Essen. Der Konsum von „Crystal Meth“ hat nach Erkenntnissen der Suchthilfe Essen in Corona-Zeiten zugelegt. Die Suchtkranken „drehen zum Teil am Rad“.

Die Corona-Krise setzt drogenkranke Menschen zunehmend unter Druck. Die Suchthilfe Essen beobachtet alarmierende Entwicklungen mit steigender Sorge: Mehr Stress, mehr (Beschaffungs-)Druck, mehr Konsum führen zu einem Mehr an „Aggressivität unter den Schwerstabhängigen. Mehr Notfälle, Bedrohungen, Gewalt und deeskalierende Einsätze der Mitarbeiter und der Polizei im und am Drogenhilfezentrum“ sind die Folge, umreißt Suchthilfe-Sprecher Frank Langer die Situation: „Die Zwischenfälle haben sich verdoppelt bis verdreifacht“, zumal einbrisantes Phänomen zusätzlich hochkocht: Der Konsum der enorm stimulierenden, aber auch extrem gefährlichen synthetischen Droge „Crystal Meth“ hat merklich zugelegt.

War das aufputschende und vergleichsweise lang wirkende Methamphetamin bislang kaum ein Thema im sogenannten Druckraum an der Hoffnungstraße, registrierten die Mitarbeiter im zweiten Quartal dieses Jahres 34 Mal, dass solche „Weckamine“ gespritzt worden sind. Es handelte sich dabei um weniger starkes „Speed“, aber auch um „Crystal“, bei dem intravenöser Gebrauch zu, so Langer, „ungewöhnlichen Verhaltensweisen“ führt: „Die drehen dann regelrecht am Rad.“ Zum Vergleich: In den ersten drei Monaten 2020 wurden gerade einmal drei dieser „Konsumvorgänge“ aktenkundig.

„Die graben uns die Pflastersteine mit bloßen Händen aus“

Noch gelte: „Es ist keine Welle, es ist keine Flut“, betont der Suchthilfesprecher: Und „ob daraus ein Trend zu einem deutlich erhöhten Konsum von Crystal erwachsen könnte, bleibt abzuwarten.“

Doch Langer kennt sie schon jetzt, die Einsätze, wenn die Mitarbeiter Alarm schlagen, weil sie oder aber andere Konsumenten von „Meth“-Klienten bedroht werden. Wird die Polizei alarmiert, „sind fix da, teils mit gezogener Waffe“, wenn es um die Gefahrenabwehr geht. Auf dem Parkplatz und im Innenhof des Drogenhilfezentrums spielen sich aber auch Mitleid erregende Szenen des Elends ab, die Langer als „fixiertes Suchtverhalten“ umschreibt: „Die graben uns die Pflastersteine mit bloßen Händen aus, wenn sie denken, in den Zwischenräumen ein neues Briefchen mit dem Rauschgift entdeckt zu haben.“

Die Krisenzeiten bringen die Abhängigen noch tiefer in den Teufelskreis

Die Krisenzeiten bringen die Abhängigen noch tiefer in den Teufelskreis, in dem sie eh schon stecken: Sie versuchen, ihre größeren Verunsicherungen und Ängste durch mehr Drogen zu kompensieren, der Konsum mit all seinen Gefahren wird unkontrollierter, wodurch sich Gefühle wie Angst und Frustration nur noch verstärken und schließlich in einem Wahrnehmungs- oder Kontrollverlust enden können.

Wer obdach- und mittellos auf der Straße lebt, dazu von oft mehreren Giften abhängig ist, muss seine Sucht irgendwie finanzieren. Doch selbst an das dafür notwendige Geld zu kommen, ist durch Corona zu einer zusätzlichen Hürde geworden: Der Verkauf von Straßenzeitungen in zwischenzeitlich menschenleeren Innenstädten funktionierte nicht mehr. Und wie soll man Pfandflaschen sammeln, wenn niemand da ist, der sie zurücklassen könnte. „Schnorren“ ist genauso wie das Klauen ein Problem, wenn Geschäfte geschlossen sind und sich die Geldbörsen der Kunden in den Einkaufszonen auch nicht mehr öffnen.

Dieses Leben unter Pandemie-Regie ist für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar. Doch die Suchthilfe Essen hat ihre Arbeit auf der Straße nicht ohne Grund ausgebaut in Corona-Zeiten.

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