Essen-Rüttenscheid. Messe Essen und Hopf-Gruppe tauschen Grundstücke, Wohnpläne an der Rüttenscheider Brücke sind einen Schritt weiter. Ideen der Grünen abgewiesen.
Von den vielen Rüttenscheider Bauvorhaben dürfte es das komplizierteste sein: Das Wohnprojekt des Immobilieninvestors Hopf an der Rüttenscheider Brücke ist nicht nur bei Anwohnern sehr umstritten, es muss auch mit den Parkplatz-Interessen der Messe kombinierbar sein und in den Stadtraum passen, der an dieser Stelle als besonders sensibel gilt. Eine wichtige Hürde konnte jetzt genommen werden: Die Messe Essen und die Hopf-Gruppe haben sich auf einen Grundstückstausch geeinigt, der einerseits das Bauvorhaben des Investors möglich macht, andererseits den Parkraum für die Messe in der jetzigen Größenordnung hält, was unbedingt erforderlich sei. „Mögliche andere Vorschläge und Wünsche für die Nutzung dieses Messeparkplatzes sind vor diesem Hintergrund gegenstandslos und irreführend“, sagt Messe-Geschäftsführer Oliver P. Kuhrt.
Der Messechef formuliert damit eine klare Absage in Richtung der Grünen, die jüngst bei einer Versammlung im Stadtteil ein Überdenken der Pläne forderten. „Dieses Filet-Stück mitten in Rüttenscheid ist viel zu schade, um es nur zu bebauen oder als Parkplatz zu nutzen“, erklärte Grünen-Ratsherr Rolf Fliß. Die Grünen und etliche Bürger forderten insbesondere eine starke Einschränkung der Parkplatz-Nutzung.
Für die These von der Frischluftschneise fehlen Belege
Fliß wiederholte auch die These von der „Frischluftschneise“, eine dem weitläufigen Gelände häufig zugesprochene Funktion, für die sich allerdings in den Klimakarten des Regionalverbands Ruhr (RVR) und des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz kein Beleg findet. Die Luftströme in das tatsächlich oft stark aufgeheizte Rüttenscheider Häusermeer erfolgen demnach über andere Schneisen, der frühere Güterbahnhof scheint hierbei - jedenfalls auf Basis der RVR-Karten - keine Rolle zu spielen. Das Mikroklima dort ähnelt wegen der starken Bodenverdichtung und Asphaltierung einer Industriefläche - es ist heiß und sehr trocken.
Bauprojekt an Rüttenscheider Brücke: Die Berichterstattung
Diese und andere Details müssen im Bebauungsplanverfahren noch erörtert werden, dessen Start im Herbst im Ratsausschuss für Stadtplanung vorgesehen ist. Anderthalb Jahre dürfte es mindestens dauern, bis alle Bedenken und Anregungen ausgeräumt oder berücksichtigt sind. Unwahrscheinlich ist das völlige Scheitern des Projekts, denn schon jetzt könnte die Hopf-Gruppe ein vereinfachtes Baurecht im Rahmen der Lückenbebauung geltend machen, strebt aber wegen der vielen Einwände und der größeren Rechtssicherheit ein B-Plan-Verfahren an.
Über die Zahl der Geschosse der Wohnhäuser soll noch gesprochen werden
Ausschussvorsitzender und SPD-Ratsherr Thomas Rotter machte am Dienstag auf Anfrage noch einmal deutlich, dass er hinter dem Bauvorhaben steht. „Über die Zahl der Geschossen müssen wir aber noch mal reden“, so Rotter, der damit einen Streitpunkt aufgreift, den viele Bürger in der Nachbarschaft umtreibt. Derzeit sind sechs Vollgeschosse plus ein Staffelgeschoss für die Wohnhäuser geplant, die nach Angaben von Hopf damit immer noch unter der Höhe der Nachbarbebauung bleiben, was wohl die obere Grenze markiert. Nach wie vor soll zudem die Rüttenscheider Brücke zu einem kleinen Platz ausgeweitet werden. Insgesamt geht es um 15.500 Quadratmeter Wohnfläche und weitere 6000 Quadratmeter für Gewerbe und Geschäfte. Aus der Hopf-Gruppe heißt es, derzeit wolle man zu möglichen Abstrichen bei der Geschosszahl nichts sagen. 30 Prozent der Wohnfläche wird sozial gefördert.
Der Grundstücksdeal sieht im Detail so aus: Um überhaupt bauen zu können, braucht und erhält die Hopf-Gruppe zu ihrem bereits bestehenden Grundbesitz einige tausend Quadratmeter Parkplatzfläche der Messe und gibt der städtischen Ausstellungsgesellschaft im Gegenzug und als Ausgleich das Grundstück einer alten Lagerhalle neben dem Steag-Kraftwerk, die so genannte Scholten-Fläche. Die Halle soll abgerissen und dann dem Parkplatz-Areal zugeschlagen werden, das bei der Messe das Kürzel P2 hat.
150.000 Zufahrten pro Jahr, fast die Hälfte mit LKWs
Für die Messe ist das ehemalige Güterbahngelände das „zentrale Logistikdrehkreuz“, das diese Funktion auch künftig „uneingeschränkt erfüllen“ müsse, heißt es. Dies sei für die Messe unverhandelbar und Prämisse für alle Wohnbaupläne. Allein im Jahre 2018 gab es hier 150.000 Zufahrten, davon 71.000 LKW-Bewegungen rechnet die Messe vor. „Allein im letzten Jahr diente der P2 bei 44 Messen und Ausstellungen, 630 Kongressveranstaltungen und 70 Events und Hauptversammlungen in der Grugahalle als nah gelegene Parkfläche“, so Geschäftsführer Oliver P. Kuhrt.
Neben der deutlich kleineren Logistikfläche am Parkhaus P9 sei der P2 zudem der einzige für LKW zu befahrende Parkplatz der Messe Essen. „Von hier aus werden die LKW gemäß eines genau getakteten Slot-Systems zu ihrem jeweiligen Zielort im Messegelände abgerufen.“ Der P2 erfülle daher eine wesentliche Funktion als Dauer- und Pufferparkplatz.
Die Messe warnt vor Verkehrsbehinderungen in Rüttenscheid, wenn die Parkplatzfunktion eingeschränkt wird
„Die unmittelbare Nähe zum Messegelände ist für die Lkw-Logistik zwingend erforderlich, da die LKW sonst im öffentlichen Straßenraum warten müssten und für Behinderungen des Verkehrs in Rüttenscheid sorgen würden“, warnt die Messe. Und: „Der P2 ist bei nahezu allen Veranstaltungen der Messe Essen, des Congress Center Essen sowie der Grugahalle in Betrieb, die den Eingang Ost über das neue Foyer nutzen.“ Die Nähe zur Rüttenscheider Gastronomie steigert die Bedeutung der Parkfläche laut Messe noch.
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Für eine Wohnbebauung ist diese Nachbarschaft sicherlich nicht ideal, die künftigen Bewohner müssen es ertragen, dass an nicht wenigen Tagen unter und neben ihren Wohnungen reger Messe-Parkverkehr stattfindet. Die Hopf-Gruppe ist dennoch sicher, dass auch diese zentral in Rüttenscheid gelegenen Wohnungen ihre Mieter und Käufer finden werden. Teil des Interessenausgleichs zwischen Messe und Investor Hopf ist noch die Überlassung eines kleinen Grundstücks am anderen Ende des Messe-Parkplatzes Richtung Veronikastraße und Sportplatz. Dort will Hopf die bereits bestehende Wohnhäusergruppe um einige weitere Wohngebäude ergänzen.
Alles in allem hat die Messe dank des Scholten-Grundstücks genauso viel Parkraum wie jetzt, und die Hopf-Gruppe kann bauen. Ob die Nachbarn mit diesem Deal auch leben können, steht auf einem anderen Blatt. Die Debatten im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens werden dazu Erhellendes beitragen.
Ex-Güterbahnhof liegt wie ein riesiger Keil im Stadtraum
Der alte Güterbahnhof in Rüttenscheid entstand bereits in Grundzügen in den 1870er Jahren, als dieser Teil der Stadt noch dünn besiedelt war. Die einstige Gleisharfe, die stetig vergrößert wurde, liegt mittlerweile wie ein Keil im Stadtraum und ist seit langem ein städtebaulicher Zankapfel. Der Rangierverkehr wurde in den 1970er Jahren eingestellt, die dazugehörige Bahnstrecke von Steele nach Mülheim-Heißen in den Jahren danach in Etappen stillgelegt, sie dient mittlerweile als Radweg (Grugatrasse).
Im Zuge der Stilllegung sicherte sich die Messe Essen die Fläche als Parkraum, seit 2012 ist der Ausstellungsbetrieb auch Eigentümer eines Großteils des Geländes. Außerdem hat hier der Verein Sportfreunde 07 seinen Fußballplatz, seit einigen Jahren gibt es auch Wohnbebauung, die in Rüttenscheid immer begehrter und lukrativer wurde.