Essen. Am letzten Verkaufstag im Kaufhof in Essen sind die Mitarbeiter froh, dass das langsame Sterben ein Ende hat. Aber es gibt auch viel Wehmut.
Kaufhof-Mitarbeiter Michael Wasna (53) hatte für die Abschiedsfeier ein Lied geschrieben. Die ersten Zeilen beginnen so: „Ich dachte, ich könnte hier in Rente gehen, die Arbeit hat doch immer Spaß gemacht…“ Doch aus dem Auftritt des Hobbymusikers ist nichts geworden. Denn es gibt im Kaufhof am Willy-Brandt-Platz keine Abschiedsfeier unter den Kollegen mehr. Corona ist schuld.
Und so mussten sie die Türen des Warenhauses am Mittwoch ohne eine letzte große Begegnung abschließen. Ein umso schmerzhafterer Abschied.
90 Prozent Rabatt am letzten Verkaufstag im Kaufhof in Essen
Verkäuferin Ulrike Keyzers streift noch am Mittwochmittag um die letzten Wühltische im Erdgeschoss, sammelt Bügel ein, hängt Strohhüte wieder an ihren Platz und sortiert Waren um, wenn die Tische nahezu leergeräumt sind.
Die Firma, die von Galeria Karstadt Kaufhof mit dem Ausverkauf beauftragt ist, hat die Rabatte an diesem letzten Verkaufstag auf 90 Prozent hochgesetzt. So kostet die Bikinihose nur noch 50 Cent und selbst Hosen, die in den vergangenen Tagen wie Ladenhüter auf den wenigen verbliebenen Ständern hingen, finden für wenige Euro doch noch einen Käufer.
Wie lange noch Waren für den Verkauf da sind, weiß am Mittwochmittag niemand. Alle rechnen zu diesem Zeitpunkt damit, dass erst am Donnerstag Schluss ist. Doch am Nachmittag heißt es dann plötzlich: „Wir schließen um 18 Uhr“. Der Kaufhof ist leergekauft.
Fast drei Monate Ausverkauf liegen hinter Ulrike Keyzers und ihren Kollegen. Das sei eine sehr schmerzhafte Zeit gewesen, sagt die 59-Jährige. „Aber wir wollten uns gegenüber den Kunden nichts anmerken lassen.“
Viele Kaufhof-Mitarbeiter haben noch keine berufliche Perspektive
Im Grunde sind alle froh, dass das langsame Sterben ihrer Filiale nun ein Ende hat. „Dennoch geht es mir bescheiden, wenn ich an das Ende denke“, sagt Ulrike Keyzers. Sie erlebt ein solches Aus in ihrem Berufsleben schon das zweite Mal. Vor Kaufhof arbeitete sie bei Wertheim am Kennedyplatz. Wie es für sie weiter geht, weiß sie noch nicht. „Vielleicht gehe ich in die Altenpflege“. An eine Zukunft im Einzelhandel glaubt sie nicht mehr.
Wie Ulrike Keyzers haben die meisten der betroffenen 95 Mitarbeiter noch keine berufliche Perspektive. Nur etwa eine Handvoll Mitarbeiter sind so alt, dass sie in Rente gehen können. Ähnlich viele haben einen neuen Job. Die meisten Kaufhof-Mitarbeiter wechseln zum 1. November in eine Transfergesellschaft. Damit sind sie wenigstens nicht gleich arbeitslos, erhalten zudem sechs Monate lang noch 80 Prozent ihres bisherigen Gehaltes. Ein kleiner Trost. Michaela Bongartz, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, findet deutliche Worte: „Man kommt sich vor wie ein Baum, der nicht umgetopft wird sondern rausgerissen und auf die Straße geworfen wird.“
Kunden bedauern die Schließung des traditionellen Warenhauses
Die Arbeitsagentur hat bereits mit vielen Betroffenen gesprochen, wie es für sie weiter gehen könnte. Auch Vertreter der Deutschen Bahn waren im Haus und warben für eine Umschulung zum Lokführer. Die Stadt Essen hat signalisiert, dass sie Mitarbeiter in der Verwaltung braucht. Einfach wird die Umorientierung aber nicht. Viele Mitarbeiter sind bereits jenseits der 50. Und sie machen Tätigkeiten, die es in anderen Handelshäusern so gar nicht mehr gebe. Wie Michaela Bongartz (53), die für das visuelle Marketing zuständig ist. „Ich bin überrascht, wie viel Flexibilität die Kollegen an den Tag legen“, sagt sie.
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Dass es wegen Corona keinen richtigen Abschied mehr geben darf, bedauert Michaela Bongartz sehr. „Klar hat die Arbeit immer Spaß gemacht. Aber ich bin vor allem traurig, weil ich die Kollegen vermissen werde.“
Auch die Kunden denken an die betroffenen Beschäftigten. „Mir tut es vor allem für die Mitarbeiter sehr leid. Sie haben jahrelang auf Geld verzichtet und nun das“, meint Sabine Trillken, die seit Jahren regelmäßig in den Kaufhof kommt, „weil man hier einfach alles bekommen hat“.
Auch Frank H. sagt, er sei total traurig. Er habe immer freundliches Personal erlebt und die zentrale Lage des Warenhauses sehr geschätzt. Mit dem Kaufhof gehe für ihn ein Stück Essen verloren. Der Platz ist seit vielen Jahrzehnten Warenhaus-Standort - erst stand hier das Deutsche-Familien-Kaufhaus (Defaka), dann seit 1977 Horten. 1994 wurde daraus Galeria Kaufhof.
„Trauerfeier“ vor dem Kaufhof am Samstag geplant
Asia-Markt zieht mit aus
Betroffen von der Schließung des Warenhauses am Willy-Brandt-Platz ist auch im Untergeschoss der asiatische Supermarkt Go Asia. Auch dort lief in den vergangenen Wochen der Ausverkauf.
Eine Mitarbeiterin vor Ort sagte am Mittwoch, dass das Unternehmen einen neuen Standort in Essen suche und in einigen Monaten wohl an anderer Stelle einen Laden eröffnen wolle. Unbestätigten Informationen zufolge soll sich Go Asia auch den ehemaligen Bio-Supermarkt Basic am unteren Ende der Kettwiger angesehen haben.
An die lange Warenhaus-Tradition wird sicher auch am Samstag erinnert. Dann wollen sich Kaufhof-Mitarbeiter, ehemalige Wegbegleiter, Gewerkschaftsfunktionäre nochmals vor der Tür zu einer Kundgebung treffen. Es soll eine Trauerfeier werden. „Vielleicht bleibt dann doch eine Gelegenheit, dass wir unter Corona-Bedingungen noch mal zusammenstehen können“, sagt Michaela Bongartz. Und vielleicht wird Michael Wasna dann doch noch sein Lied vortragen.