Essen. Mit der Komödie „Stillstand“ blickt das Essener Theater Freudenhaus in Richtung Zukunft: Der Zeitsprung ins Jahr 2040 heitert und rüttelt auf

Dieser Synthesizer-Sound versprühte damals schon etwas Futuristisches. Die Band „Kraftwerk“ frönte in den 80er Jahren mit ihrer Maschinenmusik einem Wirtschaftswunder, dessen Markenzeichen sich auch durch das Ruhrgebiet schlängelt: die Autobahn. So hieß auch der Kult-Song der Elektropop-Band, eine Hymne auf den Individualverkehr. Ihre kühlen Klänge leiten auch diesen Premierenabend im Theater Freudenhaus ein. Dabei sind die Karosserien im Stück „Stillstand“ aus dem Stadtbild verschwunden, genauso wie die als Ruhrschleichweg verschriene A40.

Die Wissenschaft hält Einzug auf der Bühne: Szene aus „Stillstand“ mit Thorsten Strunk.
Die Wissenschaft hält Einzug auf der Bühne: Szene aus „Stillstand“ mit Thorsten Strunk. © Sivani Boxall

Es ist der Sommer 2040. Draußen herrschen tropische Temperaturen von 40 Grad. Entlang der einstigen Autobahn düst nun die X-40, eine Hightech-Schwebebahn, die computergesteuert ist. Und diese Künstliche Intelligenz hat einen Namen: Alexa. Sie begrüßt den Ingenieur Paul Wellfonder, den Thorsten Strunk als einen peniblen Wissenschaftler gibt, der am liebsten alleine an der Technik tüftelt. Er trägt einen Kittel, der zum Interieur dieses Fahrzeugs der Zukunft passt: Alles erstrahlt klinisch-steril.

Aus dem Ruhrgebiet wird die „Metro City Ruhr“

Und alles läuft zunächst reibungslos: Die digitale Kapsel beschleunigt bei der Testfahrt auf 300 Kilometer pro Stunde. In weniger als 17 Minuten bringt sie die Fahrgäste von Duisburg nach Dortmund. Bis schließlich unerwartet Fahrgäste in den Shuttle einsteigen. Dann kommt es auch noch zu einer Panne. Alle Fahrgäste stecken in der Kapsel fest und können nicht heraus. Wegen eines Terrorverdachts wurde auf der X-40-Strecke ein Lockdown ausgerufen. Alexa hat die Tür verriegelt. Und im Laufe der Inszenierung folgen weitere überraschende Wendungen.

Regisseurin Tabea Nora Schattmaier und Dramaturg Florian Heller entführen mit dieser Science-Fiction-Groteske in eine mögliche Zukunft des Ruhrgebiets, das nun einen Marketingnamen trägt: „Metro City Ruhr“. Die Bühne im Kulturzentrum Grend hat sich in den letzten Jahren zu einer Adresse für heiteren Komödienstoff gemausert. Daran knüpft auch „Stillstand“ an. Einerseits. Denn die Technik der Zukunft liefert natürlich allerlei Steilvorlagen für Pointen: So wacht Alexa über die politisch-korrekte Sprache der Fahrgäste. Oder serviert ihnen einen Protein-Shake mit Himbeer-Muskat-Geschmack. Doch noch ist es eine chemische „Testflüssigkeit“.

Grönemeyers Currywurst-Song bekommt einen neuen Text

Neben der A40 gehört ein weiteres Markenzeichen des Ruhrpotts der Vergangenheit an: Die Currywurst. Die Fahrgäste schlürfen ein Aggregat, das wie Ketchup aussieht, aber den Fleischgeschmack simuliert. Alle stimmen eine neue Variante von Grönemeyers berühmten Currywurst-Song an. Das sind die heiteren Momente dieser Inszenierung. Denn „Stillstand“ entpuppt sich auch als gesellschaftskritische Dystopie. Florian Heller, der den Text schrieb, war Jahre als Dramaturg im Grillo-Theater tätig. Und hat in diesem Stück ein Motiv aufgegriffen, das sich wie ein roter Faden durch die Grillo-Intendanz unter Christian Tombeil zieht: Gesellschaftskritik von Armut und Ungleichheit. So schält sich aus den Wortwechseln der eingeschlossenen Passagiere heraus, dass die ökologische Mobilitätswende alles andere als sozialverträglich lief: der arme Norden wurde etwa komplett ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben.

Auch die aktuelle Pandemie ragt immer wieder in das Stück hinein. Irgendwann ging es zurück im Status quo, wie die Figuren auf der Bühne beklagen. Dieses Ruhrgebiet der Zukunft sieht wirklich nicht rosig aus: zentralistisch, autoritär, neoliberal. Schattmaier und Heller gelingt jedoch ein Spagat zwischen Dystopie und Komödie, sie heitern und rütteln auf.

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