Essen. Obwohl die Stadt Risikogebiet ist und es auch intern Bedenken gab, fand die Verdi-Demo in Essen statt. Gefordert war klare Einhaltung der Regeln.

Rund 1000 Menschen stehen Montagmorgen um 10 Uhr vor der Bühne auf dem Gruga-Parkplatz P2 in Essen-Rüttenscheid. Einige schwingen Verdi-Flaggen und halten Plakate in die Luft. „Jetzt streikt’s“ und „Wir sind es wert“ steht darauf. Viele tragen gelbe oder rote Westen. Sie klatschen und blasen in ihre Trillerpfeifen, als die Chefin von Verdi Ruhr West, Henrike Eickholt, 4,8 Prozent höhere Löhne fordert, sie ruft durchs Mikrofon: „Wir sind systemrelevant!“ Doch wie verantwortungsbewusst ist es, eine Großdemonstration zu veranstalten, obwohl sich in Essen die Corona-Krise massiv ausweitet?

Verdi hat zu dem Streik aufgerufen. Die Gewerkschaft fordert für die 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen unter anderem eine Anhebung der Einkommen um 4,8 Prozent oder um einen Mindestbetrag von 150 Euro pro Monat. Am Streik beteiligen sich unter anderem Mitarbeiter der Müllabfuhr, Sparkasse, Krankenhäuser, von Kitas und Ämtern.

Ab etwa 7 Uhr morgens versammeln sich die Demonstrierenden vor ihren jeweiligen Arbeitsplätzen, um von dort zur zentralen Kundgebung am Gruga-Parkplatz zu marschieren.„Alle Beteiligten sind in 5er Gruppen zur Kundgebung gelaufen“, sagt die Verdi-Organisatorin Eickholt. „Zwischen den 5er Gruppen gab es drei Meter Abstand, alle müssen Masken tragen.“

In Essen hat Verdi einen Streik mit etwa 1000 Menschen organisiert, obwohl sich Corona ausbreitet

Auf dem weitläufigen Platz vor der Bühne sind 310 weiße Kreise gesprüht – immer mit drei Meter Abstand. Sie haben 5 Quadratmeter Durchmesser, in ihnen dürfen maximal fünf Personen stehen. In den meisten Kreisen sind aber nur zwei bis drei Menschen.

Alle Streikenden tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung. Nur um einen Schluck Kaffee aus Pappbechern zu trinken oder an der Zigarette zu ziehen, schieben einige ihre Masken unters Kinn. Trotz des grauen Himmels und 10 Grad ist die Stimmung munter, zwischen den Redebeiträgen läuft Musik.

Eickholt sagt, am Wochenende habe es unzählige Nachfragen gegeben: Ändern sich die Hygiene-Maßnahmen wegen der steigenden Infektionszahlen? Welche Maßnahmen gibt es genau? Und kann der Streik überhaupt stattfinden? „Wir haben in enger Absprache mit der Polizei das Konzept an die Lage angepasst“, sagt sie.

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Im Vorfeld der Demo gab es große Unsicherheit wegen Corona

Ursprünglich war geplant, dass die Demonstrierenden in 10er Gruppen zum Parkplatz laufen. Doch als Essen zum Risikogebiet erklärt wurde, hat Verdi die Gruppenanzahl halbiert. „Es gab im Vorfeld des Streiks viele Bedenken in unseren Reihen wegen Corona“, sagt David Wandt, Verdi-Mitglied und im Personalrat der Sparkasse Essen. „Unsere Gruppen auf Whatsapp und Facebook sind explodiert.“ Der Arbeitgeber habe natürlich darauf gehofft, dass der Streik abgesagt wird, sagt der 44-Jährige. „Aber es ist wichtig, dass wir weiter Druck ausüben.“

Die Umsetzung des Hygiene-Konzepts findet er sehr gelungen. „Das kann man als Muster für die nächsten Streiks nutzen.“ Die Menschen hätten den Abstand überall eingehalten, die Masken getragen. Er fühle sich sehr sicher.

Auch Severin Krüger, 29, Gewerkschaftssekretär bei Verdi-Jugend, lobt das Sicherheitskonzept. Das hat alles perfekt geklappt.“ Eine Großdemo trotz hoher Infektionszahlen hält er für dringend notwendig. „Wir müssen den Arbeitgebern ganz klar zeigen: Wir sind wichtig, wir sind systemrelevant.“ Die Leute hier hätten in den letzten Monaten den Laden am Laufen gehalten, deswegen hätten sie keine Nullrunde verdient.

Eickholt: „Streikrecht ist ein Grundrecht“

Die Krankenpflegerin in der LVR-Klinik, Tanja Rabehl sagt, sie und ihr Team hätten das Gesundheitsrisiko kaum thematisiert, es findet ja alles draußen statt. „Wir haben uns eher gefragt, ob wir den Patienten zumuten können, einen Tag lang zu streiken“, sagt die 33-Jährige. „Aber es ist noch wichtiger, dass wir für unseren Beruf kämpfen.“

Henrike Eickholt sagt, der Zeitpunkt für den Streik sei angesichts der sich zuspitzende Corona-Lage nicht optimal. „Ich habe mir natürlich schon Gedanken gemacht, selbstverständlich.“ Teilweise habe sie schon Sorgen gehabt. „Jetzt ist es besser gelaufen als erwartet.“

Die Demo sei wichtig, weil sie die Empörung der Beschäftigten über die Arbeitgeber so groß sei. „Das sieht man daran, dass zu den Streiks immer mehr Leute kommen, als wir gedacht haben.“ Streikrecht sei ein Grundrecht, „das muss auch unter Corona funktionieren.“ „Das Hygienekonzept werden wir auch für kommenden Dienstag wieder einsetzen.“