil es mit zahlreichen, sich teilweise ausschließenden Ansprüchen belegt ist – Parken, Wohnen, Sport und Freifläche sind die Stichworte. Die Grünen betonten mehrfach, die weitläufige Fläche diene Rüttenscheid als Frischluftschneise. Eine Behauptung, für sie sich in den Klimakarten des Regionalverbands Ruhr (RVR) und des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz jedoch kein Beleg findet.

Fakt ist aber, dass an der konkreten Stelle für die geplanten Neubauten sich seit 1872 – dem Gründungsjahr des Güterbahnhofs – baulich nichts grundlegend verändert, vielmehr hat sich dieser Teil Rüttenscheids quasi um das Gelände herum entwickelt, das wie ein großer Graben im Stadtteil liegt.

Um diese Fläche geht es: Parallel zum Girardethaus (links) sollen in Rüttenscheid neue Wohnhäuser mit bis zu 140 Wohnungen entstehen.
Um diese Fläche geht es: Parallel zum Girardethaus (links) sollen in Rüttenscheid neue Wohnhäuser mit bis zu 140 Wohnungen entstehen. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Die Eisenbahn war schon da, als dieser Teil Rüttenscheids noch kaum städtischen Charakter hatte

So entstand in Jahrzehnten der Eindruck einer bewusst gewollten Unterbrechung im Rüttenscheider Häusermeer. Tatsächlich war die Eisenbahn aber schlicht schon da, als die Gegend noch eher dörflichen bis agrarischen Charakter hatte – und sie blieb lange. Erst vor rund zehn Jahren hat die Bahn AG die Flächen an die Hopf-Gruppe verkauft.

Trotz mancher Bebauung in den Randbereichen ist die alte, einst riesige Gleisharfe noch immer gut erkennbar, statt der früheren Güterzuggleise stehen nun eben Autos auf dem Schotter, Radfahrer oder Jogger durchstreifen das Gelände. Genau das soll auch nach der Bebauung überwiegend so bleiben können, denn nur ein kleiner Teil der Fläche ist für die Wohnhäuser vorgesehen.

Zwischen 120 und 140 Wohnungen sind von der Hopf-Gruppe in Aussicht genommen. Ob das so kommt, wird auch von den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung abhängen, die am Dienstag startet.

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