Essen. In zwei Wochen schließt Galeria Kaufhof Essen, Schnäppchenjäger stehen Schlange. Mehrmals am Tag müssen die Türen schließen wegen Corona-Schutz.
Eigentlich öffnet Galeria Kaufhof am Willy-Brandt-Platz in Essen pünktlich um 9.30 Uhr. Doch an diesem Freitagmorgen müssen sich die Kunden eine gute halbe Stunde in die Warteschlange einreihen, ehe sie sich in den Abverkauf stürzen können. Der Grund: Die Belegschaft trifft sich auf dem Platz erneut zu einer Protestkundgebung. Eine Gelegenheit, um zwei Wochen vor der endgültigen Schließung des Warenhauses noch einmal Dampf abzulassen. Als der Betriebsvorsitzende Ulrich Bartel per Megafon die „Unverschämtheiten“ des Konzernchefs anprangert, brandet Beifall auf.
4500 Menschen verlören in allen Schließungshäusern des Warenhaus-Konzerns Galeria Karstadt Kaufhof ihre Arbeit, schimpft Bartel. Auch am Willy-Brandt-Platz werden von zuletzt 95 Mitarbeitern 63 in die Transfergesellschaft gehen müssen. Aber Bartel macht ihnen Mut. „Ihr seid gute Leute und ich glaube fest daran, dass jeder einen neuen Job finden wird.“ Erst vor wenigen Tagen seien drei Kollegen verabschiedet worden. Drei von mehr als 30, die von Arbeitslosigkeit verschont bleiben. Auch Bartel (58) sucht. 1978 hat er seine Ausbildung bei Horten begonnen. Von zwei kleineren Unterbrechungen abgesehen ist er seit 42 Jahren dabei.
Das Warenhaus ist Resterampe: „Alles reduziert“, „Alles muss raus“, „Bis zu -70 %“.
Auch bei dieser Kundgebung wird schnell deutlich: Die Warenhaus-Belegschaft versteht sich als große Familie, ihr Zusammenhalt ist groß. Niemand wird zurückgelassen. Eigentlich sollte am selben Abend in der vierten Etage eine große Abschiedsfeier stattfinden, zu der auch viele Ehemalige kommen wollten. Doch wegen Corona musste die Veranstaltung abgesagt werden. Immerhin gönnt man sich nun ein Gläschen Sekt.
Als sich das Rolltor um 10 Uhr hebt, geht die Schnäppchenjagd los. „Alles reduziert“, „Alles muss raus“, „Großer Sortimentsabverkauf“, „Bis zu -70 %“ – Slogans, die wirken. Die Etagen II, III und IV sind bereits komplett leergeräumt. Ältere Stammkunden sehen in der vierten Etage die Lego-Werbung und erinnern sich: „Hier habe ich das ganze Spielzeug für unsere Kinder gekauft.“ Und jetzt? Statt bunter Konsumvielfalt eine beklemmende Leere. Überall stehen nackte Schaufensterpuppen herum, ausgeräumte Regale, zusammengeschobenes Mobiliar, Vier-Arm-Ständer ohne Ware, Kartons voller Kleiderbügel. Das ehedem stolze Warenhaus als Resterampe.
Weil der Kundenandrang nicht nachlassen will, müssen mehrmals am Tag coronabedingt die Türen geschlossen werden. Höchstens 750 Menschen dürfen gleichzeitig rein. Noch sind geöffnet: Unter-, Erd- und erstes Obergeschoss. Aber nicht mehr lange. Nächste Woche dürfte auch das 1. OG leergeräumt sein und mit rot-weißem Flatterband versehen werden.
So mancher Kunde zeigt Schwächen beim Prozentrechnen
Kuriose Szenen spielen sich unterdessen immer wieder an den Kassen ab, denn überraschend viele Kunden zeigen erhebliche Schwächen beim Prozentrechnen. Selbst der Hinweis, dass die um 50 Prozent reduzierte Jeanshose zum Beispiel für 29.99 nur noch die Hälfte koste, hilft keinesfalls weiter. Selbst die Grundrechenarten sitzen offensichtlich nicht bei allen. Inzwischen haben sie überall kleine Hilfs-Schildchen aufgestellt mit Dutzenden gängigen Rechenbeispielen („Alter Preis - neuer Preis“).
Neue Ware ist im riesigen Lager am Willy-Brandt-Platz schon seit Wochen nicht mehr eingetroffen. Verhökert werden nur noch Restbestände. Die Jumpsuits sind um 90 Prozent runtergesetzt, trotzdem werde noch daran verdient, heißt es. Qualitätspfannen und Töpfe namhafter deutscher Hersteller hingegen sucht der Schnäppchenjäger vergebens. Die meisten Regale für Haushaltswaren im Untergeschoss sind schon seit Wochen leergekauft.
Gut zu tun hat im unteren Geschoss nur noch der beliebte Asia-Markt. Auch der muss sich nach der Schließung am 17. Oktober eine neue Bleibe suchen. „Wir wollen gerne in Essen bleiben“, sagt eine Verkäuferin.